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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

herausgefordert und konnte des Vaters und des Sohnes Tod zugleich werden.“

Als ich meine Wohnung betrat, fand ich die drei Fremden, welche bei mir Herberge angenommen, noch vollständig wach und munter; die Sorge und Angst um die möglichen schlimmen Folgen der heutigen Begegnung mit dem Sohne ließ sie ruhelos. Meine ernste Versicherung seines Wohlbefindens führte sie endlich auf das Lager. Die armen, so schwer geprüften Dulder beruhigten sich im Laufe des Tages immer mehr, und als sie am nächsten Morgen ihr Kind verließen, geschah es mit der Hoffnung baldigen Wiedersehens in der Heimath.

„Die Wiedergenesung unseres Dragoners hatte längere Zeit einen erfreulichen Fortgang und schon glaubte ich ihn ganz außer Gefahr, als der Arzt plötzlich die Eiterung der Schußwunde für minder gut erklärte und fürchtete, schon am folgenden Tage zur Verhütung des Brandes den kranken Fuß amputiren zu müssen. Man erlasse mir die Beschreibung der Gefühle des Armen, welcher sich nun auf Lebenszeit verstümmelt sah; zwar klagte er nicht, aber die Augen standen ihm fortwährend voll Thränen. Ich selbst war tief bekümmert, denn der junge Mann hatte durch seine Anhänglichkeit und dankbare Gesinnung meine ganze Liebe erworben. Nach und nach fügte er sich in’s Unvermeidliche und dankte Gott, daß er ihm das Leben gelassen.

„Als ich von zu Hause wegzog,“ sprach er, „war ich so thöricht, zu den Meinigen zu sagen: ‚Entweder seht Ihr mich lebend, gesund und gerade wieder oder nie; als Krüppel komme ich nicht zurück, dann lieber todt!‘ Jetzt bin ich froh, wenn ich nur das Leben davon bringe, und selbst mein liebes Bräutchen wird sich an den Stelzfuß gewöhnen.“

Armer Mensch mit deinen schönen Hoffnungen! Als ich eines Morgens an sein Lager trat, fand ich ihn ungewöhnlich bleich und sichtbar verfallen. Ehe ich noch nach seinem Befinden fragen konnte, rief er unter Thränen: „Lieber, theurer Herr, ich habe mich in der verflossenen Nacht recht unwohl befunden; geben Sie Acht, es geht mit mir zu Ende, ich werde die lieben Meinigen und die Heimath nicht wieder sehen!“

Schon wollte ich ein Wort der Beruhigung sagen, ihm seine Befürchtungen ausreden, als er mir den Arm hin hielt und rief: „Fühlen Sie meinen Puls, in dieser Weise hat er nie getobt, und hatte ich nicht während der ganzen Nacht Schüttelfrost, den Vorboten des unausbleiblichen Kinnbackenkrampfes? Kann ich mich täuschen, ich, der ich diese verhängnißvollen Symptome fast an allen meinen sterbenden Cameraden hier so oft beobachtete und wahrnahm? O, Ihr lieben Eltern, und Du, herzliebe Tante, nun seid Ihr ganz verwaist! Und mein liebes Mädchen … Gott, Du prüfst mich hart, womit habe ich das verdient?“

Ich muß hier in meiner Erzählung abbrechen. Heut noch, nach mehr als Jahresfrist, thut mir das Herz weh, wenn ich des frühzeitigen Heimganges dieses hoffnungsvollen Jünglings gedenke. Noch an demselben Tage verschied er, in meinen Armen, an meiner Brust, und meine Hand war es, welche ihm das brechende Auge schloß; ich ließ ihn wie einen lieben Verwandten begraben und reichte ihm endlich die letzte Gabe: eine Hand voll Erde in das Grab.

Seinen Angehörigen theilte ich in aller Vorsicht und Schonung die Trauerkunde mit, aber sie erschienen nicht bei der Bestattung. Den Grund ihres Ausbleibens erfuhr ich bald: sie hatten einen zweiten Todten, den Vater, welcher bei Empfang der traurigen Nachricht, vom Schlage getroffen, leblos zu Boden sank. Erst am Jahrestage der Schlacht von Langensalza trafen sie hier ein, in tiefer und doppelter Trauer um Vater und Sohn. Die drei Frauen – errathet ihr die Dritte? – zerflossen in Thränen, als ich sie zum Grabe des Frühvollendeten führte, welches mit allen übrigen Erdhügeln der Gefallenen im schönsten Blumenschmuck lag.

Ich versuchte kein Wort des Trostes – was hätte ich sagen können, solch’ tiefes Weh zu lindern? – aber meine Thränen flossen ebenfalls und das that ihnen wohl.

