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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Raume wird die ganze Luft dieses Raumes so mit übertragbarem Stoff erfüllt, daß alle in den Raum gebrachten Speisen nach einiger Zeit roth werden. Dieser Fall fand z. B. in dem obenerwähnten hiesigen Hause statt; alle dort seit dem 11. d. M. gekochten Kartoffeln zeigten beim Stehenlassen im Küchenschrank nach vierundzwanzig bis dreißig Stunden die rothe Färbung. Die Küche dieses in einer engen Gasse der innern Stadt gelegenen Hauses ist einer der häßlichen Räume, wie man sie in ältern Häusern nur leider noch zu oft zu Küchen oder gar zu Schlafgemächern verwendet findet. Die Küche wird auf das Spärlichste beleuchtet durch ein Fenster, welches Aussicht gewährt in einen engen Hof, der mit kalter, stagnirender Luft erfüllt ist, und ihr Anblick macht unwillkürlich das Bedauern rege für diejenigen, welche in einem solchen Raume täglich verweilen müssen. Licht, Luft und die wohlthätige Sonnenwärme, diese Grundbedingungen für alles gedeihliche Leben höherer Wesen, sie mangeln solchen Räumen und können daher auf das dort bald aufwuchernde Leben niederer Geschöpfe nicht ihren vernichtenden, für uns Menschen deshalb so wohlthätigen Einfluß ausüben. Wir müssen uns nach chemischen Mitteln umsehen, wenn wir in dortigen Räumen das Leben solcher unwillkommener Gäste zerstören wollen, und finden bei unserer Umschau in dem Chlorkalk, den wir in angefeuchtetem Zustand an solche Orte stellen, das geeignetste Mittel.

Der Farbstoff, welchen diese Thierchen während ihres Lebensprocesses erzeugen, ist nach den Untersuchungen von Erdmann in Berlin identisch mit dem vor wenigen Jahren entdeckten Anilinroth, welches bekanntlich aus dem Steinkohlentheer durch chemische Mittel gewonnen wird. Man kann mit dem Farbstoffe Wolle und Seide in allen Schattirungen des Rosenroth, wie mit Anilinroth färben. Auch die Haut der Finger läßt sich damit ächt färben. Ammoniak entfärbt den Stoff, Säuren stellen die rothe Farbe wieder her, gerade so wie dies bei Anilinroth der Fall ist. Erdmann glaubt, daß die eiweißartigen Bestandtheile der Nahrungsmittel in Folge des Lebensprocesses dieser kleinen Wesen in ähnlicher Art in Kohlensäure, Farbstoff, riechende Säuren etc. umgewandelt werden, wie dies mit Zucker geschieht, welcher bei der Gährung während der Vegetation der Hefezellen in Kohlensäure, Alkohol und einige andere Producte verwandelt wird. Ehrenberg erklärt dagegen die Thiere selbst für gefärbt. Meine Beobachtungen stimmen mit denen Erdmann’s überein.

Das Wunder des blutenden Brodes, der blutenden Hostien oder der rothen Milch, welches zu allen Zeiten durch sein Erscheinen die Menschen in Aufregung brachte, welches das Herannahen des jüngsten Tages verkünden sollte, wohl hauptsächlich weil der Prophet Joël prophezeit: es komme am jüngsten Tage Blut, Feuer und Rauchdampf zum Vorschein; die wunderbare Erscheinung, welche ganz besonders im Mittelalter zu den schrecklichsten Judenverfolgungen, zu zahllosen Mordthaten und anderen Ausartungen finsteren Aberglaubens Veranlassung gab, welche mit Pest und Cholera, diesen Geißeln der alten und der neuen Zeit, in Zusammenhang gebracht wurde, sie wird hervorgerufen durch ein Infusionsthierchen.

Streng wissenschaftliche Untersuchung hat auch dieses Wunder der alten Zeit als eine natürliche Erscheinung erklärt. Der Schleier, welcher noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts über die Erscheinung gedeckt war, er ist durch die Forschungen von Ehrenberg und Erdmann zerrissen und entfernt. Wir sehen darüber jetzt so klar wie über verschiedene ähnliche Erscheinungen, die uns gleichfalls hauptsächlich durch Ehrenberg’s Forschungen erklärt worden sind. Der Blutregen, der rothe Schnee, das Erscheinen von Blutstropfen auf feuchter Erde, das Blutschwitzen von Gerippen, Statuen und Bildern, das Umwandeln des Wassers der Quellen und Teiche in Blut u. a. m. sind alles Erscheinungen, welche entweder durch Infusorien, durch Pilze und Algen, Insectenauswurf z. B. von Schmetterlingen oder durch Passat- oder Meteorstaub hervorgerufen werden. Die schön rothen Stellen, welche man öfters in rohen Eiern beobachtet, sind bekanntlich die ersten sichtbaren Zeichen einer beginnenden Entwicklung des Hühnchens.

