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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

welche sie von Neuem mir bewiesen hatte. Nachdem ich den ganzen folgenden Morgen im Riesen von meinem Zimmer aus mir den Rhein und das Getümmel am Strande angesehen und vergebens zwei Freunde erwartet habe, gehe ich zu Karl Bädeker. Da heißt es dann: „Herr Bädeker ist ausgegangen, wird aber wohl bald wiederkommen.“ Ich lasse mir im Buchladen die Zeitung geben und warte. Endlich frage ich: „Wo ist denn Herr Bädeker?“ – Da erfahre ich denn: „Er ist mit dem Dichter Freiligrath spazieren gegangen.“

Nach einiger Zeit kommt Bädeker, sichtlich verlegen: „Willst Du Freiligrath kennen lernen?“

„Warum nicht? Bring’ ihn nur!“

Bädeker kehrt nochmals um und sagt zutraulich: „Du, sei gut!“

Ich muß laut auflachen. Freiligrath kommt, wir begrüßen uns und unterhalten uns ganz nett. Unterdessen ist es Mittagszeit. Wie Bädeker sieht, daß wir Beide ganz harmlos mit einander verkehren, so ladet er uns zu Mittag ein.

Wir sind sehr heiter. Ich erzähle viele Schnurren, so daß wir gar nicht aus dem Lachen herauskommen. Nach Tische frage ich Freiligrath, ob er mich etwas begleiten wolle, ich müßte noch auf die Laubbach gehen. Er ist bereit. Als wir auf dem Wege sind, meine ich, wir könnten ja erst noch eine Tasse Kaffee trinken. Wir gehen in ein Kaffeehaus und sitzen ganz allein. Wir kommen nun auf die Tagesereignisse zu sprechen. Ich mache keinen Hehl daraus, daß es allgemein sehr übel aufgenommen sei, daß Freiligrath gerade zur Zeit, als Herwegh ausgewiesen worden, ein Gedicht gegen ihn veröffentlicht habe, allerdings ein zufälliges Zusammentreffen. Freiligrath sprach sich darauf über seine Gesinnung aus, theilte mir einige seiner neuesten Gedichte mit und bemerkte, daß eins die Censur nicht passirt habe. Nun, fügte er hinzu, ich würde bald von seiner politischen Gesinnung eine bessere Meinung gewinnen. Er war zutraulich geworden und so glaubte ich denn, es auch sein zu können, und las ihm mein Lied vom Schweigethaler[1] vor. Wir schieden in der Hoffnung, uns den Abend wieder zu sehen, Bädeker hatte uns nämlich zu einem ländlichen Familienfeste eingeladen.

Ich ging wieder nach der Laubbach und kehrte erst nach Sonnenuntergang zurück. Bädeker hatte uns vergebens in seinem Hause erwartet. Einer seiner jungen Leute war beauftragt, uns nach einem Garten auf dem linken Moselufer hinzubringen. Ich ging beim Riesen vor und holte Freiligrath ab. Wir befanden uns in einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft von lauter Bädeker’schen Verwandten: Oheime, Brüder, Schwestern, Bräute, Vettern. – Nachdem wir Alle uns wechselseitig vorgestellt waren, nahmen wir Platz an einer langen Tafel. Es ging mir gar zu still her und da mir das unerträglich wurde, so suchte ich etwas Leben hinein zu bringen: ich erzählte einige lustige Geschichten und Witze, stimmte ein Lied an und brachte einige Gesundheiten aus. Nach einiger Zeit war mein Zweck erreicht, die Stimmung war eine belebte, heitere. Um sie noch zu steigern, gerieth ich in’s Politische. Freiligrath saß neben mir und ich sang das Lied vom Schweigethaler.

Bädeker nahm es sehr übel, Freiligrath nicht. Auf dem Heimwege machte mir jener bittere Vorwürfe.

„Aber, lieber Bädeker, Du weißt nicht, daß Freiligrath das Lied ja schon kannte, ich habe es ihm am Nachmittage schon vorgelesen.“

Bädeker wollte sich nicht beruhigen. Als wir aber vor seinem Hause Abschied nahmen und seine beiden alten Oheime mir dankten für den frohen Abend, den ich ihnen bereitet hätte – da wendete ich mich an Bädeker: „Hast Du’s gehört? Nun gieb Dich zufrieden und leb’ wohl!“

Ich war mit Freiligrath in der Nähe des Riesen angelangt. Da meinte ich, es wäre hübsch, wenn wir noch etwas Kühlendes genössen. – (Das ist nun jene „Nacht im Riesen“, in Folge welcher Freiligrath im Mai des folgenden Jahres das bekannte Gedicht[2] an Hoffmann richtete, von dem wir, da die betreffende Sammlung jetzt eben wieder in viele Hände kommt, nur einige Strophen von besonderer Bedeutung hier mitzutheilen brauchen:

Jetzo, wo die Nachtigall<--! Keine Zeilennummerierung, weil nur auszugsweise zitiert -->
Schlägt mit mächt’gen Schlägen;
Wo der Rhein mit vollerm Schall
Braus’t auf seinen Wegen;
Wo die Dämpfer wieder zieh’n;
Wo die grünen Reben,
Wo die Blumen wieder blüh’n: –
Jetzt auf einmal eben
Denk’ ich wieder, wie im Traum,
Jener Nacht im Riesen etc.

