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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Mutter, ich habe Dir bereits heute Nachmittag im Garten erklärt, daß ich die unverzeihlichen Angriffe auf die Ehre dieses Mädchens nicht mehr dulden werde!“ rief der Professor, und die gewaltige Zornader erschien auf seiner Stirn.

„Oho, mehr Beherrschung und Achtung, mein Herr Sohn, wenn ich bitten darf! Du stehst vor Deiner Mutter!“ gebot sie, während sie abwehrend die Hand gegen ihn ausstreckte, ein vernichtender Blick zuckte aus ihren kalten, grauen Augen. „Du spielst Dich ja vortrefflich auf den Ritter dieser hergelaufenen Prinzessin; da wird mir freilich nichts Anderes übrig bleiben, als ihr auch meinen Respect zu Füßen zu legen!“

„In den Fall wirst Du allerdings kommen, Mutter,“ antwortete er mit großer Ruhe auf diesen beißenden Hohn, und seine Augen hefteten sich fest und durchdringend auf ihr Gesicht. „Du wirst ihr die Achtung und den Respect nicht versagen dürfen, denn – sie wird mein Weib werden!“

Und es geschah wirklich, das Unerhörte – das alte Kaufmannshaus blieb stehen nach dieser Erklärung; die Erde öffnete sich nicht, um die kleine Stadt sammt dem mißrathensten aller Hellwige zu verschlingen, wie die große Frau in der ersten entsetzensvollen Bestürzung vermuthete… Er selbst stand dort, kaltblütig und unerschütterlich, das Bild eines Mannes, der mit sich abgeschlossen hat, und an dem Weiberthränen, Krämpfe und Zorneswüthen machtlos abprallen, wie die Wellen am felsenharten Ufer.

Frau Hellwig war förmlich sprachlos zurückgetaumelt – die Regierungsräthin aber erwachte aus ihrer halben Ohnmacht und stieß ein hysterisches Gelächter aus. Der verklärende Schleier fiel vom Haupt herab auf den Nacken, und die zerstörten Locken, in welchen noch die halbverwelkte Purpurrose von heute Nachmittag hing, ringelten sich wie Nattern um die geröthete Stirn.

„Da hast Du Deine vielgepriesene Weisheit, Tante!“ rief sie gellend. „Jetzt triumphire ich! … Wer hat Dich himmelhoch gebeten, dies Mädchen um jeden Preis zu verheirathen, ehe Johannes käme? … Mir sagte es eine untrügliche Ahnung beim ersten Anblick dieser Person, daß sie unser Aller Unglück werden würde… Nimm Du nun auch die Schande auf Dich, gegen welche Du Dich geflissentlich verblendet hast! – Ich aber werde sofort nach Bonn abreisen, um den Professorenfrauen zu verkünden, welcher Art die neue, kleine Collega ist, die nächstens in ihren exclusiven Kreis eintreten wird.“

Sie stürzte zur Thür hinaus.

Währenddem war die Erstarrung der großen Frau gewichen. Sie umgürtete sich mit ihrer ganzen eingebildeten Hoheit und äußeren Würde.

„Ich habe Dich vorhin offenbar falsch verstanden, Johannes,“ sagte sie scheinbar sehr gelassen.

„Wenn Du das glaubst, so werde ich meine Erklärung wiederholen,“ versetzte er kalt und unbeugsam. „Ich werde mich mit Felicitas d’Orlowska verheirathen.“

„Du wagst es, mir gegenüber diese wahnsinnige Idee festzuhalten?“

„Statt aller Antwort frage ich Dich: Würdest Du mir auch jetzt noch Deinen Segen zu einer Verheirathung mit Adele geben?“

„Ohne Weiteres. Sie ist eine standesgemäße Partie – ich kenne keinen größeren Wunsch.“

Der Professor wurde dunkelroth im Gesicht; man sah, wie er die Zähne zusammenbiß, um eine Fluth heftiger Worte zurückzuhalten.

„Mit dieser Erklärung hast Du den letzten Rest von Berechtigung verloren, in einer meiner wichtigsten Lebensfragen mitzusprechen,“ preßte er, sich mühsam bezwingend, hervor. „Daß dies moralisch durch und durch verdorbene Geschöpf, diese erbärmliche Heuchlerin mein ganzes Leben vergiften müsse, kommt also nicht in Betracht… sitzest ruhig hier in Deinem stattlichen Hause, und es genügt Dir vollkommen, von Deinem fernen Sohn sagen zu können: ‚Er hat sich standesgemäß verheirathet‘… Diesem unbegrenzten Egoismus gegenüber erkläre ich Dir, daß ich um jeden Preis glücklich werden will, und das kann ich nur mit jenem armen, verachteten Waisenkind, das wir einst so grausam gemißhandelt haben!“

„Frau Hellwig stieß ein rauhes Hohngelächter aus.

