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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Nach der rückhaltlosen Erklärung im Vorworte zu denselben durfte sich die Presse gar nicht erst den Kopf zerbrechen, warum und wie Freiligrath in den Freisinn hinein gerathen war. Das Ereigniß war aber zu bedeutend und mußte besprochen werden, und da dies nur in regierungsfreundlichem Sinne geschehen konnte, so waren die Stimmen natürlich mehr wider ihn als für ihn. Die Allgemeine Zeitung stellte am 10. October in ihrer 284. Nummer mehrere Urtheile zusammen. Man ging darin sehr weit: man traute Freiligrath so wenig Selbstständigkeit zu, daß man ihn als einen zu seiner neuen politischen Richtung von mir Verführten hinstellte, und diese Albernheiten gingen dann später in die Geschichten der neuesten deutschen Literatur über.

Das Unangenehmste dabei für Freiligrath und mich war unstreitig, daß seine Verwandten und viele seiner Freunde ihn als den Verführten und mich als den Verführer ansahen. Freiligrath ahnte das und sendet es einem Freunde schon den 18. August von Mainz aus sein „Glaubensbekenntniß“ mit einigen Zeilen. Es ist mir lieb, daß ich dieselben in der Urschrift besitze; ich theile die betreffende Stelle daraus mit, um das zu bestätigen, was Freiligrath wollte, und daß es ihm nie eingefallen ist, einem Andern die Verantwortlichkeit seiner Schritte zuzuschieben:

„– – Eine Bitte hab’ ich Ihnen aber noch vorzutragen. Die nämlich, daß Sie sich veranlaßt finden möchten, meiner guten Schwiegermutter, Frau Prof. Melos in Weimar, einige Worte der Erläuterung und des Trostes zu sagen, wenn sie sich, wie ich vermuthe, über diese meine jüngsten Gedichte mehr oder weniger entsetzen sollte. Suchen Sie ihr die Ueberzeugung mitzutheilen, daß das Volk mehr zu bedeuten hat, als die Fürsten; daß ‚das Glaubensbekenntniß‘ ein aus innerem Drange hervorgegangenes Werk, daß es eine Nothwendigkeit ist, der ich ohne Widerstreben folgen mußte. Ein klares, verständiges Wort eines Dritten wird hier mehr und besser wirken, als alle directe schriftliche Auseinandersetzung von meiner eigenen Hand. Ich verlasse mich drum vertrauensvoll auf Ihre Güte und danke Ihnen im Voraus herzlich für Alles!“[1]




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 9. Gefunden und wieder verloren.


Nach der Schlacht bei Langensalza hatte ich in einem der größeren Lazarethe die Pflege der Verwundeten mit übernommen. In Folge dessen war mein Name auch nach außen bekannt geworden, ja sogar in die Zeitungen gedrungen, und so geschah es, daß ich schon nach wenigen Tagen zahlreiche schriftliche Anfragen aus der Ferne nach dem Verbleib und Befinden preußischer oder hannoverscher Krieger erhielt, welche dem Kampfe mit beigewohnt und den Ihrigen noch keine Nachricht gegeben hatten.

Unter meinen Verwundeten befand sich ein junger Dragoner vom hannoverschen Regiment Cambridge, der mich durch seine große Jugend und angenehme Persönlichkeit, mehr noch durch den festen Muth und die stille Resignation, mit welcher er eine schwere Verwundung des rechten Fußes ertrug, besonders interessirte. Um Wunde und Wundfieber nicht noch brennender und gefahrvoller werden zu lassen, bettete ich ihn in die Nähe eines Fensters, vor dem ein allerliebstes Blumengärtchen lag, dessen zahlreiche, in voller Blüthe stehende Rosen – es war zur Rosenzeit – ein köstliches Arom in den dumpfen, mit faulen Dünsten angefüllten Krankensaal einströmten. Und um die trüben Gedanken über sein herbes Mißgeschick zu vertreiben, brachte ich an der Decke des Saales zwei Lederriemen mit Griffen an, mittels deren er sich momentan erheben und einen Blick in’s Freie, in das Rosengärtchen, thun konnte, für ihn auf langem Schmerzenslager ein unschätzbares Glück.

