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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 38.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Der Metzger erwiderte nichts und wandte der Richtung, wo der Wagen immer näher heran rollte, den Rücken zu. Die Meisten der Anwesenden aber sahen den Kommenden mit desto größerer Aufmerksamkeit entgegen und flüsterten einander ihre Bemerkungen über Gespann und Wagen und dessen Besitzer zu.

„Sie sind’s wahrhaftig!“ sagte der junge Bauer wieder. „Das ist die Aichbauern-Susi – ich bin ihr manch’ liebes Mal zu Gefallen gegangen, aber ich hab’ sie nit wieder erkannt! Was ist das noch vor anderthalb Jahren ein lebfrisches Bauernmadel gewesen und jetzt …“

„Ja,“ erwiderte der schnauzbärtige Alte, „die hat die Stadt einmal hergericht’ auf den Glanz, – man meint, sie müßt’ sterbenskrank sein, sie thut ordentlich leuchten, so blaß ist sie …“

Inzwischen war das Fuhrwerk herangerollt und hielt vor dem Wirthshause an; ein feiner ungarischer Korbwagen, mit einem Paar schöner Schweißfüchse bespannt, welche unter Stampfen und Schnauben der sicheren Lenkung des Mannes im Wagen gehorchend anhielten. Er war ganz schwarz gekleidet, und dieser Umstand sowohl, als der schmale weiße Hemdkragen, der sich über die ebenfalls dunkle Halsbinde legte, machten es wohl erklärlich, daß die Bauern von seinem geistlichen Aussehen sprachen, zumal wenn er den Hut wie zum Gruße abnahm, und das kurz geschorene Haar zeigte. Sein Gesicht war wohlgeformt und von einem freundlichen Lächeln belebt; aus den blauen Augen blickte ungemeine Sanftmuth, wenn sie auch vermieden, lang auf einem Gegenstande zu verweilen, und ein rasches Blinzeln nach der Seite hin manchmal dem ganzen Ausdruck etwas Tückisches und Lauerndes gab. Auch die Erscheinung des neben ihm sitzenden Mädchens widersprach den Bemerkungen nicht, welche die Landleute schon bei ihrem Herannahen ausgetauscht hatten, – von den Kleidern, die sie trug, war nicht viel mehr als der städtische Zuschnitt zu gewahren: die ganze anscheinend sehr schlanke Gestalt zwar in ein großes faltiges Umschlagetuch eingehüllt, als habe sie trotz der Sonnengluth das Verlangen, sich vor Frost zu schützen; sie lag in die Wagenecke gelehnt, und das schön geformte bleiche Antlitz, von pechschwarzem Haar umrahmt, war in das Kissen zurückgesunken, mit geschlossenen Augen, als wäre sie von der Fahrt bis zur Erschöpfung angegriffen oder zum Tode krank.

Der Mann stieg ab, reichte dem herbeigeeilten Hausknecht die Zügel hin und rief dabei mit süßem Lächeln und in einem so gerührt zärtlichen Tone, als gälte es der Begrüßung des ältesten und vertrautesten Freundes: „Schau, schau, der alte Dick’l ist auch noch auf der Welt! Ist das eine Freude, wenn man so einen alten Bekannten wieder sieht! Versorg’ mir fein die Fuchsen gut – Du weißt ja, daß es geschrieben steht, der Gerechte soll sich auch des Viehs erbarmen! Lauter alte bekannte Gesichter,“ fuhr er fort und blickte im Kreise umher. „Das thut Einem wohl – man meint gar nicht, daß man fort gewesen. … Ah, sieh da, der Herr Lehrer auch hier … das ist noch das größte Vergnügen … ein Mann, dem ich so Vieles verdanke! Sie kennen mich wohl gar nicht mehr, Herr Lehrer?“ rief er hinzutretend und faßte nach den Händen des Begrüßten.

„Wie sollt’ ich nicht?“ erwiderte derselbe, aber er konnte Augen und Hände von der Pfeife nicht losbekommen, die er eben zu stopfen begonnen hatte.

„Freilich, freilich, wie sollt’ er nicht, der Herr Lehrer!“ rief der Metzger. „Hat er uns doch erst vorhin Schul’ gehalten und hat uns erzählt, daß er jeden Baum aus seiner Baumschul’ beobachtet und kennt, und wenn er sich auch noch so krumm ausgewachsen hat …“

Ein scharfer Seitenblick des Angekommenen streifte nach dem Spötter hinüber, aber im Augenblick war das alte freundliche Lächeln wieder da. „Schau, schau, der Herr Staudinger auch da!“ rief er etwas gedehnt. „Immer gesund und wohlauf, wie ich sehe – und auch immer der Alte, immer voll Spasseteln! Sie haben sich ja langmächtig nicht mehr sehen lassen in der Stadt … Sie sind wohl …“

Er vollendete nicht, denn seine Augen blieben an Franzi haften, welche eben vom Hause herankam, nach dem Begehren der neuen Gäste zu fragen; er war so überrascht, daß ihm das Wort im Munde stecken blieb, und aus seinen Augen funkelte etwas, was nicht übereinstimmte mit dem sonstigen mild gelassenen Auf- und Niederschlag derselben. „Franzi,“ rief er auf das Mädchen zueilend, „bist Du’s denn wirklich? Da hätt’ ich mir ja eher des Himmels Einfall erwartet, als daß ich Dich in der Kreuzstraßen finden thät, als Schenkkellnerin! Du bist aber schön geworden, seit ich Dich nimmer gesehen hab’ … laß Dich doch nur recht anschau’n und Dir herzhaft Grüß Gott sagen!“

Damit war er ihr näher getreten und wollte ihr in vertrauter Weise den Arm um die Hüften legen, aber ehe er recht wußte wie, war sie ihm entschlüpft. „Ich dank’ schön,“ rief sie, „wünsch’ auch meinerseits wohl zu leben, Herr Aicher!“

„Herr Aicher!“ rief er etwas verdutzt. „Red’st Du so mit mir und thust so fremd? Sind wir denn nicht mit einander aufgewachsen, bist Du denn nicht meine Ziehschwester und meine Spielcameradin gewesen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_593.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)