Am Schlusse dieses ersten Theils meiner Mittheilung erscheint es zweckmäßig in Kürze einen geschichtlichen Ueberblick zu geben über die wissenschaftlichen Untersuchungen, welche über diesen Gegenstand vorhanden sind. Zum ersten Mal ist die Sache wissenschaftlich untersucht worden von Sette in Padua 1819. Er hielt die Ursache der Färbung für einen eigenthümlichen Pilz oder Schimmel, nannte denselben Zaogalactina imetrofa (auf Speisen wachsender Schleim) und verpflanzte ihn mit Erfolg auf verschiedene Nahrungsmittel.

Der Chemiker de Col in Padua färbte 1819 Seide mit dem Farbstoff und nannte ihn Mucor sanguineus (blutfarbiger Schimmel).

Die umfassendste Arbeit über diesen Gegenstand verdanken wir Prof. Ehrenberg in Berlin, der 1848 die Erscheinung zu beobachten Gelegenheit hatte. Er erklärte die gallertartige rothe Substanz für ein Haufwerk rother Monaden, die er Monas prodigiosa (wunderbare Monade) nannte. Es sind nach ihm 1/30001/8000 Linien große, ovalrundliche Körperchen, welche rasche, unregelmäßige Bewegung zeigen. Sie bilden nicht Ketten, wie Vibrionen, sondern sind Einzelthierchen, die wahrscheinlich einen kurzen Rüssel haben und sich durch Selbsttheilung fortpflanzen. Ehrenberg verdanken wir ferner auch eine Zusammenstellung geschichtlicher Thatsachen über diese zu allen Zeiten ihres Auftretens Aufsehen erregende Erscheinung.

Prof. Erdmann in Berlin, welcher die Erscheinung voriges Jahr beobachtete, beschreibt die Thierchen als farblose, ellipsoidische (stäbchenförmige) Vibrionen, deren Längsdurchmesser höchstens 15/10000, der Querdurchmesser höchstens 5/10000 Millimeter ist. Sie bewegen sich nach ihm in einer rothgefärbten Flüssigkeit, deren Farbstoff wahrscheinlich auf die schon vorher beschriebene Weise entsteht. Er ist geneigt anzunehmen, daß diese kleinsten Wesen, an welchen er das Vorhandensein eines Rüssels nicht beobachten konnte, möglicherweise identisch mit den Vibrionen sind, welche Pasteur in Paris bei der Buttersäuregährung beobachtet hat; um so mehr als man in der blauen und gelben Milch ganz gleiche Wesen findet, die Ehrenberg ihrer kettenartigen Form wegen zur Gattung Vibrio gestellt hat.

Meine Untersuchung des Phänomens führte, wie ich schon erwähnt habe, zu denselben Resultaten, wie sie von Erdmann veröffentlicht worden sind. Ich will hier nur noch anführen, daß ich auch Versuche über den Einfluß solcher rothgefärbter Speisen auf die Gesundheit von Thieren gemacht habe. Es wurden Sperlinge und Kaninchen mit stark gerötheten Kartoffeln oder Semmeln gefüttert, an diesen Thieren aber keine Veränderung wahrgenommen.

Von früheren Beobachtern sind keine Versuche in dieser Richtung gemacht worden. Sette erzählt nur, daß während der Zeit (1819), in welcher sich die Rothfärbung der Speisen sehr stark zeigte, in seinem Hause sechs Katzen starben, fügt aber hinzu, daß in einem benachbarten Orte eine tödtliche Katzenepidemie herrschte, die an seinem Wohnort allerdings nicht beobachtet wurde. Ferner führt er an, daß körnerfressende Vögel, durch Hunger genöthigt, von solchen Speisen zu genießen, dieselben mit gewaltsamen Bewegungen ganz wieder aus dem Kropfe herausbrachten und erst dann wieder munter waren, während sie vorher sehr ergriffen geschienen. Endlich wird aus Philadelphia von Mitchell mitgetheilt, daß, während dort 1832 die Cholera in der stärksten Entwickelung war, sich ein prächtig rother Schimmel auf Mehlspeisen zeigte und daß zur selben Zeit die Fliegen starben und mit einem weißlichen Staub erschienen. Ueber die Wirkung auf Menschen haben wir keine Erfahrung, weil es selbstverständlich Niemandem einfällt, von einer so auffallend veränderten Speise zu essen. In einem Raume, in welchem man die Monaden zu züchten sucht, ist, wie ich schon erwähnt habe, die Luft stark erfüllt von denselben und es werden diese kleinen Wesen deshalb auch von uns eingeathmet. Wie es scheint, geschieht dies aber ohne allen Nachtheil, denn ich fühle mich nach dreiwöchentlicher Beschäftigung mit dem Gegenstande vollkommen gesund, obwohl ich mich bisher täglich acht bis neun Stunden in dem Versuchszimmer aufhielt. Auch frühere Beobachter erwähnen nicht, daß sie einen Einfluß auf ihren Körper wahrgenommen hätten. Dagegen bin ich endlich sehr empfindlich geworden gegen den widerlichen Fäulnißgeruch, den derartig geröthete Speisen sehr bald verbreiten. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung von Leipzig ist zur Zeit ein ganz vortrefflicher, von einer epidemischen Krankheit ist nicht das Geringste zu bemerken. Ich erwähne dies besonders, weil der Glaube, als hänge diese Erscheinung mit dem Auftreten epidemischer Krankheiten, namentlich mit der Cholera, zusammen, leider immer noch im Volke verbreitet ist. Auch Ehrenberg trat dieser Ansicht schon öffentlich entgegen. Als sich im Jahre 1851 Anfang August diese Erscheinung wieder auf Fleisch in einem Hause in Berlin zeigte, legte Ehrenberg der Akademie geröthete Speisen vor, die er seit zwei Monaten künstlich mit der Monade besäet hatte, und bemerkte dabei: Da man in Berlin in diesem Jahre die epidemische Cholera gar nicht beobachtet hat, auch sonst keine verderbliche Epidemie stattgefunden, so möge die obige Erscheinung den Aberglauben entfernen helfen, als seien blutartige Färbungen der Speisen nur bei solchen Epidemien vorhanden.

