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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Bändchen vorliegen, welche der Reihe nach enthalten: „Pitt und Fox“, Lustspiel in fünf Aufzügen; „Mazeppa“, geschichtliches Trauerspiel in fünf Aufzügen; „Die Diplomaten“, Lustspiel in fünf Aufzügen; „Der Nabob“, Trauerspiel in fünf Aufzügen; „Katharina Howard“, Trauerspiel in fünf Aufzügen, und „König Karl XII.“, geschichtliches Trauerspiel in fünf Aufzügen.

Wer diese Arbeiten unbefangen prüft, der wird einräumen müssen, daß sie alle mehr oder minder eine großartige Begabung bekunden. Gottschall zeichnet in mächtigen Umrissen und kühnen Strichen, unterstützt in der Ausführung durch eine wahrhaft hinreißende Gewalt der Sprache. In der Tragödie verfügt er über den Pomp und das Pathos im Schiller’schen Genre und im Lustspiel über den geistreichen und glänzenden Dialog eines Scribe – zwei Gegensätze, die man selten vereinigt finden wird. Wenn trotz dessen nur ein paar seiner Stücke – namentlich „Pitt und Fox“ und „Katharina Howard“, ohne Zweifel zwei seiner glänzendsten Arbeiten – repertoirefest geworden, so liegt das zum Theil in den Stoffen, zum Theil in der Mangelhaftigkeit der Motivirung und ganzen Behandlungsweise. An Gottschall’s späteren Schöpfungen rächt sich noch immer seine tumultuarische, so zu sagen forcirte Jugend. Die wegwerfende Behandlung, die er und viele seiner Zeitgenossen den zarteren Regungen des Herzens, der Welt der anheimelnden Empfindung, dem stillen Wesen des Weibes und ihrem häuslichen Wirkungskreise zu Theil werden ließen, hat seine Muse einer gewissen Innigkeit und Wärme, eines traulich anmuthenden Reizes beraubt. Ihre Gestalten haben kein rechtes Zuhause; sie bewegen sich immer wie in der Fremde; besonders die weiblichen Erscheinungen leiden darunter, weil ihnen jener intime Hintergrund seelischen Behagens mangelt, welchen die Deutschen lieben und Schiller durch eine Sentimentalität ersetzte, deren unsere jungen Heldendramatiker sich schämen zu müssen meinten.

So viele Fehler Gottschall’s dramatische Arbeiten aber auch haben, das müssen wir einräumen, daß er von Hause aus unter den jüngeren deutschen Dramatikern einer derjenigen ist, die so zu sagen Zeug dazu besitzen. An genialer Wurfkraft, Pomp der Sprache, Erfindungsgeist und Bewältigungsgabe des vorgenommenen Stoffes möchten Wenige ihm gleichkommen. In diesen Dingen steht er Hebbel wenig nach. Es hat ihm nur die Vertiefung bis jetzt gefehlt und diese mußte ihm fehlen, weil er durch Umstände und Verhältnisse genöthigt wurde, nach zu vielen Richtungen hin sich zu zersplittern.

Was die bürgerliche Existenz unseres Dichters betrifft, so ist sie in jeder Beziehung eine geachtete. Nach seiner Verheirathung war er zuerst nach Hamburg gezogen, siedelte von dort aber bald wieder nach Breslau über und lebt jetzt in Leipzig, wo er die im Brockhaus’schen Verlag erscheinenden Zeitschriften „Blätter für literarische Unterhaltung“ und „Unsere Zeit“ mit seltener Umsicht und außerordentlichem Fleiße redigirt.

F. W.




Bei den „Kindern der Sonne“.
Ein Bild aus der Weltausstellung von Franz Wallner.


