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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Kyffhäuser. Gleicht dieser mit seinem einsamen, alten, vom Zahn der Zeit stark angenagten Thurme einer alten verwitterten und zerschlagenen Kaiserstatue, deren Greisenkopf, mit der zerbrochenen Mauerkrone geziert, in die untergegangene Herrlichkeit des deutschen Reichs zurückschaut, so erscheint dagegen die Wartburg wie die Statue eines Götterjünglings in reichstem Schmuck alterthümlicher Gewandung, eichenlaubbekränzt, mit dem Schwerte seiner Mutter Germania geziert, die schwarzrothgoldene Fahne schwingend, mit gehobenem Fuße vorwärts schreitend und mit klarem Selbstbewußtsein in die hohe Herrlichkeit einer großen Zukunft schauend, die da kommen wird und muß, weil sie eine historische Nothwendigkeit ist. Kein Kaiser sitzt schlafend und träumend im Berge der Wartburg und fragt alle hundert Jahre nach den Raben, die den Thurm umkreisen; auf den Zinnen ihres neuen Thurmes, des Bergfrieds, sitzt der jugendliche Genius des deutschen Volks und richtet das spähende Auge nach Osten, nach der aufgehenden Sonne einer neuen Zeit, die nichts mehr zu schaffen haben wird mit der abgestorbenen Kaiserromantik, und horcht mit scharfem Ohre auf den Lerchen- und Nachtigallenschlag des Weltfrühlings, der in ihrem Haine seine wehenden Fahnen aufgestellt hat.

Die Gartenlaube kann natürlich keine Geschichte von Thüringen, keine Geschichte der Wartburg und ihrer fürstlichen Insassen, keine Erzählung ihrer zahlreichen Sagen und keine ausführliche Beschreibung ihrer restaurirten und noch zu restaurirenden Localitäten bringen. Wir müssen uns um so eher mit bloßen Andeutungen, mit Hervorhebung der Glanzpunkte begnügen, als die Wartburg bereits eine ziemlich umfangreiche Literatur hat und der treffliche „Führer auf der Wartburg“ von v. Ritgen Dem, welcher sich über die berühmte Bergveste unterrichten will, keinerlei angenehme Belehrung schuldig bleibt.

Den ersten Glanzpunkt der Wartburg in Geschichte und Sage bildet die Zeit des Landgrafen Hermann des Ersten und seines Sohnes Ludwig des Heiligen und dessen Gemahlin, der heiligen Elisabeth (1190–1240). Hier liegen alle Zauber mittelalterlicher Fürstenpracht, Hospitalität, poetischer Verherrlichung, Ritterlichkeit, Frauenwürde, Milde, christlicher Barmherzigkeit und aufopfernder Selbstverleugnung unmittelbar neben einander, um uns ein so köstliches Bild zu zeigen, wie in so engem Rahmen die Geschichte kaum ein zweites bieten dürfte.

Daß der Hof des Landgrafen Hermann auf Wartburg einer der glänzendsten, üppigsten und liederreichsten jener Zeit war, berichten übereinstimmend die Chroniken und die Lieder der vorzüglichsten Minnesinger, welche gastfreundliche Aufnahme auf der berühmten Fürstenburg fanden und vom Landgrafen und dessen Gemahlin hoch in Ehren gehalten wurden. Am meisten beweist es das höchst merkwürdige episch-lyrische Gedicht „der Singerkrieg auf Wartburg“ aus jener Zeit, dessen Verfasser nicht bekannt ist, sich aber nach der Angabe des Liedes unter den Singern auf Wartburg befand. Dieses Gedicht giebt an und ihm nach erzählen die Chronisten, daß im Jahre 1206 bis 1207 sechs der ausgezeichnetsten Minnesinger Deutschlands an Hermann’s Hofe verweilten und einen Wettgesang abhielten, wie sie damals in Gebrauch waren. Diese Singer waren Walter von der Vogelweide, Reimar (Reinhard) von Zweter, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Heinrich der Schreiber (Kanzler des Landgrafen) und Biterolf. Am ersten Kampftage erhebt sich Ofterdingen und preist den Herzog von Oesterreich als den tugendhaftesten aller Fürsten. Dagegen erhebt sich Walter von der Vogelweide und stellt den König von Frankreich entgegen; darauf die übrigen den Landgrafen von Thüringen. Der Kampf wird so bitter und ernst, daß die Singer ausmachen, der Unterliegende solle dem Scharfrichter Stempfel ausgeliefert werden. Nun wehrt sich Ofterdingen ritterlich, flüchtet aber zuletzt, um sein Leben vor der Uebermacht der übrigen Fünf zu retten, in den Schutz der Landgräfin Sophie. Wenn die Chronisten erzählen, Ofterdingen sei zuletzt durch Spiel mit falschen Würfeln seinen Gegnern unterlegen, so beruht diese Angabe auf falschem Verständniß einer Stelle des Gedichts, in welcher Ofterdingen sich beklagt: man spiele hier mit falschen Würfeln gegen ihn, bildlicher Ausdruck für: man verfahre nicht ehrlich und redlich mit ihm. Durch Vermittelung des Fürstenpaars wird nun ausgemacht und festgestellt, daß Ofterdingen den berühmten Meister Klingsor, der am ungarischen Königshof lebt, herbei holen und sich binnen Jahresfrist stellen soll, damit Klingsor den Streit entscheide. Damit endet der erste Theil des Gedichts. Der zweite ist nun durch Inhalt, Versmaß und mythische Beimischung so verschieden vom ersteren, daß er wahrscheinlich Bruchstück eines andern Gedichtes von einem andern Verfasser ist. Klingsor und Ofterdingen gelangen durch eine nächtliche Zauberfahrt im Schlafe in einer Nacht von Ungarn nach Eisenach und erscheinen bei Hofe. Von einer Entscheidung des alten Streites ist nicht mehr die Rede; es beginnt vielmehr zwischen Klingsor und Wolfram von Eschenbach ein zweiter Singerkampf philosophisch-theosophischer Natur, in welchem der große Zauberer von seinem Diener, einem höllischen Geiste Nasian, unterstützt wird. Nichtsdestoweniger bleibt der Kampf unentschieden und Alle vereinigen sich zuletzt in Güte. Unverkennbar ist Klingsor der Prototyp des spätern Faust.