Ich auch, der ich jene Nacht
Finster mit Dir zechte,
Ich auch, eben vor der Schlacht,
Biete Dir die Rechte!
Ja, auch ich steh’ kampfbereit,
Gleich sind unsre Zeichen: –
Mit Bewußtsein wag’ ich’s heut
Dir die Hand zu reichen!

Herz’ger noch, als dazumal,
Wag’ ich’s, einzuschlagen!
Schiefer Stellung volle Qual
Mußt’ ich damals tragen!
Noch nicht recht aus ganzem Holz
Schien auch Dir mein Leben;
Drum auch war ich noch zu stolz,
Mich Dir ganz zu geben!

Alles das ist nun vorbei!
Frei ward Lipp’ und Zunge,
Frei das Auge mir, und frei
Dehnt sich Herz und Lunge!
Vom Gedanken bis zur That
Schlug ich dreist die Brücke;
Hüben steh’ ich, und kein Pfad
Führt mich je zurücke!

Horch, o horch, die Nachtigall
Schlägt mit mächt’gen Schlägen,
Und der Rhein mit vollerm Schall
Braus’t auf seinen Wegen!
Alles keimt und Alles gährt,
Alles windet Kränze: –
Auch den herbsten Kelch geleert
Auf der Zukunft Lenze!)

Den andern Morgen, erzählte Hoffmann weiter, fuhr ich nach St. Goar, kehrte in die Lilie ein und besuchte Freiligrath, der daneben wohnte. Frau F. schien etwas verlegen. Als ich nach einigen Stunden wiederkehrte, war sie ganz freundlich und gesprächig. Geibel, den ich auch traf, blieb lange sehr ernst und zurückhaltend. Freiligrath schlug einen Spaziergang nach Oberwesel vor, Geibel betheiligte sich. In Oberwesel kehrten wir ein beim Wirth zum Pfropfenzieher. Wir aßen zu Nacht, tranken einen guten Wein und waren recht heiter. Ich sang viel, erzählte viele lustige Geschichten und suchte Alles zu vermeiden, was unangenehm hätte berühren können. Als ich anstimmte: „Deutschland, Deutschland über Alles!“ sagte Geibel: „Auf diesem Gebiete sind wir Eins!“ Um Mitternacht gingen wir heim, heiter und friedlich wie der schöne Sternenhimmel; über dem Loreleifelsen ging der Mond auf.

Den 3. Juli 1844 reiste ich nach Mannheim. Ich blieb einige Stunden in Mainz. Bei Victor von Zabern traf ich Freiligrath. Ich war nicht eben angenehm überrascht. Die Rhein- und Moselzeitung hatte auf eine mich sehr beleidigende Weise sich über unser Zusammentreffen in Coblenz ausgesprochen. Da von Freiligrath keine Widerlegung erschien, so nahmen meine Freunde an, daß er diesen Artikel verfaßt habe oder doch zu ihm in Beziehung stehe. Er erklärte mir nun, daß Beides nicht der Fall sei, und ich würde mich bald von seiner Gesinnung überzeugen.

Freiligrath wohnte mit seiner Frau in Kronthal, einer kleinen stillen Badeanstalt in einem waldigen Thale, die erst vor zehn Jahren in’s Leben trat. Wir besuchten uns wechselseitig, doch war ich öfter in Kronthal als er in Soden. Die letzten Tage vor meiner Abreise war unser Verkehr besonders lebhaft. Wir sahen uns täglich. Obschon es seinerseits keiner Erklärung mehr bedurfte, daß er ganz unserer Partei gehörte, so hielt ich es doch nicht für überflüssig, ihn als einen Gleichgesinnten zu begrüßen, zumal ich voreiliger Weise mein Mißtrauen früher in einem Liede ausgesprochen hatte. Den 2. August nahmen wir von einander Abschied ohne die tröstende Hoffnung, uns bald wieder zu sehen. Der Druck seiner neuesten Gedichte, („Ein Glaubensbekenntniß“ etc.) ward noch in diesem Monate vollendet, aber erst im folgenden (September) dem Buchhandel übergeben.

  1. Vergl. Jochmann’s Reliquien von Zschokke. 3, 232. – Hoffmann’s Gedicht macht sich über die mit fürstlichen Pensionen bedachten Dichter lustig.
  2. Vergl. Ein Glaubensbekenntniß. Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath. Mainz. Victor von Zabern. 1844. S. 307–314.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_585.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)