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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Folge dessen vor eine Studentenversammlung geladen, um sich zu vertheidigen und zu rechtfertigen.

Diese Studentenversammlung wurde verboten, aber trotz dessen doch abgehalten, was natürlich zu Untersuchung und Gericht Veranlassung gab. Da Gottschall in der Versammlung auch gesprochen, so wurde mit ihm, als nicht immatriculirtem Mitgliede der Breslauer Universität, kurzer Proceß gemacht und er ohne Weiteres aus der Stadt verwiesen. Er protestirte, aber vergebens; er mußte wandern.

Die Studentenschaft bereitete dem Scheidenden ein glänzendes Geleite, zu seinen Begleitern gehörte auch Ferdinand Lassalle, schon damals ein glänzender philosophischer Kopf, mit dem unser Poet einen intimen Umgang hatte. Beide redigirten zusammen eine Studentenzeitung, zu der Lassalle philosophische Aufsätze, Gottschall keck hingeschleuderte Gedichte gab. In jener Versammlung hatte Lassalle seine Jungfernrede gehalten und verbüßte dafür seinen ersten Arrest im Carcer.

Gottschall begab sich nun nach Oberschlesien, wo er sich theils bei dem ihm befreundeten Grafen Reichenbach, theils bei einer alten Tante aufhielt. Er hatte jetzt Gelegenheit, „fern von Madrid“ über mancherlei nachzudenken, neue poetische Pläne zu schmieden und zur Abwechselung und Erholung Vögel und Eichhörnchen zu schießen. Ein Versuch, sich in Leipzig zum akademischen Bürger machen zu lassen, den er inzwischen anstellte, mißlang, und erst im Herbst 1844 erhielt er auf mehrfaches Anklopfen die Erlaubniß in Berlin fortstudiren zu dürfen, wo er gleichzeitig sein Jahr bei den Gardeschützen abdiente und neben seinen Studien lustig den militärischen Uebungen und Manövern oblag.

Jung, talentvoll, stattlichen Ansehens, ungebrochen von allen Widerwärtigkeiten, die ihn betroffen, voll Lebensdrang und Thatenlust, getragen von einer bewegten Zeit und vom Ruhme schon ausgezeichnet, konnte es nicht fehlen, daß in Berlin dem begeisterten Poeten ein neues, glückverheißendes Leben aufging. Aufgenommen in den sogenannten „Verein der Freien“, in dem die politische Debatte an der Tagesordnung war und die Freisinnigkeit jener Tage studentisch commercirte, Mitglied des „Rütli“, jener Kneipe des Humors, aus welcher später der „Kladderadatsch“ hervorging, war er zugleich auch ein Löwe der Salons und Gesellschaften. Er fand Eingang in die Cirkel der Gräfin Ahlefeldt, Zutritt bei Varnhagen von Ense und ward ein gern gesehener Gast im Hause von Theodor Mundt, in welchem zu jener Zeit alle Schöngeister Berlins verkehrten und nicht selten die ästhetische Parole ausgegeben wurde. Vor einem Kreise von jungen, schönen Mädchen und blühenden Frauen, vor bedeutenden und geistvollen Männern las, nein, recitirte er aus dem Gedächtniß sein Revolutionsdrama „Robespierre“, das er zu Hause zu sich gesteckt, aber unterwegs verloren oder irgendwo liegen gelassen hatte. Die ganze Versammlung erschrak und bekümmerte sich über den möglichen Verlust der Handschrift; Rudolf Gottschall aber lächelte und indem er lustig um sich blickte, rief er getrost: „Was thut das? Ich weiß alle fünf Acte auswendig. Was ich gedichtet, hab’ ich zugleich gelernt!“

Neben diesem „Robespierre“ ward in Berlin manches feurige und kühne Lied gedichtet, trotzdem er den Dienst als Soldat pünktlich versah und in seinem Fachstudium nicht auf der Bärenhaut lag. Rudolf Gottschall ist eben von jeher eine ganz außerordentliche Arbeits- und zugleich Lebenskraft gewesen. Unberührt von schweren Krankheiten, voll Ausdauer und rascher Fassungskraft, überwand er fast spielend die größten Schwierigkeiten. Er kannte keine ängstliche Schonung, keine vorsorgliche Entsagung. Bei Allem dabei, jedes Vergnügen theilend, keine Mühe scheuend, gab er so recht das Bild und den Eindruck unverwüstlicher Jugend, einer Jugend, die, sich im Fluge des Jahrhunderts fühlend, gleichsam mit der Weltkugel im Arme träumt.

Es freut uns noch heute, ihn so gesehen zu haben, in der nachdrängenden Masse der literarischen Jugend ihm gefolgt zu sein. Er war uns Allen weit und glänzend voraus. Es fiel ein seltener Schimmer auf seinen Weg, ein Schimmer vom echten Genie, das freilich nicht ganz gehalten hat, was es verhieß, weil gerade in seiner eigentlichen Entwickelungszeit, in seinem üppigsten Blüthemomente Weltstürme darauf hereinbrachen, die es in seiner gleichmäßigen und allseitigen Entfaltung beeinträchtigten: Gottschall hatte sich zu ungestüm, zu heftig den Bewegungen seines Jahrhunderts hingegeben, war zu sehr in sie aufgegangen, um nicht endlich deren Wirren und Rückschläge in seiner Schaffensfähigkeit zu empfinden. Diese Schaffensfähigkeit verwilderte etwas, überbot sich und verlor zu Zeiten die klare Einsicht und das Maß.

