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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

worden, dessen Vater ehemals Internuntius bei der Pforte, dann Regierungscommissär im österreichischen Hauptquartier während des Krieges gewesen war. Herr von Stürmer bereitete sich zu seiner Abreise nach Helena vor.

An einem schönen Herbsttage erschien in den Gängen des Schönbrunner Hofgartens ein Mann von kräftigem, wenn auch feinem Körperbaue. Das offene Gesicht zeugte von dem außerordentlichen Geiste, der unter der gewölbten Stirn wohnen mußte. Das Haar legte sich in kurzen Locken um den Kopf, die Augen blickten heiter, fast lächelnd umher, als wollten sie sagen: „Wir haben schon so ungeheuer viel Großartiges gesehen und erforscht, daß wir alle Ursache haben, heiter in die Welt zu schauen.“ Dieser Mann war Alexander von Humboldt. Der große Gelehrte hatte damals schon seine Reise nach Amerika gemacht, sein Name war bereits ein gefeierter.

Humboldt ging durch die von herrlichen Bäumen und Pflanzen eingefaßten Wege. Er schien Jemanden zu suchen, denn er warf seine Blicke durch die Gebüsche des Gartens, bis er einen Gehülfen ausfindig machte. „Mein Freund,“ rief er, „wo finde ich den Herrn Welle?“ Der Arbeiter lüftete seine Mütze und geleitete Humboldt durch den Park in den botanischen Garten. Hier stand zwischen Beeten, die durch Glasfenster geschützt waren, zwischen kleinen Bäumchen und zartem Gesträuche ein junger Mann, der von dem Eintretenden gar keine Notiz nahm, bis dieser ihm freundlich guten Tag wünschte.

„Herr von Humboldt!“ rief der Angeredete in freudigem Schrecken aus. „Es ist eine wahre Freude für mich, Sie hier zu sehen. Ich fürchtete schon, Sie würden von Wien abreisen, ohne mir noch ein Mal das Glück bereitet zu haben, Sie sehen zu dürfen.“

Der junge Mann ergriff ehrfurchtsvoll die Hand des Gelehrten.

„Mein lieber Welle,“ entgegnete Humboldt bescheiden, „Sie erfreuen und beschämen mich zugleich. Ein so trefflicher, kenntnißreicher Mann, wie Sie es sind, darf nicht übergangen werden. Sie bleiben mir stets eine angenehme Erinnerung. Aber ich komme nicht blos, um Ihnen Lebewohl zu sagen, ich bringe Ihnen ein Geschenk.“

Welle stutzte.

„Rathen Sie nur – es wird vergebliche Mühe sein. Also hören Sie – lassen Sie Ihre Araucarien da unten einen Augenblick unter des Himmels Obhut und passen Sie hier auf. Nach der zwischen den verbündeten Mächten abgeschlossenen Convention hat man dem Baron von Stürmer die Mittheilung gemacht, daß der Kaiser ihn als Commissarius nach St. Helena zu dem gefangenen Napoleon senden werde. Die meisten der bei der Regierung beschäftigten interessirt nur die politische Seite der Mission – mich die wissenschaftliche. Die Insel St. Helena bringt Pflanzen hervor, deren Reichthum und Spielarten noch lange nicht genügend festgestellt und erforscht sind. Ich habe die Gelegenheit wahrgenommen und dem Kaiser den Rath ertheilt, mit dem Herrn von Stürmer einen Mann zu senden, der uns die Flora der Insel genügend zugänglich und bekannt mache – der Kaiser, selbst ein Freund der Botanik, hat keinen Augenblick gezaudert und nach kurzem Berathen ist die Wahl, nach meinem Vorschlage, auf Sie gefallen. Rüsten Sie sich demnach zur Abreise nach Helena.“

Welle stand mit weitgeöffneten Augen vor dem Gelehrten. Die Freude hatte ihn sprachlos gemacht – eine wissenschaftliche Reise – die Gelegenheit, forschen zu dürfen innerhalb eines Terrains, auf welchem noch Wenige Erfahrungen sammeln konnten – die Aussicht, das ferne Eiland anschauen zu können, welches gerade jetzt eine historische Berühmtheit erlangt hatte – das waren köstliche Perspective. Nachdem er eine Zeit lang sich besonnen, ob er nicht träume, machte sich seine Freude in den überschwänglichsten Dankesworten gegen Humboldt Luft.

„Gemach! gemach!“ sagte lächelnd der Gelehrte. „Ihre Tüchtigkeit hat Ihnen zunächst den Weg gebahnt. Wofür hätte man sich der Wissenschaft hingegeben, wenn man ihre Jünger nicht so viel als möglich unterstutzte und förderte? Aber, mon cher, Sie haben nicht allein Ihren Fähigkeiten diese Wahl zu danken, sondern auch Ihrem ruhigen, nur der Wissenschaft sich hingebenden Lebenswandel, der Sie vollständig unfähig macht, der geringsten politischen Intrigue sich zu nähern.“

„Ich verstehe Sie nicht recht,“ entgegnete Welle, den Gelehrten fragend anblickend.