Dr. C. R. König in Leipzig.




Gestörte Abendmahlzeit. (S. Seite 589.) Wir glauben unseren Lesern zutrauen zu dürfen, daß sie beim ersten Blick auf diese Illustration den Griffel des Meisters erkennen, dem die Gartenlaube schon so manches schöne Bild verdankt. Es ist Ludwig Beckmann, der berühmte Thiermaler und Thierkenner, welcher über den Gegenstand seiner Darstellung uns Folgendes mittheilt: Drei junge Häschen – von der Mutter bereits sich selbst überlassen – haben sich gegen Sonnenuntergang zum ersten Male aus ihrem Versteck im hohen Wiesengrase hervorgewagt, um auf einem freien Plätzchen jungen Klee und zarte Blättchen zur Abendmahlzeit aufzusuchen. Da führt ein unglücklicher Zufall den Erzschelm Reineke über den Wiesenpfad und der verrätherische Wind hat seiner feinen Nase sofort den Aufenthalt der drei harmlosen Gesellen kund gethan. In weitem Bogen, vorsichtig auf dem Bauche dahinkriechend, hat Reineke sich unbemerkt herangeschwindelt und steht nun plötzlich, wie aus der Erde hervorgewachsen, dicht hinter seinen unglücklichen Schlachtopfern.

Das erste Häschen – links im Vordergrund – scheint noch keine Ahnung der drohenden Gefahr zu haben, es knabbert lustig weiter im saftigen Blätterwerk; das mittlere aber hat ein leises Rascheln vernommen und richtet sich auf, vielleicht in der sichern Erwartung, die lang vermißte Mama einmal wieder zu sehen. Allein statt der bekannten mütterlichen Visage erblickt unser Häschen plötzlich ein wildfremdes, spitzschnauziges Gesicht, dessen grünfunkelnde Augen eben nichts Gutes verheißen. Verblüfft glotzt das Thier die unheimliche Erscheinung an, den halbverzehrten Kleestengel vor Schrecken unbeweglich zwischen den Zähnen haltend. Aber auch sein Brüderchen zur Rechten hat bereits Verdacht geschöpft; es sah und hörte die Halme sich bewegen, wagt indessen kaum die bereits halb erhobenen Löffel völlig aufzurichten und schielt in seiner Herzensangst rückwärts nach dem verdächtigen Gegenstande, bereit, bei dessen geringster Bewegung Reißaus zu nehmen. Allein Reineke weiß sehr wohl, daß die Unglücklichen wie festgebannt an ihrem Platze verharren werden, so lange er sich nicht rührt; er steht daher unbeweglich wie ein Steinbild, und während sein Auge bereits vor Mordlust funkelt, überlegt er nur noch, in welcher Reihenfolge er die drei Brüder wohl am sichersten erschnappen möge!




Inhalt: Der Habermeister. Eine Geschichte aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. – Die Schule auf dem Wald. Ein Friedenswerk aus den Befreiungskriegen. Mit Abbildung. – Freiligrath und Hoffmann von Fallersleben. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 9. Gefunden und wieder verloren. – Das Geheimniß der alten Mamsell. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Das Wunder des blutenden Brodes und der blutenden Hostien I. – Gestörte Abendmahlzeit. Mit Illustration von Ludwig Beckmann.




Für die 3000 Abgebrannten von Johann-Georgenstadt öffnet den Opferstock auch die Gartenlaube.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_592.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)