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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Sie kämpfen tapfer, Felicitas,“ entgegnete er ruhig, „und wären die letzten Worte nicht, die jene Frau –“ er deutete; nach der Richtung, wo die Regierungsräthin verschwunden war, „in ihrer Raserei mir hingeworfen hat, so gäbe ich Ihnen das schlimme Geheimniß unbesehen zurück. So aber will und muß ich die Schande kennen, die auf meinem Namen liegt, und ist die arme Einsame in der Mansarde stark genug gewesen, sie vor fremden Augen zu hüten, so werde ich wohl auch die Kraft finden, sie zu ertragen… Ich bin doppelt gezwungen, der Sache auf den Grund zugehen. Die Linie Hellwig am Rhein ist offenbar im Mitbesitz des Geheimnisses und möglicherweise an irgend einer Büberei betheiligt – wenn Sie auch schweigen und die Augen niederschlagen, ich sehe doch deutlich an Ihrem Gesicht, daß ich richtig vermuthe – meine Cousine wußte ohne Zweifel um die Familienschande und war nur entsetzt, sie plötzlich niedergeschrieben zu finden… ich werde mit diesen Hehlern abrechnen! … Trösten Sie sich, Fee!“ fuhr er weich und zärtlich fort, und strich sanft mit der Hand über den Scheitel des jungen Mädchens, das in stummer Verzweiflung vor ihm stand. „Ich kann nicht anders handeln, und wenn mir als Preis die Versicherung geboten würde, daß Sie sofort die Meine werden wollten – ich müßte ‚Nein‘ sagen!“

„Ich kann mich nie wieder beruhigen,“ rief sie in ausbrechender Klage, „denn ich habe Sie unglücklich gemacht durch meine Unvorsichtigkeit!“

„Sie werden ruhig werden,“ sagte er ernst und nachdrücklich, „wenn Sie einsehen lernen, daß Ihre Liebe mir Alles überwinden hilft, was das Leben Schweres auf meinen Weg wirft.“

Er drückte ihre kleine, eiskalte Hand und ging in sein Zimmer. Felicitas aber preßte die heiße Stirn an das Fensterkreuz und starrte hinab in den Vorderhof, wo ein furchtbarer Gewitterregen mit solchem Ungestüm niederprasselte, als gelte es, das Blut des gemordeten Adrian Hirschsprung von den Steinplatten wegzuwaschen, und mit ihm den Schandflecken, der auf dem Namen Hellwig lastete.


27.

Eine Stunde später trat der Professor in das Wohnzimmer seiner Mutter. Seine Hautfarbe war um einen Hauch bleicher als gewöhnlich; aber Gesichtsausdruck und Haltung ließen mehr als je die männliche Entschiedenheit und moralische Kraft hervortreten, die seine äußere Erscheinung zu einer bedeutenden machten.

Frau Hellwig saß hinter ihrem Asklepiasstock und strickte. Masche um Masche wurden unter diesen fleischigen, weißen Händen zu Sprossen einer Leiter, die schnurstracks zum Himmel emporstieg – denn es war ein Missionsstrumpf, an welchem die große Frau strickte.

Der Professor legte ein aufgeschlagenes kleines Buch auf das Tischchen, hinter welchem sie saß.

„Ich habe in einer sehr ernsten Angelegenheit mit Dir zu reden, Mutter,“ sagte er, „zuvor aber muß ich Dich bitten, einen Blick in diese Blätter zu werfen.“

Sie legte erstaunt den Strickstrumpf hin, setzte die Brille auf und nahm das Buch. „Ei, das sind ja der alten Cordula ihre Kritzeleien!“ meinte sie unwirsch, aber sie fing an zu lesen.

Der Professor legte die linke Hand auf den Rücken, ließ die rechte unablässig über den Bart gleiten und ging schweigend im Zimmer auf und ab.

„Ich sehe nicht ein, inwiefern mich die kindische Liebesgeschichte mit dem Schusterjungen interessiren soll!“ rief die große Frau unwillig, nachdem sie zwei Seiten überlesen hatte. „Wie kommst Du denn auf die Idee, mir die alte Scharteke zu bringen, die nur die ganze Stube verpestet mit ihrem Modergeruch?“

„Ich bitte Dich, lies weiter, Mutter!“ rief der Professor ungeduldig. „Du wirst sehr bald den Modergeruch vergessen über anderen schlimmen Seiten, die das Buch hat.“

Sie nahm es mit sichtbarem Widerwillen auf und überschlug einige Blätter. Aber allmählich kam Spannung in dies Steingesicht; die knisternden Blätter flogen immer rascher durch ihre Finger. Ein feines Roth trat in die weißen Wangen, es lief über die Stirn und wurde plötzlich zu Purpur. … Merkwürdiger Weise jedoch war es weder ein eigentlicher Schrecken, noch gar Entsetzen, was die Frau erfaßte – mit einem maßlosen Erstaunen, in das sich sehr bald ein unsäglicher Hohn mischte, ließ sie das Buch in den Schooß sinken.

