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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Freiligrath und Hoffmann von Fallersleben.


Auf den Höhen des Harzes loderten die Feuer in den Oefen der Gaststuben. Durchnäßte Reisende drängten sich schauernd vor Kälte um die Wärmespender, während der kalte Nordwest an den Fenstern rüttelte und, sich nimmer erschöpfend, ein Heer grauer, regenschwerer Wolken vor sich hertrieb. Das war ein trauriger Aufenthalt in den herrlichen Thälern des Harzes im Juli 1867. Heute Kälte und Regen, morgen Regen und Kälte. Mein Entschluß war rasch gefaßt. Von Thale aus bis Ilsenburg hatte ich mich frierend und naß durch die schöne Gegend hindurchgearbeitet, in Ilsenburg wie überall in den Harzstädten machten schimpfende Berliner den Aufenthalt noch „jräulicher“, als er so schon war. Ich winkte dem Vater Brocken, der sein Haupt tief mit der nichts Gutes weissagenden Nebelkappe bedeckt hatte, ein Lebewohl zu, und nach drei Stunden trug mich der Eisenbahnzug von Harzburg aus der norddeutschen Ebene zu.

Mein Weg ging zur Weser. An dem nördlichen Vorberge des Harzes weg führte mich das Dampfroß. Ich passirte die Brücke, welche den Eisenbahnzug bei Kreiensen hoch über die hannoversche Südbahn hin in’s Braunschweiger Land führt, jene Brücke, welche als unrühmliches Denkmal von dem gegraften Welfenminister Borries dem Elende des kleinstaatlichen Particularismus gesetzt ist. Die Brücke weckte allerlei Gedanken in mir. Bilder aus der Geschichte Deutschlands während der letzten fünfundzwanzig Jahre, oft recht seltsam schauerliche Bilder, erfüllten meinen Geist. Ich gedachte des ungeheuren Umschwungs, welcher im Laufe des vorigen Jahres eingetreten war, ich gedachte der Männer, welche diesen Umschwung gemacht, und Derer, welche ihn angebahnt, frohere Bilder, der Zukunft entnommen, erhellten das verdüsterte Gemüth… Da hielt der Zug abermals. „Holzminden“ … tönte des Schaffners Stimme, und ein Blick durch das Fenster des Waggons streifte den weiten Spiegel des schönen deutschen Weserstroms. Ein Dampfboot zog eben vorüber, den Strom hinab. Da – wie es oft so seltsam kommt, in Verbindung noch mit den eben unterbrochenen Gedanken, tönte der Name Freiligrath’s in mir wieder. So – als Heizer verkleidet, vor dem glühenden Kessel des Dampfers stehend, zog auch Freiligrath einst den Rhein hinab, um den Schergen zu entgehen, welche ausgesandt waren, ihn zu fangen, ihn, der besten deutschen Männer einen, der mit brechendem Herzen in’s Exil zog. Freiligrath! Grade in diesen Tagen wurde der Name des herrlichen Mannes so oft genannt; Deutschlands Söhne wollen dem alternden Dichter die Leiden, welche das Exil über ihn verhing, mildern, sie wollen eine heilige Pflicht erfüllen gegen den deutschen Sänger, dessen klingende Lieder Antheil haben an den nationalen Erfolgen des Jahres 1867. Gott segne ihr Bemühen! –

Der Zug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Zwischen den Abhängen des Sollinges und dem rechten Ufer der Weser zieht die Bahn eine Strecke dahin, um bald auf hochgespannten Bogen die Weser zu überschreiten, unmittelbar neben den Mauern eines großen stattlichen Gebäudes, dessen Thürme sich stolz in den Wogen der Weser wiederspiegeln. Es ist Schloß Corvey, prachtvoll gelegen zwischen den waldigen Kuppen des Sollinges und den linksufrigen interessant geformten Weserbergen. Zehn Minuten von Schloß Corvey an der berühmten Kastanienallee, welche vom Schlosse zu der alten Hansestadt Höxter führt, liegt der Bahnhof.

Auf dem Bahnhofe schritt ein Mann auf und ab, die aussteigenden Fremden musternd. Es war eine hohe, kräftige Gestalt, deren elastische Bewegungen die Farbe der Locken Lügen straften, welche silbern über den Nacken herabrollten, sich mit dem ebenfalls weißschimmernden Kinnbarte vermischend. Unter dem Rande des grauen Filzhutes, der die breite Stirn deckte, blitzte in noch jugendlichem Feuer ein graublaues Augenpaar. Auch über mich hin flog der suchende Blick, haftete einen Moment an mir und plötzlich erhellten sich die Züge des edlen Gesichts. Der weltbekannte Ziegenhainer wanderte in die Linke und unsere rechten Hände fanden sich im herzlichsten Drucke. Längst hatte ich den Mann erkannt, an dessen Arme ich jetzt hing, mit heller Freude ein unverhofftes Wiedersehen genießend. Es war Hoffmann von Fallersleben.

