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Culturberufe entsprechen solle, an die Jugenderziehung die bessernde Hand gelegt, an die Stelle des herrschenden scholastischen Schematismus eine die sämmtlichen Lebenskräfte des Menschen gleichmäßig, harmonisch entwickelnde und auf die Eigenthümlichkeiten des Individuums eingehende Erziehungsmethode gesetzt, daß die Jugend in der Schule nicht geschult, sondern erzogen werden müsse. In den wichtigsten Grundsätzen seiner Erziehungsmethode stimmte er mit Pestalozzi überein, dessen Schöpfungen er selbst während längeren Aufenthaltes in Yverdon aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte und dessen Ideen er fortzubilden, mit dem Geist der Zeit in Einklang zu bringen, zu generalisiren bestrebt war. In Keilhau sollten diese geläuterten Ideen zur Anschauung gebracht, die hier errichtete Anstalt sollte eine Musteranstalt werden; erprobte sich hier die neue Methode der Erziehung – und mit der dem Reformator eigenen Zuversicht sah er im Voraus sie sich erproben – so mußte sie auch anderwärts, so mußte sie auch in der Elementar- und Gelehrtenschule sich geltend machen, jedenfalls konnten ihr in den Zöglingen selbst wirksame und beredte Apostel gewonnen werden. Daß diese Erwartungen sich erfüllt haben, dafür legte bei Gelegenheit des Festes, auf welches wir dann zu sprechen kommen, ein als Schulmann gefeierter Professor des Rudolstädter Gymnasiums Zeugniß ab, indem er offen bekannte, die deutschen Gymnasien, von denen aus diese „Familien-Erziehungsanstalten“ anfänglich mit Hochmuth und Mißtrauen betrachtet worden seien, seien dann bei ihnen in die Schule gegangen, und es bleibe den ersteren noch heute Vieles von den letzteren zu lernen übrig.

Fröbel nun – einen so unvergänglichen Namen er sich auch in der Geschichte der Pädagogik erworben hat – war nicht der Mann, die Fülle seiner Ideen zu einem gemeinverständlichen, philosophisch geordneten System zu verarbeiten und mit ruhiger Klarheit und praktischem Geschick ihnen die Werkstätte zu bereiten. Da kam ihm denn der gründlich gebildete, besonnene und praktische Freund, Langethal der Aeltere, trefflich zu Statten, und wenn diese Beiden ihre sich ergänzenden Kräfte der inneren und äußeren Grundlegung des neuen Werkes widmeten, so wirkte der dritte Genosse, Middendorf, ein Jüngling von seltener Reinheit und Tiefe des Gemüthes, von außergewöhnlicher Selbstständigkeit und Aufopferungsfähigkeit, in der jungen Anstalt mächtig durch das Beispiel seiner Persönlichkeit, mild gegen seine Umgebung, streng allein gegen sich selbst, lernend und lehrend zugleich, der hier sich bildenden Gemeinde von vornherein das Gepräge des familienhaften Friedens verleihend.

Ergänzten sich so auch die Kräfte der ersten Gründer dieser Anstalt in vortheilhafter Weise und gelang es auch binnen wenigen Jahren den Freunden, in dem Maße ihren Bestrebungen zur Anerkennung zu verhelfen, daß die Anstalt schon zu Anfang der zwanziger Jahre gegen fünfzig Zöglinge zählte, so kann man doch nicht sagen, weder daß der Geist der letzteren bis dahin schon ein völlig bestimmtes Gepräge und ihre Wirksamkeit eine große Bedeutung erlangt, noch daß ihre ökonomische Lage sich so befestigt gehabt hätte, daß sie allen Wechselfällen zu trotzen fähig gewesen wäre. Es stellte sich die Anstalt in den ersten Jahren, ja vielleicht im ganzen ersten Jahrzehnt eben nicht als ein fertiges und geordnetes, sondern in jeder Beziehung als ein im Bau begriffenes Gebäude dar, und zwar als ein solches, an dessen Plan noch während des Baues Manches geändert, Manches nicht mit klarer Rechenschaft über die vorhandenen Mittel ausgeführt wird. Klar ausgeprägt war an dieser Schöpfung nur erst Eines, nämlich, daß es sich hier um etwas vollkommen Neues und Eigenartiges, um die Durchführung einer großen und einflußreichen, von ihren Trägern mit ganzer Hingabe und Widmung erfaßten Idee handelte. Unverkennbar waltete in der Anstalt ein frischer, kräftiger, selbstständiger Gemeingeist. Was hier zusammenwirkte und lebte, war keine Schule oder Pension im bisher landläufigen Sinne, sondern eine familienhafte Gemeinde, deren Gliedern nicht nur das äußere Leben, sondern das Streben nach harmonischer Entwickelung aller Kräfte gemeinsam war. Wenn wir jetzt mit dankbaren Gefühlen und mit inniger Verehrung auf die Keilhauer Erziehungsanstalt blicken, so müssen wir uns gestehen, daß, um sie zu dem zu machen, was sie geworden ist, sich zu der Begeisterung und dem Gestaltungsdrange der ersten Begründer noch eine ruhig gestaltende, die Ziele und Mittel gleich sicher beherrschende Kraft hinzugesellen mußte. Und diese Kraft ward den Freunden zum Glück für das Unternehmen schon frühzeitig in der Person des jetzigen Directors, Johannes Barop, zugeführt.