„Das sind ja merkwürdige Dinge! Ei sieh da, wer hätte das gedacht! Die ehrenhafte, hochangesehene Familie Hellwig!“ rief sie, die Hände zusammenschlagend – in ihrer Stimme stritten Haß, Triumph und gesättigte Bosheit. – „Also die Geldsäcke, auf denen die stolze Frau Commerzienräthin, meine Frau Schwiegermutter, stand, waren zum Theil gestohlen! … Ei, ei, da rauschte man in Sammet und Seide daher – da gab man Feste, wo der Champagner in Strömen floß und wo man sich von den Schmarotzern eine schöne und geistreiche Frau nennen ließ! … Und ich, ich mußte diese jubilirenden Gäste bedienen – Niemand beachtete neben der leichtfertigen, üppigen Frau die arme, junges Verwandte, die in ihrer Tugend und Gottesfurcht hoch stand über den sündhaften, elenden Schwelgern. … Da hab’ ich oft die Zähne zusammengebissen und im Herzen zu meinem Gott gebetet, er möge dieses verruchte Treiben strafen nach seiner Gerechtigkeit! … Er hatte bereits gerichtet. … O, wie wunderbar sind seine Wege! – Es war gestohlenes Geld, das sie verpraßten – ihre Seelen sind zwiefach verloren!“

Der Professor war bewegungslos mitten im Zimmer stehen geblieben. Er hatte diese Art Auffassung so wenig vorausgesehen, daß er einen Augenblick fassungslos schwieg.

„Wie Du die Großmutter dafür verantwortlich machen kannst, daß sie unbewußt diese veruntreuten Gelder benutzt hat, begreife ich nicht, Mutter,“ sagte er nach einer kurzen Pause entrüstet. „Dann sind auch unsere Seelen verloren, denn wir sind bis auf den heutigen Tag im Genuß der Zinsen verblieben. … Uebrigens wirst Du bei dieser Ansicht um so mehr mit mir einverstanden sein, daß wir uns das sündhafte, unehrliche Geld so bald wie möglich vom Halse schaffen und es bei Heller und Pfennig zurückgeben.“

Vorhin, bei ihrem grenzenlosen Erstaunen war Frau Hellwig sitzen geblieben und hatte einfach ihre Hände zusammengeschlagen; jetzt stützte sie dieselben auf die Armlehnen des Stuhles und fuhr mittels eines Ruckes empor.

„Zurückgeben?“ wiederholte sie, als zweifle sie, recht gehört zu haben. „Wem denn?“

„Nun, selbstverständlich den möglicherweise existirenden Hirschsprung’schen Erben.“

„Wie, an die ersten, besten Strolche und Tagediebe, die vielleicht daher kommen und sich melden, sollten wir eine so enorme Summe hinauszahlen? … Vierzigtausend Thaler blieben ja wohl der Familie Hellwig, nachdem –“

„Ja, nachdem Paul Hellwig, der Ehrenmann, der ächte und gerechte Streiter Gottes, der unleugbare Erbe des Himmelreiches, zwanzigtausend Thaler an sich gerissen hatte!“ unterbrach sie der Professor, bebend vor Entrüstung. „Mutter, Du lässest die Seele meiner Großmutter zur Hölle fahren, weil sie unwissentlich geraubtes Geld verwendet hat – was verdient der, welcher mit teuflischer Ueberlegung und Berechnung ein Vermögen stiehlt?“

„Ja, er ist einen Moment der Versuchung erlegen,“ versetzte sie, ohne auch nur im Mindesten ihre Fassung zu verlieren. „Er war damals ein unbesonnener, junger Mensch, der den rechten Weg noch nicht gefunden hatte – der Teufel wählt ja gerade die besten und edelsten Seelen, um sie dem Reich Gottes abwendig zu machen – aber er hat sich empor gerafft aus dem Pfuhl der Sünde, und es steht geschrieben: ‚Es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut.‘ Er kämpft unermüdlich für den heiligen Glauben – das Geld ist entsühnt, geheiligt in seinen Händen; denn er benutzt es zu Gott wohlgefälligen Zwecken!“

„Wir Protestanten haben auch unseren Jesuitenorden, wie ich sehe!“ lachte der Professor in unsäglicher Bitterkeit auf.

„Genau so verhält es sich mit dem, was an unser Haus gekommen ist,“ fuhr die große Frau unerschütterlich fort. „Sieh’ Dich um, ob nicht auf Allem, was wir thun und wirken, Gottes Hand sichtbar ruht! … Klebte die Sünde noch an dem Gelde, es könnte nicht so herrliche Früchte bringen. … Wir, Du, mein Sohn, und ich, haben in Segen verwandelt, was einst Verbrechen gewesen ist, durch unsern Eifer im Dienst des Herrn, durch unsern gottseligen Wandel.“

„Ich bitte Dich, Mutter, mich lasse unerwähnt!“ unterbrach er auf’s Tiefste empört diese haarsträubende Beweisführung. Er griff mit der Hand nach der Stirn und preßte sie, als ob sie unsäglich schmerze.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_562.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)