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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

keuchte das Mädchen, indem es fortwährend vergeblich rang sich von der unsaubern Umschlingung zu befreien. Es gelang ihr nicht, denn ihr Widerstand reizte den Trunkenbold nur noch mehr. „Spreiz’ Dich nit,“ schrie er wieder, „je zuwiderer Du Dich anstellst, desto mehr bin ich versessen drauf … ich muß wissen, wie ein Bussel von dem Göschel schmeckt, das so curagirt reden kann. Und wenn ich mit dem Teufel drum raufen müßt’, ein’ Bussel muß ich haben…“

Die Stellung des hinterrücks und unvermuthet überfallenen Mädchens war eine sehr ungünstige und der Nußbichler nahe daran, sie niederzuzwingen. „Schämt Ihr Euch nicht?“ rief sie glühend vor Entrüstung den Bauern zu, welche dem Ringen und Zerren, an dem sie nichts Besonderes finden mochten, mit lachender Gleichgültigkeit zusahen. „Seid Ihr Männer und helft einem Madel nit gegen einen solchen Wildling?“

Die Bauern rührten sich nicht; der fromme Herr Waldhauser war einige Schritte seitwärts gegangen, um den Gräuel nicht mit ansehen zu müssen; der dicke Metzger lachte höhnisch vor sich hin und rief: „Helfen?! Was nicht gar! Wer wird sich in die Cameradschaft mischen! Wirst Dich doch vor Deinem guten Freund nicht fürchten, um den Du Dich so angenommen hast!“

Der Einzige, der hinzutrat, war der Lehrer, aber der bejahrte Mann konnte nicht daran denken, es körperlich mit dem unbändigen, vom Trunke erhitzten Menschen aufzunehmen, er mußte sich auf gütliches Zureden beschränken. „Schäme Dich, Alisi,“ sagte er und faßte ihn am Arme, „Du hältst Dich immer darüber auf, wenn die Leute gering und schlecht von Dir denken; es ist kein Wunder, daß sie es thun, wenn Du Dich so aufführst…“

Die begütigenden Worte hatten keine andere Wirkung, als Wassertropfen in lodernde Flammen gespritzt; der Nußbichler wurde nur noch wüthender, er stieß den Lehrer zurück, daß er taumelte. „Wer hat mir was einzureden?“ schrie er. „Wir Zwei haben’s allein auszumachen miteinander … den will ich sehen, der sich dreinmischen will…“

Schon hatte er das vom Widerstande fast athemlose Mädchen fest in die Arme geschlossen, als er, von kräftiger Faust geschleudert, zusammenstürzte und unter den Tisch kollerte, als ob er nie auf den Füßen gestanden wäre. Ein junger Bauer stand zwischen ihm und Franzi, eine schöne schlanke Männergestalt, frisch und kräftig wie eine junge Eiche. Die Faust über dem Liegenden erhebend, den Fuß auf seine Brust, stand er wie ein siegreicher Ringkämpfer vor dem bezwungenen Gegner da und rief: „Da lieg, Du Loder, Du nichtsnutziger, und rühr’ Dich nicht mehr, oder ich vergeß’ mich und schaue Deinen wüsten Schädel für eine Trommel an! Wenn Du unter Leuten sein willst, so lern’ erst, wie man sich aufführt unter den Leuten … bis dahin kriech’ in den Stall, wo Du hingehörst, und schlaf’ Deinen Rausch aus…“

Eingeschüchtert und beinahe nüchtern geworden krümmte sich der Lumpensammler vom Boden auf und kroch hinweg, wie ein bissiger Hund, der minder dem empfangenen Fußtritt gehorcht, als er das fest und klar auf ihn gerichtete Auge des Mannes scheut, in dem er seinen Herrn und Meister gefunden. Die Andern saßen und standen ohne Laut und Bewegung, wie sie bei dem unvermutheten Erscheinen des jungen Mannes gesessen und gestanden waren; das Auftreten und die Gestalt desselben war auch ganz dazu angethan, als sei er gewillt, wegen jedes unpassenden Wortes oder vorlauten Lachens sich ganz ernsthafte Aufklärung zu erbitten. Verlegen machte Meister Staudinger sich an seinem Geldgurt zu schaffen; der Holzhändler suchte nach den passendsten Worten, den Bruder zu begrüßen, aber mit innigem Wohlbehagen ruhte das Auge des Lehrers auf dem Ankömmling. Auch Franzi’s Augen hingen an ihm, aber was aus ihnen leuchtete, war nicht mit Worten zu bezeichnen – es war nicht Ueberraschung, denn sie fand es ganz natürlich, daß er so recht wie ein Engel vom Himmel dazwischen getreten war; es war nicht Freude zu nennen, denn Freude sagt zu wenig – es war nicht Entzücken, denn das ist überschwenglicher … es war die stille, innige Glückseligkeit, die, selbstlos und bescheiden, an einem verehrten Wesen hängt, fast ohne Wunsch und völlig ohne Hoffnung, nur befangen in der stillen Verehrung seiner Vortrefflichkeit.

Mit brennenden Wangen und leuchtenden Blicken stand sie und hielt die Arme über die Brust gekreuzt, als warte sie der Befehle eines gebietenden Herrn, sich ihnen zu beugen; Worte fand sie nicht, auch als der Retter, ein leichtes, freundliches, etwas herablassendes Lächeln in den Mienen, vor sie hintrat.