Dieser zweite Theil des Gedichts ist selbstverständlich der bei Weitem wichtigere und hat für uns hohes Interesse. Denn an und in der Wartburg ist uns eben Alles symbolisch. Wie sie selbst uns das Symbol der Lichtburg des deutschen d. h. des menschheitlichen, Geistes ist, so ist ihr Sängerkrieg uns das Symbol des Kampfes zwischen Realismus und Idealismus, Autorität und Forschung, zwingender Satzung und sittlicher Freiheit, Glauben und Wissen. Nur so kommen wir zum Verständniß des Ganzen, wenn wir auch nicht im Stande sind, das auf einzelnen Theilen dieses merkwürdigen Gedichtes liegende Dunkel aufzuklären. Der kirchengläubige Wolfram von Eschenbach steht dem hohen Meister der Wissenschaft Klingsor und dessen Freunde, dem als besten Sänger gepriesenen Ofterdingen, gegenüber. Ein fast gleichzeitiger Chronist führt den Meister aus Ungarn also auf: „ein behender Philosoph und ein wohl gelehrter Mann in weltlichen Künsten, sonderlich wohl erfahren in Astronomie und schwarzer Kunst.“ Und Ofterdingen, in welchem man den Dichter unseres herrlichen Nationalepos, des Nibelungenliedes, vermuthet, gilt uns als Vertreter der deutschen Dichtkunst an sich. Wolfram von Eschenbach tritt aber als Vertheidiger der heiligen Messe und des ganzen christlich-kirchlichen Mythus auf. Auf der einen Seite stehen also die Vertreter der Wissenschaft und Kunst (Poesie), auf der andern die der Satzung. Der Streit bleibt unentschieden und wird vertagt. Die Sänger vertragen sich, so gut es gehen will. Aber der Wartburgkrieg ist außerhalb der Wartburg fortgesetzt worden in Deutschland und überall, wo Geist und Gemüth, wenn sie zur Reife gediehen, gegen die apodiktischen Aussprüche der Kirchengewalt Front zu machen sich gedrungen fühlten. Der Streit hat sich in größeren Dimensionen fortgepflanzt und wird noch heute mit der alten Erbitterung geführt.

Nächst diesem Sängerkriege ist es vorzüglich noch eine Gestalt, an welche sich die Romantik der Wartburg knüpft – die Gestalt der heiligen Elisabeth, der Gemahlin des Landgrafen Ludwig. Die innige Liebe und die unerschütterliche Treue, welche die beiden jungen Gatten verbanden, die Frömmigkeit der Fürstin, ihre stillen Tugenden der Mildthätigkeit; wie sie für die Armen spann und sie kleidete; wie sie die Hungernden speiste, als Mißwachs im Lande Tausende zu Bettlern gemacht hatte; wie sie sich die härtesten Entbehrungen auferlegte, ja sich geißelte, um, nach der Auffassung der damaligen Zeit, Gott wohlgefällig zu sein; wie sie nach dem auf der Fahrt zum gelobten Lande in Italien erfolgten frühen Tode ihres Gemahls von ihrem Schwager, dem unedlen, eigensüchtigen Heinrich Raspe, von der Wartburg vertrieben wurde und mitten im Winter schutzlos im Lande umherzog; wie sie endlich in Marburg in Hessen ein Asyl fand und hier fromm starb, so wie sie gelebt hatte, um schon wenige Jahre nach ihrem Heimgange heilig gesprochen zu werden – das Alles ist dem deutschen Volke in vielen Geschichten, in gereimten und ungereimten, erzählt worden und hat jetzt bei der Wiederherstellung der Burg auch durch Künstlerhand mannigfache Verherrlichung gefunden.

Mit Elisabeth verblaßt die eigentliche Poesie der Wartburg; erst Friedrich der Gebissene oder der Freudige übergießt das alte Landgrafenschloß noch einmal, wenn auch nicht mit dichterischem Hauche, so doch mit dem Glanze ritterlicher Thatkraft.

Als der fünfundzwanzigjährige Markgraf Albrecht in der von seinem Vater Heinrich dem Erlauchten gemachten Ländertheilung Thüringen überkam und die Wartburg als Landgraf bezog (1265), war er bereits seit neun Jahren mit einer Tochter des Kaisers Friedrich des Zweiten vermählt und Vater von vier Kindern, unter welchen die Söhne Friedrich und Diezmann (Dietrich)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_622.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)