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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der Weg von Möhra über Altenstein einmündete. Wir wissen nicht, wie weit alle diese Anstalten schon gediehen waren, als Luther am Vormittag des 26. April mit seinen früheren Begleitern von Worms wieder abreiste, um über Oppenheim zurückzukehren, wo ihn erst nach zwei Stunden der kaiserliche Herold, Caspar Sturm, einholte und über Frankfurt bis Friedberg in der Wetterau geleitete. Von hier aus wurde der Herold, um ihn für den verabredeten Handstreich unschädlich zu machen, wieder zurück nach Worms mit Briefen an den Kaiser und an Spalatin geschickt, nachdem ein Ritter des jungen Landgrafen Philipp v. Hessen, der bereits für die neue Lehre sich begeisterte, das Geleit übernommen hatte.

Der starke Glaubensheld, der unerschrocken vor Kaiser und Papst stand und lieber mit dem Leben sein Wort besiegelt hätte, überließ sich jetzt ruhig der liebenden Sorgfalt seines Beschützers. Schon bei seiner Einkehr in Frankfurt schrieb er dem berühmten Maler Lucas Cranach nach Wittenberg, um ihn über sein Schicksal zu beruhigen: „Lieber Gevatter Lucas, ich segne und befehle Euch Gott; ich lasse mich einthun und verbergen, weiß selbst nicht wo, wie wohl ich lieber den Tod erlitten, muß aber doch guter Freunde Rath nicht verachten bis zu seiner Zeit. Es muß eine kleine Weile geschwiegen und gelitten sein. Ein Wenig sehet Ihr mich nicht und aber über ein Wenig sehet Ihr mich, spricht Christus. Ich hoffe, es soll jetzt auch so gehen.“

Noch war die Acht gegen Luther nicht öffentlich verkündet, aber der Ruf war ihm bereits von Worms aus wie ein geflügelter Bote mit der frohen Kunde von seinem mannhaften Auftreten auf dem Reichstage vorausgeeilt. Seine Rückkehr glich einem Triumphzug, denn die, welche ihm bei seiner Hinreise als einem gewissen Opfer des Priesterhasses nachgeschaut hatten, frohlockten jetzt ihm und seinen Freunden entgegen, ja sogar von mancher Seite, von welcher es im höchsten Grade unvorsichtig erschien. Vor Hersfeld nämlich begrüßte ihn der Abt mit einem Ehrengeleite von Rittern und Mitgliedern des Stadtraths, nachdem für eine treffliche Bewirthung im Kloster gesorgt war, denn von Grünberg aus, wo Luther übernachtet hatte, war die Kunde von seinem Eintreffen vorhergegangen, und trotz des kaiserlichen Verbots, nirgends zu predigen, sah sich doch Luther auf dringendes Bitten des Abtes dazu genöthigt. Bei seinem Weggang gab ihm dieser das Geleit, nachdem er seinem Kanzler abermals geboten hatte, den gefeierten Gast durch eine feine Mahlzeit in Berka an der Werra zu bewirthen. Vor Eisenach holte ihn ein ähnlicher Ehrenzug von Bürgern ein, und während er hier in seiner „lieben Stadt“ ruhig schlief, erhob sich in derselben Nacht zu Erfurt ein tobender Haufen seiner jugendlichen Verehrer, größtentheils Studenten, weil der Dechant des Severistiftes einen Anhänger der neuen Lehre, den Docenten der Universität Dr. Joh. Drach, bei einer gottesdienstlichen Handlung von den Stufen des Hochaltars gestoßen hatte. So drückte sich allenthalben die öffentliche Stimmung über den großen Mann in der verschiedensten Weise aus.