„Die Erklärung ist einfach. Sie wissen, mit welcher Strenge man auf St. Helena den gefangenen Kaiser und seine Umgebung hütet – bewacht. Jeder noch so unbedeutende Brief muß gelesen werden, bevor der Kaiser ihn erhält, kein Paket würde uneröffnet das Thor von Longwood passiren. Die Begleitung des Barons von Stürmer besteht aus lauter kieselharten Diplomaten und was dazu gehört – dem Gelehrten, dem weichen, für die Schönheit der Natur empfänglichen Gemüthe ist weniger zu trauen, man mußte einen Mann wählen, der so ganz wie Sie von seiner Sache eingenommen ist und seine Hand zu keinem noch so unbedeutenden Dienste für den berühmten Gefangenen leihen würde, denn die Partei Napoleon’s benutzt emsig Jeden, dessen sie habhaft werden kann. Es ist rührend – in der That – wie sie darauf bedacht sind, dem gefangenen Giganten Freude zu bereiten, ihn, wenn auch nur einige Minuten lang, das herbe Loos vergessen zu machen. Andererseits ist es ebenso betrübend, wahrzunehmen, daß die Wächter des Kaisers stets Intriguen hinter solchen Harmlosigkeiten wittern.“

„Ich bin in dieser Hinsicht der beste Mann,“ rief Welle, „ich verstehe mich auf nichts dergleichen. Wie sollte ich auch dazu kommen? Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß die ganze ungeheuerliche Zeit an mir vorüberging wie ein Traumbild. Aus diesem Halbschlummer weckte mich der Kanonendonner, der mich von meinen Herbarien fortscheuchte – freilich – wer sollte den gefallenen Kaiser nicht bewundern? Der Einwirkung, die eine solche Größe auf alle Menschen ausübt, entzieht sich Niemand, er stehe wie und wo er wolle. Habe ich mir doch erzählen lassen, daß König Friedrich Wilhelm von Preußen die Büste seines Erzfeindes auf seinem Schreibtische stehen hat. Trotz der Feindschaft erkennt der König die Größe seines Gegners gerechtermaßen an.“

„Also – keine Intriguen,“ lachte Humboldt, „Sie scheinen mir in der That ein wenig Napoleonist. Kommen Sie zu Herrn Boos. Wir setzen ihn in Kenntniß.“

Herr Boos war der Oberinspector und Director der Schönbrunner Gärten, unter ihm arbeitete Welle als erster Gehülfe. Boos war sehr erfreut über das Glück seines Zöglings und machte einen seltsamen, fast triumphirenden Blick, als er die Kunde vernahm. –

Einige Wochen später sehen wir Welle zur Abreise mit dem Baron Stürmer gerüstet in das Zimmer seines Vorgesetzten treten. Nachdem die letzten Abschiedsworte gefallen sind, hält Boos den jungen Mann zurück.

„Mein Freund,“ sagte er leise, „Sie gehen nach St. Helena. Sie wissen, daß ich Ihrer neuen Stellung förderlich war, daß ich mich keinen Augenblick dem Vorschreiten widersetzte. Ich fordere dafür einen kleinen Gegendienst.“

„Sprechen Sie, welchen? Ich schätze mich glücklich,“ rief Welle, „was soll ich thun?“

Obwohl in seinem eigenen Zimmer stehend, sah Boos sich dennoch vorsichtig um, dann zog er schnell aus seiner Rocktaschen ein kleines Paket.

„Wenn Sie nach St. Helena kommen,“ flüsterte er, „so suchen Sie Herrn Marchand, den Kammerdiener des gefangenen Kaisers Napoleon, auf und überreichen Sie ihm heimlich dieses Päckchen. Es kommt von seiner Mutter, meiner Freundin, die hier bei Marie Louise und dem Sohne des Verbannten, dem Könige von Rom, sich befindet. Marchand soll es dem Kaiser zustellen.“

Welle stand wie vom Donner gerührt. Humboldt’s Worte fielen ihm ein. Er, der Mann, dem man nicht die geringste Intrigue zutraute, der für ein Muster des strengen Gelehrten und Forschers galt, der gerade deshalb erwählt worden war – er stand jetzt vielleicht an der Schwelle eines gefährlichen Unternehmens. O – die Intriguanten hatten ganz geschickt gewählt – Welle war so harmlos, so stockgelehrt, daß ihn kein Verdacht treffen konnte – aber wenn die furchtbaren Späher auf St. Helena doch hinter das Geheimniß kamen? – dann Lebewohl, botanische Forschung – Auszeichnung – vielleicht auch du, süße Freiheit! Herr Boos aber hatte Ansprüche auf die Dankbarkeit Welle’s – es war schwer, ihm die Annahme des Päckchens zu verweigern. Welle stammelte einige Worte von „Hindernissen“, „Gefahr“, „entdeckt werden“. Boos lachte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_632.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)