Es fehlte den früheren Dichtungen Gottschall’s, wie seinen Jünglingsjahren, Sammlung und Concentration. Es prasselte Alles darin auseinander. Noch unter dem 2. April 1849 konnte er uns über sich selbst Folgendes schreiben:

„Was uns allein Befriedigung gewähren kann, ist nach der einen Seite das Aufgehen im großen, geschichtlichen Leben, auf der anderen die geistige Productivität nach irgend einer Richtung hin. Momentane Verstimmungen, eine deprimirende geschichtliche oder persönliche Epoche sollen uns nicht irre machen. Das ist meine Lebensansicht! Herzensneigung – ich kann keinen großen Werth darauf legen, sie kann nicht das Leben ausfüllen, kaum ergänzen. Die Frauen werden die Schattenseite in meinem Leben und in meinen Stücken bleiben. Gutgestaltete, bürgerliche Verhältnisse würden mich auch nicht befriedigen, in Vielem stören. Eine Leidenschaft, stürmisch und vorübergehend, würde mich glücklicher machen, als eine Neigung, welche Dauer fordert und auf sie begründet ist. Ich bin eine Natur, welche das ätzende Gift des Jahrhunderts vollauf eingesogen, nichts Dauerndes leiden kann, nichts Festes, nichts Bestehendes. Ich bin ein Stück von dem negativen Geiste der Welt, der Zerstörung. So hab’ ich mich mir selbst construirt und zurecht gelegt. Darin such’ ich meine Bedeutung. Mir wird unwohl bei Allem, was dauert – sei es nun eine Liebe, eine Ehe, eine Staatseinrichtung, eine Religion, und wäre ich der liebe Gott, würde ich nicht einmal die Welt lange existiren lassen.“

Solche auf die Spitze getriebene, ungeheuerliche Ansichten waren damals häufig, und wenn die gewechselten Briefe jener Jugend einmal zu Tage kommen, wird man Aehnliches häufig bekundet sehen. Jeder Kopf von einigem Geist fühlte etwas von einem Danton und Robespierre in sich. Die Umsturztheorie lag in der Mode des Tages. Die öffentliche Meinung sprach im revolutionären Jargon des Sanscülottismus. Rudolf Gottschall gehörte zu ihren dichterischen Matadoren. Auch als er 1846 in Königsberg als Doctor promovirte, kam keine Ruhe in ihn und das Ministerium hatte wohl so ganz Unrecht nicht, daß es ihm, ehe es ihm die Erlaubniß, den Lehrstuhl zu besteigen, ertheilte, eine Bedenkzeit von einem Jahre stellte. Statt Professor der Universität, Dramaturg am Stadttheater in Königsberg geworden und später dem Stadttheater in Hamburg nahegestellt, hat er rasch nacheinander eine ansehnliche Zahl von Dramen verfaßt, die zwar Interesse erregten, aber keinen dauernden Erfolg errangen. Auch Gottschall’s Gedichte, 1849 gesammelt bei Hoffmann und Campe erschienen, schlugen nicht so durch, wie man erwarten durfte, obwohl der Poet selbst so etwas wohl voraussah, denn er richtete sich darauf ein, die Poesie ganz fahren zu lassen und eifrig Geschichte und Staatswissenschaft studirend sich zum Politiker, zum Parlaments- und Volksredner, wenn nicht gar zum Staatsmann zu machen.

Das Geschick hat indeß anders entschieden, Gottschall hat die politische Bühne eigentlich nie betreten, er hat sie lyrisch und dramatisch umkreist, er hat sogar als Zeitungsredacteur ihre untersten Stufen betreten, dann aber plötzlich Kehrt gemacht und die rein literarische Laufbahn erwählt.

Wesentlich zu diesem Umschwunge möchte wohl seine Verheirathung mit der Freiin Marie von Seherr-Thost beigetragen haben (einer jungen, blühend schönen Dame aus einer altadeligen Familie in Schlesien), die 1852 stattfand. Mit dieser kam die künstlerische Läuterung, kam die Zeit, in welcher Gottschall begann, das moderne Princip in Praxis und Theorie als das maßgebende für die neuere Literatur in den Vordergrund zu stellen, jenes moderne Princip, das nicht mehr blos vernichtend und zerstörend, sondern schaffend und aufbauend verfahren will und kann.

Seine „deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“, die 1854 erschien, war das erste Werk, in welchem er dies erprobte, und nun einmal auf einen neuen Standpunkt gelangt, begann er eine wahrhaft staunenswerthe Thätigkeit zu entwickeln. Zunächst erscheint noch 1853: „Die Göttin. Ein hohes Lied vom Weibe“ und schon 1854 gleichsam als hohes Lied vom Mann: „Carlo Zeno“ u. a. m., und endlich ist eine ganze Reihe von Dramen zu nennen, die eben jetzt gesammelt bei F. A. Brockhaus ausgegeben werden und zur Zeit in sechs

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_598.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)