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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ihr’s dann nit aus frei vor aller Welt, in offenem Sonnenschein? Warum kommen die Richter heimlich in der Nacht und ’trauen sich nit, ihre Gesichter zu zeigen? Es sollt’ kein Frevel sein und keine Sünd’, wenn Eins zu Grund gericht’ wird, auf sein ganzes Leben – und vielleicht doch unschuldiger Weis’? Wer ’traut sich’s zu verantworten, wenn das Gered’ unter den Leuten doch nit wahr wär’, wenn die Volksstimm’ sich irren thät…“

„Das ist unmöglich,“ entgegnete der Holzhändler, „man weiß, daß die Haberer Keinem was zu Leid thun, bevor nicht ein unbescholtener, hausgesessener Mann mit Leib und Leben, mit Ehr’ und Wehr dafür eing’standen ist, daß das wahr ist, was dem Beschuldigten vorgeworfen wird.“

„Das ist aber doch merkwürdig,“ rief höhnisch der Metzger, „wie sich die Jungfer gegen das Haberfeld einlegt und wie sie besorgt ist, daß ja einem schlechten Kerl ein Bissel zu weh’ geschehen könnt’!“

„Ja wohl,“ rief Waldhauser wieder, „ich mein’, es braucht sich kein Mensch vor dem Haberfeld zu fürchten, der ein gutes Gewissen hat.“

Franzi sah ihn durchdringend an, daß er davor die Augen niederschlagen mußte. „Das ist wahr,“ sagte sie, beinahe feierlich, „ein gut’s Gewissen ist das beste Kissen, auf dem sich’s am ruhigsten schlaft! Damit es aber lind bleibt und sich nit abliegt mit der Zeit, ist es gut, wenn man manchmal in sein Herz hineingreift und sich das Kissen aufrüttelt, und wer das richtig thut und dabei find’t, daß er mit sich selber nichts auszumachen hat … der kann sich bücken und den Stein auf ein’ Andern werfen!“

Sie ging; die Zurückbleibenden sahen einander an und schüttelten die Köpfe. Sixt war bei den letzten Worten aufgestanden und seitwärts getreten; ihm war wie Einem, dem in dunkler Gewitternacht ein Blitz auf einmal eine unbekannte, in Finsterniß begrabene Gegend enthüllt; Franzis Entfernung vom Aichhof, das Verlassen des Bauerndienstes, ihre Weigerung, die Gründe dafür anzugeben, ihr ganzes geheimnißvolles Wesen – Alles war ihm mit dem einen Feuerstrahl klar geworden, sie war sich einer geheimen Schuld bewußt, vor deren Entdeckung sie bangte; eine befleckte, vielleicht verbrecherische Vergangenheit lag hinter ihr. „Was es nur sein mag, was sie druckt,“ murmelte er in sich hinein, „es ist doch schad’ um das Madel, so bitterlich schad’, daß es mir fast leid thun könnt’! Aber sie hat sich von uns los gemacht, sie selber … was kümmr’ ich mich denn noch um sie? Sie ist mir eine wildfremde Person, die mich nichts mehr angeht, mein Leben lang … und wenn sie neben mir auf dem Weg liegen thät’ und ich sollt’ ihr helfen, nicht einen Finger thät ich rühren wegen ihr!“


2.

Ein scharfer Pfiff gellte vom Walde her über den Plan; Alles fuhr auf und blickte nach der Richtung, von welcher das Zeichen kam; an der Waldesecke unter einigen weiter vorgeschobenen Wettertannen stand ein Mann, der, die eine Hand an den Mund haltend, auf den Fingern pfiff, mit der andern sein Hütlein winkend schwenkte, wie zum Zeichen, daß man zu ihm kommen solle.

„Das ist ja der Holzknecht, der Taxen-Veitl,“ sagte, unter der emporgehaltenen Hand scharf hinüberblickend, der Weißbart. „Was will denn der Lapp? Er thut, als wenn wir Alle zu ihm hinüberkommen sollten… Es ist ihm aber nicht zu trauen, es wär’ nicht das erste Mal, daß er Einen in April geschickt hat!“

„Er hat zu uns her keinen weitern Weg, als wir zu ihm,“ sagte der Aichbauer und kehrte an seinen Platz zurück. „Hat er uns wirklich was zu sagen, so wird er wohl herüber kommen, wenn er sieht, daß wir uns um sein Pfeifen und Winken nicht kümmern!“ Ton und Geberde des jungen Mannes hatten etwas so Ruhiges und Entschiedenes, daß seine Worte auch gleich einer Entscheidung wirkten und Alle lachend sich wieder setzten. Lachend sahen sie hinüber, wie der Mann an der Waldspitze sich noch eine Weile abmühte, dann aber, von der Nutzlosigkeit seines Treibens überzeugt, sich gegen das Kreuzwirthshaus in Bewegung setzte.