„Noch halte ich an mich, nicht das Schlimmste auszusprechen!“ rief sie mit zuckenden Lippen. „Vergiß nicht: ‚des Vaters Segen bauet den Kindern Häusern, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder!‘“

„Willst Du behaupten, Dein Segen vermöge Adele’s moralische Gebrechen wegzuwaschen? … Ebensowenig kann ein Fluch wirken, wenn er auf ein schuldloses Haupt fällt. … Du wirst ihn nicht aussprechen, Mutter! Gott nimmt ihn nicht an – er fällt auf Dich zurück und macht Dein Alter einsam und liebeleer!“

„Was frage ich danach? … Ich kenne nur zwei Dinge, an die ich mich halte, die meine Richtschnur sind: Ehre und Schande! … Du hast meinen Willen zu ehren, und kraft dieser Pflicht wirst Du Deinen unsinnigen Ausspruch widerrufen!“

„Nie! darein ergieb Dich, Mutter!“ rief der Professor zurück und verließ das Zimmer, während sie mit ausgestreckten Armen wie eine Bildsäule stehen blieb. Ob diese verzerrten, blutlosen Lippen den Fluch gesprochen? Kein Laut drang heraus in die Hausflur, und wenn es geschehen, er wäre spurlos verhallt – der Gott der Liebe giebt nicht ein so furchtbares Werkzeug in die Hände der Bösen und Rachsüchtigen!

Durch das große Viereck des Vorderhofes huschten bereits die Schatten der hereindämmernden Nacht. Sturm und Gewitter hatten ausgetobt, aber noch flatterten dunkle, zerrissene Wolkengebilde über den Himmel wie zürnende Verlassene, die sich gegenseitig mit Riesenarmen zu erreichen suchten, um als vereinte Macht herabzustürzen…

Droben im ersten Stock wurden Thüren geschlagen, Kasten geschoben, und schwerfällige und behende Füße liefen auf und nieder – es wurde eingepackt auf Nimmerwiederkehr. „Da hätten wir also das Ende vom ‚Blümelein Vergißmeinnicht‘!“ brummte Heinrich seelenvergnügt vor sich hin, indem er einen großen Koffer über den Vorsaal trug.

Wie ruhig und gelassen gegen das Hasten und Poltern im Vorderhause erschien das blasse Mädchengesicht im großen Bogenfenster des Hofes! Eine Küchenlampe brannte auf dem Tische, und daneben stand das Köfferchen mit Felicitas’ Kindergarderobe. Frau Hellwig hatte, den Missionsstrumpf in der Hand, von ihrer Estrade aus vor einer Stunde den Befehl gegeben, dem Mädchen ihren „Plunder“ auszuliefern, „damit es keine Ursache habe, die Nacht noch im Hause zu bleiben.“… Felicitas hielt eben das kleine Petschaft mit dem Hirschsprung’schen Wappen gegen das Licht, als das bleiche Gesicht des Professors im Bogenfenster erschien.

„Kommen Sie, Felicitas! Nicht eine Secunde länger sollen Sie in diesem Hause des Verbrechens und der bodenlosesten Selbstsucht bleiben,“ sagte er tief erregt. „Lassen Sie einstweilen diese Sachen hier, Heinrich wird Ihnen morgen Alles bringen.“

Sie warf ihren Shawl über und traf gleich darauf mit dem Professor in der Hausflur zusammen. Er nahm ihre Hand fest in seine Rechte und führte sie durch die Straßen. Am Hause der Hofräthin Frank läutete er.

„Ich bringe Ihnen einen Schützling,“ sagte er zu der alten Dame, die das Paar im erleuchteten, trauten Wohnzimmer freundlich, aber erstaunt empfing. Er ergriff ihre Hand und legte die des jungen Mädchens hinein. „Ich vertraue Ihnen viel an, Mama,“ fuhr er bedeutsam fort, „hüten und beschützen Sie mir Felicitas wie eine Tochter – bis ich sie von Ihnen zurückfordern werde.“


(Fortsetzung folgt.)




Ein Liebling der Musen.


Mancher der das alte Berlin noch gekannt hat, wird sich entsinnen, wie still plötzlich die große Friedrichsstraße wurde, wenn man, nach dem Halleschen Thore zu, eine bestimmte Linie passirt hatte. Die Kochstraße zog eine Grenze zwischen Stadt und Vorstadt; diesseits lag der Lärm, jenseits die Stille. Und dieser Wechsel that unendlich wohl. Die plötzlich beruhigten Nerven ließen erkennen, daß man aus der Zone des Rollwagens in die der schlafenden Droschke getreten war; die Läden hörten auf, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_564.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)