Eben noch Freiligrath’s gedenkend, ging ich jetzt zur Seite des Mannes, der einen entscheidenden Einfluß auf die politische Gesinnung Freiligrath’s ausübte. Des Mannes, der lange vor 1848 seine Stimme in Deutschland für Freiheit und Recht erhob, der seine Kühnheit mit Verlust seines akademischen Amtes büßte, der aus fast allen großen und kleinen deutschen Vaterländern ausgewiesen, Jahre lang polizeilich aller Orten verfolgt und gemaßregelt, unerschrocken und ungebeugt seiner Braut die schönsten, feurigsten Lieder sang; seiner Braut, dem schönen Deutschland, jene Lieder, die in den Herzen des deutschen Volkes einen so kräftigen Wiederhall fanden und die so außerordentlich viel dazu beitrugen, patriotischen Sinn in Deutschland zu wecken und jenes Verlangen nach Freiheit und Einheit anzufachen, welches 1848 zu heller, mächtiger Flamme aufloderte. Wahrheit war geworden, was der nimmer ermüdende Dichter einst sang:

„Und bist du nur ein Glöcklein,
Frisch auf, frisch auf, mein Sang!
Es stürzt auch die Lawine
Von eines Glöckleins Klang!“

Wir traten durch das monumentale Thor in die weiten Räume des umfangreichen Schlosses Corvey. Auf den großen, stillen Höfen weckte unser Schritt das Echo, in einem den letzten Hof umschließenden Flügel des Schlosses führte eine breite, alte Holztreppe hinauf zu einem unendlich langen, steingepflasterten Corridor, von dessen Wänden die steifen Portraits der Aebte des einst so berühmten Klosters Corvey uns gespenstisch anstarrten. An dem Corridore liegt die Wohnung des Dichters.

Als das Jahr 1848 auch für Hoffmann von Fallersleben eine gewisse Rehabilitation gebracht, lebte er mehrere Jahre an den Ufern des Rheins, seines von ihm vielbesungenen Lieblingsstromes. Die Herausgabe des „Weimarschen Jahrbuches“ führte ihn nach Weimar, und als dies Unternehmen nach fünfjähriger Arbeit einging, übernahm es Hoffmann, einem Antrage des Fürsten von Ratibor, des jetzigen Besitzers von Corvey, folgend, die auf Corvey befindliche große und werthvolle Bibliothek, welche, seit Jahren eines fachgelehrten Bibliothekars entbehrend, in Gefahr gerieth, zu einem todten, unbrauchbaren Schatze zu werden, neu zu ordnen, zu katalogisiren und zu vervollständigen. Mit emsigem Fleiße geht der wackere Gelehrte dieser Aufgabe seit Jahren nach, und man muß erstaunen über die jetzt schon gewonnenen Resultate seiner Arbeit. Die Wanderungen durch diese herrliche Bibliothek an der Seite Hoffmann’s, des kundigsten Führers, werden mir unvergeßlich bleiben. Die werthvolle Büchersammlung (über hunderttausend Bände) birgt nicht allein ungeahnte Schätze von allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst, sie zeichnet sich auch durch ihre Lage aus, welche wohl einzig ist. Aus den langen Fensterreihen derselben eröffnet sich nämlich dem staunenden Blicke eine überraschend schöne Aussicht über den großen Schloßpark hin in das reizende Weserthal.

Der Zauber der Gegend und diese Bibliothek machen es erklärlich, wie der trotz seines vorgeschrittenen Alters (Hoffmann ist 1798 geboren) noch so geistig rüstige und rührige, den Verkehr mit Menschen von höherer Bildung so sehr liebende Dichter in der Einsamkeit dieses stillen, großen Schlosses ausharrt. (Der Herzog residirt auf Ratibor in Schlesien.) Freudig hat er aber doch die erste Locomotive begrüßt, welche diesen hübschen, aber stillen Winkel der Erde mit den großen Städten der Nachbarschaft in Verbindung bringt.

Abends saßen wir dann zusammen in der Werkstatt seines schaffenden Geistes. Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin schweifte das lebendige Gespräch, wir gedachten unserer gemeinschaftlichen Freunde, ihres Wirkens und ihrer Schicksale, und so kam es denn, daß abermals das Andenken an Freiligrath geweckt wurde. Ich erfuhr, daß Hoffmann beschäftigt ist, seine reichen Tagebücher für den Druck vorzubereiten. Dieselben werden unter dem Titel „Aus meinem Leben, von Hoffmann von Fallersleben“ im Verlage von Carl Rümpler in Hannover erscheinen. Gern theilte der Dichter mir Manches aus dem interessanten Inhalte derselben mit, auf meine Bitten auch die Stellen, welche sich auf seinen Verkehr mit Ferdinand Freiligrath bezogen, dem dieser in seinem „Glaubensbekenntniß“ ein Denkmal gesetzt hat.

Am 15. August 1843, erzählte Hoffmann, reiste ich nach Coblenz. Der Zweck dieser Reise war, eine Freundin nach langen Jahren wieder zu sehen und ihr meinen Dank abzustatten für die innige Theilnahme,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_584.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)