„So fromm und gut und so gesund – der blühendste von allen Brüdern,“ klagte mit schmerzlichem Blick nach Oben die leiderfüllte Mutter, „und so frühe und schrecklich mußtest Du von hinnen; wie bitter für das Mutterherz!“

„Wie sie so sanft ruh’n, alle die Seligen, die gläubig kämpften den letzten Lebenskampf,“ also sangen die Sänger an den Gräbern, mit ihnen die Schaaren der Leidtragenden umher, und auch unsere Frauen stimmten leise und immer gläubiger und getrösteter mit ein. Als sie endlich am späten Abend den Friedhof verließen, geschah es in williger Ergebung unter die Hand Gottes, in stillem Frieden. Ihr Leid und meine Theilnahme hat uns zu Freunden für’s ganze Leben gemacht.




Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
28.

Das junge Mädchen war nur durch einige Straßen und über zwei Schwellen gegangen; aber welch’ äußeren und inneren Umschwung hatten diese wenigen Schritte bewirkt! … Die gewaltigen Steinmassen des alten Kaufmannshauses lagen hinter ihr und mit ihnen der Druck einer unwürdigen Behandlung. Hell und sonnig war es, wohin sie blickte – nicht der leiseste Zug jenes finsteren Zelotenthums trat ihr entgegen, das wie ein unheimlicher Nachtvogel über dem Hellwig’schen Hause kreiste und mit seinen Fängen jede arglos nahende Menschenseele zu packen suchte. … Eine freie, gesunde Weltanschauung, lebhaftes Interesse für Alles, was die Welt Schönes und Herrliches hat, und ein fröhliches, inniges Familienleben, das waren die Eigenschaften, die im Frank’schen Hause vorwalteten. Felicitas befand sich somit in ihrem eigentlichen Lebenselement. Es war ihr ein süß wehmüthiges Gefühl, sich plötzlich wieder mit all’ den Schmeichelnamen nennen zu hören, die Tante Cordula ihr gegeben hatte – sie war sofort das Schooßkind des Frank’schen Ehepaares geworden.

So sah die äußere Wandlung aus, die mit ihr vorgegangen, – vor der inneren, tiefgehenden stand sie selbst in süßer Befangenheit. … Sie hatte an jenem Abend auf die Aufforderung des Professors hin ohne Weiteres ihre wenigen Habseligkeiten liegen lassen; in der Hausflur hatte sie stumm ihre kleine Hand in seine Rechte geschmiegt und war mit ihm gegangen, ohne wissen zu wollen, wohin. … Und wenn er sie weiter geführt hätte durch die dunkelnden Straßen, zum Thor hinaus – sie wäre mit ihm gepilgert über die ganze Erde, ohne ein Wort des Widerspruchs oder des Zweifels. Sie war ein seltsames Geschöpf, das bei aller feurigen Phantasie, bei einem enthusiastischen, hochauffliegenden Geist doch unerbittlich eine feste Basis für alles Thun und Lassen forderte. Die innigen Liebesbetheuerungen des Professors, sein angstvolles Flehen hatten ihr das Herz zerrissen, aber sie waren weit davon entfernt gewesen, ihren Entschluß zu erschüttern, eine innere Umkehr zu bewirken – es mußte etwas ganz Anderes gesprochen werden, um dies Mädchen zu gewinnen, und er hatte es gethan, jedenfalls, ohne es zu wissen. Er hatte ihr bei Verweigerung des Buches gesagt: „Ich kann nicht anders handeln, und wenn mir als Preis die Versicherung geboten würde, daß Sie sofort die Meine werden wollten, ich müßte ‚nein‘ sagen.“ Trotz der angstvollen Situation, in welcher sie sich damals befand, hatte ihr Herz doch aufgejubelt – die Kraft des männlichen Entschlusses, der Nachdruck, mit welchem er zur Geltung gebracht wurde, selbst um den höchsten Preis – sie waren die einzige Lösung der Frage gewesen, und da war es nun, das Vertrauen, ohne welches sie sich ein Zusammenleben mit ihm nicht hatte möglich denken können!

Der Professor kam jeden Tag in das Frank’sche Haus. Er war ernster und verschlossener als je – es lastete viel auf ihm. Der Aufenthalt in seinem mütterlichen Hause war unerträglich. Wahrscheinlicherweise hatte die fortgesetzte, ungewöhnliche innere Aufregung endlich doch die stählernen Nerven der großen Frau erschüttert – sie wurde krank und mußte das Bett hüten. Sie weigerte sich zwar consequent, ihren Sohn zu sehen – Doctor Böhm mußte sie ärztlich behandeln –, aber der Professor war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_588.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)