„Dasmal bin ich ja gerad’ recht gekommen,“ sagte er mit tiefer, volltönender Stimme. „Grüß Gott, Franzi, bist noch recht verschrocken? Komm’ nur zu Dir, der Loder wird Dich wohl in Frieden lassen künftig und ich denk’, mancher Andere auch…“

„Grüß Gott, Sixt,“ erwiderte sie, hielt aber gleich inne, sich zu verbessern. „Grüß Euch Gott, Herr Aicher, will ich sagen.“

„Das laß unterwegs,“ sagte er kurzweg. „Ich bin kein Herr, ich bin ein Bauer und will nichts Anderes sein, also laß es nur bei dem Sixt bleiben.“

„Wenn ich nur wüßt’, was ich sagen und thun müßt’, um Euch … um Dir zu danken, Sixt…“

„Der beste Dank wär’, wenn Du mir folgen thätst. Das ist kein Platz für Dich, Du bist viel zu gut für eine Kellnerin, die jeder Lump für ein Handtuch hält, an das er mit seinen schmierigen Tatzen hinlangen darf…“

Franzi schlug die Augen nieder; sie begann sich von ihrer Verwirrung zu erholen. „Man kann in jedem Stand brav und ordentlich sein,“ sagte sie halb leise, aber bestimmt.

„Dasselbige ist wohl wahr,“ entgegnete er, „und ein richtiges Leut, wie Du, die bringt’s auch zuwegen, aber Du hast es just geseh’n, wie’s doch gehen kann, und wenn ein Weg um den Berg herum in die Kirchen führt, ein guter und ein gerader Weg, warum sollt’ ich nachher den schlechten und steinigen aussuchen und übern Berg hinüber steigen? Es ist mir ein Stich durch’s Herz ’gangen, wie ich g’hört hab’, daß Du beim Gruber ausgestanden bist und Dich als Kellnerin verdungen hast – warum hast das gethan, Franzi?“

Sie schlug die Augen nieder und erröthete. „Das kann ich nit sagen,“ erwiderte sie mit sichtbarem Widerstreben, „keinem Menschen nit – und Dir auch nit,“ setzte sie hinzu, als ob sie den Eindruck ihrer Worte mildern wollte, „… ich hab mir’s vorgenommen, es soll ein Geheimniß bleiben, bis ich das ausgeführt hab’, was ich im Sinn hab’…“

„Das muß ja was ganz Besonderes sein,“ sagte er, „aber ich wundere mich nicht, daß Du schweigst … bist alleweil so gewesen, ich weiß ja noch nicht einmal, warum Du vom Aichhof fort bist, so Knall und Fall und wie der Tod kommt mitten in der Nacht… Oder ist das auch ein Geheimniß?“

„Nein,“ sagte sie und sah ihm mit festem Blick in’s Angesicht, „gern sag’ ich’s nicht, aber da ist nichts Geheim’s dabei und wer gewollt hätt’, der hätt’s leicht schon erfahren können, die Zeit her – ich bin nit freiwillig fort vom Aichhof, ich hab’ müssen…“

„Müssen?“ fragte er und trat staunend zurück.

„Denk’ an den Tag, Sixt, wo ich das letzte Mal auf dem Aichhof war … Du und der Bruder und die Susi, Ihr wart mit einander am Landgericht gewesen von wegen der Erbschaft und wegen der Vertheilung und seid in der Stuben am Tisch bei einander gesessen und habt gerechnet und getheilt und mit dem Vorsteher und den Beiständern geredt über dies und das… Ich war in der Kammer nebenan, wie Ihr ’kommen seid, und hab’ denkt, Ihr werdet nit lang bleiben, und so hab’ ich gewartet, damit Ihr mich nit herauskommen sehen und glauben solltet, ich hätt’ etwa horchen wollen … aber Ihr seid nimmer fort, und so bin ich gewesen wie eine Gefangene, und wenn ich auch den Schurz übern Kopf genommen hab’ und hab’ mir alle Müh’ gegeben, daß ich nichts verstehen sollt’ … ich hab’s doch hören müssen, wie der Vorsteher gefragt hat, wie es nun wohl mit mir sei und werde – und wie’s darauf hieß, davon sei gar nit zu reden, das verstünde sich ja von selbst … die Eltern, die mich wie eine Bauerntochter aufgezogen und gehalten hätten wie das Kind vom Haus, die wären jetzt todt – ich könnt’ wohl bleiben auf dem Aichhof – aber die Glorie hab’ ein End’ und ich müßt’ eben auch sein wie jeder andere Dienstbot …“

Der junge Aichbauer war sehr ernsthaft geworden. „Ja freilich,“ sagte er, „wenn Du das gehört hast, aber dann weißt Du auch, wer es gesagt hat! Der Waldhauser …“

„Ich weiß wohl,“ unterbrach sie mit abwehrender Geberde, „… es hat sonst Niemand so was gesagt, aber es hat auch Keins dawider g’redt … die Susi nit und auch Du nit, Sixt! Und wie ich fort bin in der Nacht mit meinem Bündel, wie ein wandernder Dienstbot’, da hat mich auch kein Mensch geholt und kein Mensch hat gefragt, warum ich wohl fort bin…“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_595.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)