„Im Herbst des Jahres 1822“ – so erzählt Prof. Dr. Chr. Ed. Langethal in dem erwähnten Schriftchen – „kam ein Student aus Halle, Namens Barop, nach Keilhau, um seinen nahen Verwandten Middendorf zu besuchen und sich gelegentlich auch die Anstalt zu betrachten. Langethal (der Aeltere) war ihm ebenfalls nicht ganz unbekannt; denn er hatte ihn schon im Anfange des Jahres 1814 bei seinem Vater, dem Justizrathe Barop in Dortmund, gesehen, als er auf seinem Kriegszuge in Dortmund Rasttag machte und Grüße von Middendorf brachte, den eine Krankheit in Münster zurückhielt. Barop fand das Haus der Anstalt leer; er mußte Lehrer und Schüler auf der Spitze des höchsten Berges aufsuchen, denn da oben wurde gespielt. Der Schein eines lustigen Feuers zeigte ihm den Weg zu uns und im Abenddunkel kehrten wir mit ihm zurück.… Das war der jetzige Director Dr. Barop, der damals zum ersten Male Keilhau betrat. Er sah es in seiner ersten Blüthe und ihm erging’s wie vielen Anderen, welche das Keilhauer Leben mächtig ergriff.“

Wir sehen Barop in Keilhau sich niederlassen und wenige Jahre später die Leitung der Anstalt in seine Hand nehmen, während Fröbel nach und nach immer mehr seinen anderen bekannten pädagogischen Bestrebungen sich zuwandte und Langethal auf eine lange Reihe von Jahren Keilhau verließ, wohin er erst im späteren Alter dauernd zurückkehrte.

Was Keilhau auf dem von den drei ersten Begründern bereiteten Boden unter Barop’s Leitung geworden, darüber werden die Leser gern das Zeugniß des Verfassers dieser Zeilen, eines ehemaligen Zöglinges der Anstalt, vernehmen, welcher der letzteren zwar unendlich viel verdankt, aber sich ein unbefangenes Urtheil über dieselbe zutrauen darf und sich überzeugt hat, daß der zu seiner Zeit, in den vierziger Jahren, dort waltende Geist im Wesentlichen auch heute noch dort heimisch ist.

In der Erziehungsanstalt zu Keilhau sieht man Knaben aus den verschiedensten Ständen und aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, vorzugsweise jedoch aus Mittel- und Norddeutschland. Das gleiche Gesetz gilt für alle, für das verwöhnte Muttersöhnchen aus hocharistokratischer Familie so gut wie für den derberen Bauernsohn. Es gilt kein Ansehen der Person; von den Erziehern werden Alle mit gleicher Liebe und Sorgfalt behandelt; im Kreise der Zöglinge selbst ist der Tüchtigste der Geachtetste.

Das verschiedene Lebensalter der Zöglinge – es sind oft gleichzeitig Knaben von acht und Jünglinge von siebzehn Jahren in der Anstalt – begründet ebenfalls keinen Rangunterschied; die älteren sind durch Herkommen verpflichtet, die Sorge für das physische und sittliche Gedeihen der jüngeren mit den Lehrern zu theilen.

Wenn überhaupt die Eigenart des Familienlebens auf eine solche zahlreiche und nicht durch natürliche Bande verknüpfte Genossenschaft übertragen werden kann, so ist es hier geschehen, wo beobachtende Dritte stets den Eindruck empfangen haben, als belebe das Ganze ein patriarchalisch familienhafter Geist. Unsere Lehrer standen nicht über uns, sondern wie unseres Gleichen mitten unter uns, nur ausgezeichnet durch Achtung und Liebe und durch das selbstverständlich ihnen zustehende Recht, Gehorsam zu fordern; wer der Achtung und Liebe nicht werth gewesen wäre, wer Gehorsam gefordert hätte, nur um von dem Rechte dazu Gebrauch zu machen, der hätte nicht als Lehrer nach Keilhau getaugt. Nicht wenig trug der Umstand, daß die weiblichen Haushaltsgeschäfte im Wesentlichen und mit bewunderungswürdiger Hingabe und Pflichttreue, statt von Fremden, von den Frauen und erwachsenen Töchtern der Erzieher besorgt wurden, dazu bei, unserem Leben das Gepräge des Familienhaften zu verleihen. Wie Mütter und Schwestern walteten die „Frauen“ unter uns.

Wir wurden erzogen, ohne daß wir’s merkten; es herrschte unter uns eine gute Disciplin; aber sie hielt sich von selbst aufrecht; wir hatten, wie es die örtlichen Verhältnisse wohl gestatteten, in unseren Freistunden viel Freiheit, doch ein Mißbrauch dieser Freiheit Seitens Einzelner gehörte zu den großen Seltenheiten; der forterbende gute Geist der Anstalt war eine bessere Schutzwehr gegen Ausschreitungen, als es eine streng dem Buchstaben nach gehandhabte Schulordnung jemals hätte sein können. Es versteht sich von selbst, daß hin und wieder trotzdem solche Ausschreitungen vorkamen. Waren dieselben derart, daß auf einen wirklichen sittlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_582.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)