„Also das nennt eine deutsche Eisenbahndirection einen Vergnügungszug!“ rief ich aus, als wir nach sechsunddreißigstündiger Qual im glühenden Sonnenbrand in Paris einfuhren und uns im Bahnhof länger als eine Stunde vergebens der Droschkenjagd befleißigten. Nun, so wünsche ich, daß die Eisenbahnvorstände alle Wochen ein solches Vergnügen mitmachen müßten! Der freche Kellner in Köln, welcher dem flehenden Gaste, auf seine Bitte um etwas Naturalverpflegung für schweres Geld, ganz ruhig antwortet, es sei ihm das „Gedrängle“ am Buffet zu groß, man möge sehen, daß man selbst etwas bekäme, kann sich noch, bei einigem Glück, zum Bahnhofswirth in Tergnier emporarbeiten, welcher nur jene Gäste in die Bahnhofslocalitäten einläßt, die noch einmal – was in Braunschweig bereits geschehen – ein vollständiges Mittagsbrod einnehmen oder wenigstens bezahlen wollen; der keinen anderen Christenmenschen in den Salon einläßt, aber auch keinen heraus, welcher sich nicht ausweisen kann, daß er bezahlt hat; der, unbekümmert um das Brüllen der vor Durst fast Verschmachtenden, die Thüren für sie schließt und durch ein paar stämmige Hausknechte vor kühnen Eindringlingen bewachen läßt. Jede Ordnung, jede, auch die nöthigste Rücksicht hört über die französische Grenze hinüber auf, es ist eben eine Heerde Schafe, die nach Paris getrieben wird und von welcher jeder das Recht zu haben glaubt, im Vorbeigehen jedem Einzelnen eine Hand voll guter Wolle auszureißen. Wo man halten will, hält man, ohne irgendwie die Heerde in Kenntniß zu setzen, wie lange sie in der brennenden Gluth zu schmoren hat. Für schlechtes Getränk und noch schlechteres Essen, wenn selbes noch irgendwo aufzutreiben ist, werden exorbitante Preise verlangt, kurz, ich finde es, bei dem bewältigend-großartigen Eindruck, den die Pariser Ausstellung auf jeden Gebildeten machen muß, zu entschuldigen, wenn sich Jemand das Geld zur Reise mit der Absicht borgt, es nie zurück zu zahlen; ich finde mildernde Umstände, wenn er es stiehlt; ich begreife, daß man Paris als Fußgänger zu erreichen sucht, wenn die Mittel zur Fahrt fehlen; allein es giebt keine Entschuldigung dafür, die Reise mit einem Vergnügungszug zwei Mal zu machen. Daher werden die Billets zur Rückfahrt von den Ankommenden an Speculanten verschleudert, die am Bahnhof lauern, um selbe den Reisenden um ein Spottgeld abzudrücken; sie benutzen die momentane Erschöpfung und Indignation der armen Deutschen, die gleich dem Seekranken mit Entsetzen an die Wiederholung ihrer Leiden denken. Man kann hier um zwanzig Franken Retourbillets von Paris nach Berlin bekommen. Bei der Ordnung und Pünktlichkeit, die auf deutschen, namentlich auf preußischen Eisenbahnen herrscht, halte ich es für meine Pflicht, die Vorstände derselben in diesem weitverbreiteten Blatte dringend auf die schreienden Uebelstände aufmerksam zu machen, deren Opfer der Vergnügungszügler von Köln an bis Paris werden muß.

Die Pariser Theater scheinen während der Ausstellung das allgemein hier herrschende Princip der Fremdenschröpfung ohne irgend eine äquivalente Gegenleistung bis zum Uebermaß cultiviren zu wollen. Sie geben ihre hundertmal abgenützten Ausstattungsstücke in einem Zustande, welcher den Glanz der ersten Erscheinung bis auf die letzten Flitter abgestreift hat, oder es kommen renommirte Piècen zur Aufführung, bei denen das dritte Glied der Künstler in’s Feld rückt, da die Koryphäen derselben sich meist auf Urlaub befinden. Dafür aber hat der Fremde die Ehre, nie Billets zu den gewöhnlichen Preisen zu erhalten, sondern er wird in die Bureaus gewiesen, die den Vorverkauf derselben gepachtet haben und deshalb jeden ihnen beliebigen Preis zu fordern berechtigt sind. Die Rücksichtslosigkeit der Theaterunternehmer gegen das Publicum übersteigt überhaupt jede denkbare Grenze; es wird z. B. im Hippodrome angekündigt, daß Herr Godard einen großen Luftballon wird steigen lassen, die Schaulustigen fahren für ihr schweres Geld ans Ende von Paris, bezahlen ihr theures Entrée und sehen sich als Zugabe eine Reitervorstellung an, die an Armseligkeit der Leistungen und Schmutz der Costüme Alles überbietet, was Reitergesellschaften dritten Ranges in kleinen deutschen Meßstädten leisten, man langweilt sich, in Erwartung der Luftfahrt, auf’s Aeußerste – allein die Luftfahrt findet nicht statt, sie bleibt fort, ohne ein Wort der Entschuldigung für die Anwesenden; „es sei zu leer und zu schlechtes Wetter,“ antwortet man uns ganz phlegmatisch. Als wir entrüstet das Local verlassen, steigt vom Marsfelde aus ein anderer Luftballon in die Höhe, dessen Unternehmer das Wetter nicht zu schlecht gewesen, weil sich dort mehr Publicum eingefunden. Im Theatre de la Gaité wird in der Posse „Bär und Bassa“ die spanische Tänzerin Percanena, „l’étoile d’Andalousie“ als Mitwirkende angekündigt, allein der andalusische Stern erscheint an diesem Abend nicht am Firmament des Gaitétheaters, ohne daß sein Ausbleiben irgendwie entschuldigt wird.

Mit der Erzählung von hundert ähnlichen Fällen könnte ich die Geduld des Lesers noch auf die Probe stellen. Wer seine Garderobe für den vierfachen Preis, den er dafür dem armen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_599.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)