„Er muß doch eine Botschaft auszurichten haben, und eine wichtige dazu,“ rief der Metzger, „er fangt ja gar zu laufen an. Vielleicht bringt er etwas wegen der Waldbegehung, von der ich etwas gehört habe.“

„Da könntet Ihr wirklich Recht haben,“ rief der Aichbauer, „ich wundere mich schon lange, daß sich der Herr Amtmann noch nicht sehen läßt und daß auch von unserm Widerpart, von den Westerbrunnern, sich noch kein Einziger eingefunden hat. Sollte ein Hinderniß eingetreten sein?“

„Es ist wirklich kein anderer Mensch, als der Taxen-Veitl,“ sagte der Weißbart, als der Laufende schon nahe genug herangekommen war, um genau erkannt werden zu können. „Und wie er ausschaut! Was giebt’s, Veitl, daß Du so auf der Schneckenpost daherkommst? Was bringst mit?“

„Fragt nit lang,“ erwiderte keuchend der Holzknecht, indem er ohne Bedenken nach dem nächststehenden Kruge griff, sich die ausgetrocknete Kehle anzufeuchten. „Reißt nit lang die Augen auf,“ fuhr er dann fort, „und nehmt den Weg unter d’ Füß’! Ich komm’ wie ein Wiesel daher gerennt vom untern Seekahr. Der Herr Amtmann ist dort und wart’ auf Euch, schon ein anderthalb Stunden lang, von wegen der Waldbegehung.“

„Das muß ein Irrthum sein,“ sagte der Aichbauer und zog ein Papier aus der Tasche. „Hier ist einer von den Verschaffzetteln, wie sie das Amt ausgeschickt hat, da steht es deutlich, Schwarz auf Weiß … daß heut’ die Waldbegehung stattfinden soll, daß die Osterbrunner und Westerbrunner zu Mittag im Wirthshaus an der Kreuzstraßen sein müssen und daß dann der Amtmann auch daher kommt und mit uns die ganze strittige Waldgrenze abgehen soll.“

„Was kümmert mich der Wisch!“ entgegnete der Holzknecht. „Derentwegen ist es doch so, wie ich sag’, und wird nit anders! Der Herr Amtmann hat sich halt anders besonnen … der Revierförster hat ihm sagen lassen, daß er einen schönen Bock wüßt’, der immer herüber wechseln thät, am untern Seekahr … da ist der Herr Amtmann halt ein Bissel auf den Anstand gegangen.“

„So?“ sagte der Alte und zog den weißen Schnauzbart in die Höhe. „Und uns bestellt man daher und laßt uns warten? Der Herr Amtmann geht auf die Jagd und unsere Angelegenheit, die das Wohl und Weh von zwei ganzen Gemeinden ausmacht, die wird auf die Seit’ geschoben und nur so nebenher abgemacht, so bei der Gelegenheit und unter der Hand?“

„Immerhin, Nachbar,“ sagte dazwischen tretend der Aichbauer, der indessen mit einigen Andern und mit dem Lehrer gesprochen, „aber wir verlieren die Zeit mit dem Geplauder, wir haben eine tüchtige Stunde, bis wir an den Seekahr kommen. … Wie wird es aber mit unsren Gegnern, mit den Westerbrunnern sein?“

„O die wissen Alles,“ sagte Veitl, „die sind schon lang an Ort und Stell’ – wie der Herr Amtmann in der Früh auf die Jagd gefahren ist, hat er ja bei Westerbrunn vorbei gemußt, es liegt ja kaum einen Büchsenschuß abseits von der Straß’ – da hat er hinein geschickt und hat ihnen die Bestellung ausrichten lassen!“

Der Schnauzbart des Alten kam in immer größere Gefahr, so grimmig wurde daran gezerrt. „So?“ knurrte der Mann. „Es kommt ja alleweil schöner! Also ist unser Widerpart schon an Ort und Stell’ mit dem Amtmann und plauscht ihm die Ohren voll? Gehört sich das? Alle beide Parteien müssen dabei sein, damit keine was vor der andern voraus hat – so gehört sich’s vor Gott und vor der Welt!“

„Freilich, so gehört sich’s,“ riefen Andere, „aber wir haben’s schon gehört, daß der neue Herr Amtmann ein gar eigener Heiliger ist.“

„Nun, nun, Nachbarn,“ sagte Sixt, „es ist eben auch ein neuer Besen – die kehren alle scharf! Besser wär’s ja, wir wären Alle beieinander gewesen und den Wald zusammen abgegangen – es wär’ vielleicht viel unnützer Rederei und Streiterei vorgebaut – aber das Unglück ist zu ertragen; wir werden auch das Maul aufmachen und wenn die Westerbrunner einen noch so großen Vorsprung haben, die Bäum’ und Felsen, die die Grenz’ machen, plauschen sie doch nit weg.“

„Aber wir sind derweil’ zum Narren gehalten,“ rief der Alte, der sich nicht beschwichtigen lassen wollte, „wir müssen da her sitzen und versäumen die Zeit.“

„Sei nit gar so harb und widerhaarig, Grubhofer,“ lachte Sixt, „so genau muß man’s nit nehmen! Mußt dem gestrengen Herrn das Bissel Jagdvergnügen nit so hoch anrechnen! Und Du wenigstens hast die Zeit nit versäumt; man sieht’s Deiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_610.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)