Den folgenden Tag (2. Mai) verweilte er in Eisenach, predigte daselbst noch in Gegenwart seiner Reisegefährten, die ihn nun bis auf den Professor der Theologie Nicolaus von Amsdorf verließen, um über Gotha nach Wittenberg zurückzukehren, während er, wie erwähnt, seitwärts nach Möhra[1] bei Salzungen zum Besuch seiner Verwandten fuhr, denn noch lebte hier seine alte Großmutter bei seinem Oheim Heinz Luther, einem schlichten Bauer, bei dem er selbst zu dem kurzen Aufenthalt einkehrte. Seine Großmutter sollte er zum letzten Male in seine Arme schließen; sie starb schon nach einem halben Jahr am 21. September. Auch seinen Bruder Jacob traf er da, doch läßt sich nicht angeben, in welcher Absicht derselbe von Mansfeld, wo er Bergmann war, dahin kam. Des anderen Tages (am 4. Mai) reiste er, nachdem er, der Sage nach, unter einer Linde vor den Bewohnern des Dorfes gepredigt hatte, unter Begleitung einer großen Anzahl derselben sowie seines Bruders Jacob, der über Waltershausen in seiner Gesellschaft nach Hause zurückkehren wollte, ab. Nach einer Lesart war auch der bekannte Myconius, Pfarrer zu Gotha, dabei. Das Fuhrwerk, einen schlichten Stuhlwagen, hatte der Stadtrath zu Wittenberg zur Reise nach Worms mitgegeben und jetzt ein Verwandter zu Möhra zwei frische Pferde vorgelegt. So ging die Reise durch das kleine Dorf Waldfisch, dann das größere Schweina, das man zwischen vier und fünf Uhr Nachmittags durchzog. Der steile Berg nach Altenstein, wo er seine Möhraer Verwandten zurückzukehren bat, erheischte, langsam zu fahren, deshalb war es schon etwas spät am Tage geworden, als man den Hohlweg unterhalb der Capelle erreichte. Hier sollte ihm plötzlich das Geheimniß, in das er noch nicht ganz eingeweiht war, gelöst werden, denn auf einmal sprengte aus dem Walde ein Reiter mit herabgelassenem Visir an der Spitze einer Schaar von vier Reisigen zu einem Angriff heran. Das Eintreffen des Wagens unterhalb der Capelle war also das verabredete Zeichen zu diesem Ueberfall gewesen. Ob ihn Berlepsch oder Burkhard Hund leitete, ist nicht bekannt, die Uebrigen waren nur reisige Knechte, Alle zusammen jedoch durch die Visire unkenntlich. Bruder Jacob sprang beim Anblick der Männer sofort vom Wagen und entlief. Der eine der Angreifer fällt darauf den Pferden in die Zügel, während er den Fuhrmann barsch anläßt, was er für Leute da führe; indem er ihm gebietet, stille zu halten, schlägt er ihn mit der Armbrust so, daß er unter ein Pferd herab rollt. Währenddem drängen sich die beiden Ritter an den Wagen mit der Frage, wer von den Reisenden der Luther sei, und als sich dieser zu erkennen giebt, hält ihm der eine die gespannte Armbrust mit dem Verlangen entgegen, sich zu ergeben. Seine Begleiter Amsdorf und Myconius bitten um Schonung, aber Luther, das Ereigniß sogleich würdigend, raunte dem Ersteren zur Beruhigung die Worte zu: „Confide, amici nostri sunt“ (sei gutes Muthes, es sind unsere Freunde). Darauf wird Luther vom Wagen gezogen, sein Priestergewand mit einem Gepner (Reitermantel) vertauscht und er in den Wald geführt und auf ein Pferd gesetzt.

Während die Angst um den theuren Bruder Jacob’s Schritte beflügelte, damit er so schnell als möglich die Trauerbotschaft von dem Ueberfall nach Waltershausen bringe, und Amsdorf und Myconius beruhigt über die Dörfer Schmerbach und Langenheim dem Städtchen zufuhren, zogen die Ritter Luthern tiefer in den Wald hinein und banden einen Mann auf ein zweites Pferd, als hätten sie auf einem Streifzug einen Verbrecher gefangen. Nun galt es überdies, da es noch nicht dunkel geworden war, sich den Anschein zu geben, als sei ihr Ziel nicht die Wartburg, denn sonst hätten sie die Richtung nach Ruhla oder Etterwinden einschlagen müssen, sondern sie nahmen die Direction nach dem Inselsberg zu, um den Wanderer oder Waldarbeiter, der ihnen aufstoßen könnte, über ihre Absicht zu täuschen; deshalb zogen sie über den sogen. Reiterstieg den Weg seitwärts nach Brotterode zu und kamen im Dunkel der Nacht durch Wald und Berg gegen elf Uhr auf die Wartburg.

Es waren vier bis fünf Stunden Weges, die sie seit der Aufhebung zurückgelegt hatten, so daß Luther, der schon seit den Tagen in Worms sich unwohl fühlte, müde und marode, wie er später Amsdorf selbst schrieb, vom Pferde stieg. Die Ritter schlossen darauf den gefangenen Doctor „auf’s Härteste mit Ungestüm“ in ein Gemach, daß der Thorwart nicht anders glaubte, als daß sie einen Verbrecher auf der Straße ergriffen und zur Haft gebracht hätten.

Von der glücklichen Ausführung des Anschlages rühmt Myconius selbst: „Es ist nie erhöret worden, daß ein Sach so heimlich hätte können gehalten werden, als diese, wer doch den Luther gefangen und hinweggeführt hätte. Es wurde von viel Leuten, auch am Reichstag, geglaubt, es wäre ein ernst Gefängniß gewesen, so recht heimlich wurde es verhalten.“ Indessen war die Gefangennahme, wenn auch nicht der Einzug in die Wartburg, doch verrathen und in Möhra bekannt geworden, denn Luther’s Oheim meldet dem Canonicus Georg König in Eisenach die Entführung seines Vetters mit dem Bemerken, die Reiter hätten ihren Hufschlag nach Brotterode genommen. Auch später kam die Erzählung davon vielleicht durch einen der Reitersknechte unter das Volk, in dessen Munde sie fortlebte, bis sie nach etwa einhundert Jahren von dem Pfarrer Hattenbach zu Schweina in das Kirchenbuch daselbst aufgezeichnet wurde, so wie wir sie, der Hauptsache nach, berichteten. Es war in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, als der Glaubensheld in der Geisterstunde sein Zimmer auf der Wartburg betrat, nach dem Erlebniß vielleicht mit einigem Schauer, denn er war ja von dem Aberglauben seiner Zeit nicht ganz frei und wappnete sich durch Gebet, so oft er sich durch Anfechtungen von unsichtbaren Feinden bedroht glaubte. Mit stiller Resignation sah er wohl am andern Morgen, als ringsum die Glocken den Tag des Herrn verkündeten, den Priester der Burg

  1. Luther’s Stammort, nicht Geburtsort, wie in der Festschrift „Doctor Martin Luther auf der Wartburg“ angegeben ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_615.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)