An einem Morgen der ersten Woche, als das Wundfieber etwas abgenommen hatte und sein Befinden den Umständen nach sehr befriedigend war, lächelte er mir schon von Weitem entgegen. „Ich habe in vergangener Nacht einen recht angenehmen Traum gehabt,“ erzählte er bei meinem Nähertreten, „ich befand mich zu Hause bei der Tante. Sie müssen nämlich wissen, daß mich diese halb und halb erzogen hat. Meine Eltern waren immer so sehr betrübt, sie verloren fünf erwachsene Söhne und das machte besonders den Vater zeitweise ganz irre und tiefsinnig. Ich sollte durch ländlichen Aufenthalt und Beruf der Tücke des Familienübels entrissen werden und so geschah es, daß ich auf viele Jahre Stadt und Elternhaus verließ und zur Tante auf das Land zog, welche daselbst ein Gütchen bewirthschaftete. Der Seelsorger des Ortes unterrichtete mich, und bei der Tante und dem befreundeten Gutsbesitzer erlernte ich später die Landwirthschaft. Auf diese Weise bin ich gesund und stark geworden, um,“ sprach er bitter und mit feuchtem Blicke, „aus einem brudermörderischen, ganz unnützen Kampfe als Krüppel und Verstümmelter zurückzukehren. Aber lassen wir die trüben Gedanken. Ich hatte also einen recht angenehmen Traum von der Tante und … und …“ Hier schwieg er mit einem leichten Erröthen, ich aber machte neckisch die Fortsetzung und rief: „und einen noch schönern Traum von meinem lieben Mädchen.“ Er lächelte, drohte aber scherzend mit dem Finger und sprach: „Nicht zu laut, lieber Herr, es weiß es ja noch Niemand, selbst die gute Tante nicht!“

„Aber, junger Freund,“ erwiderte ich, „Sie sind heut so wohl und gutgelaunt, wollen Sie nicht der Tante und so weiter – nun, Sie verstehen mich – ein paar Wörtchen schreiben? Die Ihrigen wissen nicht einmal, ob Sie überhaupt noch leben!“

„Kann ich denn schreiben?“ rief er schmerzlich, „ich bin ja in dieser Lage ganz hülflos, auch vibriren immer noch alle Pulse und die Feder würde meiner Hand entsinken. Wenn ich freilich dictiren dürfte und Sie für mich schreiben wollten, ja; dann wäre ich mit Freuden bereit.“

Ohne Zögern holte ich das nöthige Schreibmaterial und schrieb sein Dictat, seinen Namen aber unterzeichnete er selbst.

„Weiter nichts, auch gar nichts?“ frug ich ihn scherzend. „Auch nicht ein kleines Postscriptchen, von wegen des …“

„Sie sind ein wahrer Quälgeist,“ antwortete er erröthend. „Nun, so geben Sie das Blatt noch einmal zurück; bitte, halten Sie noch eine Minute, aber,“ rief er neckisch, „nicht lauschen!“ Und so schrieb er noch eine Zeile, faltete das Blatt und übergab es mir zur Beförderung in die Heimath.

Als ich nach Beendigung meines Rundganges im Lazareth nach Hause kam, fand ich daselbst eine Menge Briefe vor, die meisten von Angehörigen der Verwundeten. Man denke mein freudiges Aufblicken: eines der Schreiben erschien von der Tante. Nun, die erbetene Nachricht war bereits unterwegs und sie fiel besser aus, als sie hoffte: ihr Liebling lebte noch.

Wie tief aber erschreckte es mich, als am andern Morgen einer der Krankenwärter meines Lazarethes mit der Liste der in der Nacht Verstorbenen erschien und mein Cambridge-Dragoner auch mit aufgeführt stand! Leider konnte der Bote, welcher erst am gestrigen Abende als Wärter eingetreten war, über die Ursache des unerwarteten Todes keine Auskunft geben, und so mußte ich mich einstweilen mit der Liste, eigentlich mit den ausgestrichenen und bekreuzten Nummern begnügen. Meines Dragoners also gekennzeichnete Nummer im Verzeichniß stimmte mit seinem Namen, so daß ich keinen Augenblick zweifelhaft sein konnte, und es blieb mir daher nichts Anderes übrig, als die Todesnachricht schleunigst an

  1. Soweit Hoffmann. Daß diese durch die große Bewegung der Zeit weit von der Aufmerksamkeit der Gegenwart zurückgedrängten Vorfälle unsern alten Dichter noch heute beunruhigen, bezeugten mir wenige Zeilen, die ich über diesen Gegenstand später noch von ihm erhielt und die den Schluß dieser Mittheilung bilden mögen: „Weder Freiligrath noch mir wollte es bisher gelingen, einer richtigen Ansicht über unser Verhältniß zu einander Geltung zu verschaffen. In der Zeit der politischen Rückwärtserei hatte die sogenannte gute Gesinnung freies Spiel und konnte ungestraft lügen und schimpfen auf Alles, was der herrschenden Partei nicht recht war oder gefährlich schien. Nun, wir wollen uns trösten: wimmelte doch die deutsche Literaturgeschichte bis auf die neueste Zeit von so mancherlei Irrthümern, die wie ein Erbgrind immer von Neuem wieder zum Vorschein kommen, trotzdem daß die gründlichsten Heilcuren versucht worden sind. – Als Freiligrath auf deutschem Boden wieder wandeln durfte, war er nicht wenig überrascht über die biographischen Notizen, die er über sich zu lesen bekam. Am 17. Juli 1850 schrieb er mir von Düsseldorf aus: ‚Perfider und gleichzeitig stupider ist noch wohl kein Gedicht von der Gegenwart ausgebeutet worden, als jenes von mir Dir zugesungene.‘ Schloß Corvey, 1. Juli 1867.
    H. v. F.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_586.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)