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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Napoleon möge den alten Tobias loskaufen und in seine Heimath senden. Der Kaiser machte gern den Lenker eines Schicksals, auch in den Tagen des Glanzes war er großmüthig und freigebig. Er versprach, sein Möglichstes zu thun, allein die Uebersiedelung nach Longwood zerschlug die Unterhandlungen, welche O’Meara, der englische Arzt auf Longwood, leitete. Einige Monate später wurden sie wieder aufgenommen und der Kaiser erfuhr gerade an jenem Tage zur Mittagszeit, daß der alte Tobias gegen Erlegung der Kaufsumme freigelassen werden solle. Napoleon bezeigte darüber eine lebhafte Freude. In der Gefangenschaft noch Gnaden ertheilen zu können, schien ihm doppelt großartig. Man scherzte über den Gegenstand und war soeben heiter conversirend beim Dessert angelangt, als der wachthabende Officier dem Kaiser meldete, daß Sir Hudson Lowe ihn zu sprechen wünsche. Mit Einem Schlage war Napoleon’s gute Laune gestört, indessen konnte man den unangenehmen Gast nicht zurückweisen.

„Er mag eintreten,“ sagte der Kaiser, sich vom Tische erhebend und in den kleinen Salon gehend. Sir Hudson Lowe trat bald darauf in’s Zimmer. „Sie wünschen, mein Herr?“ fragte der Kaiser kurz und heftig auf- und niedergehend.

„General,“ begann Lowe, der dem Gefangenen niemals den Titel Kaiser gab, „General, ich komme, um Ihnen zu sagen, daß der Malaie Tobias nicht freigelassen werden kann.“

„He? ich werde zahlen!“ fuhr der Kaiser auf.

„Und wenn dies auch geschähe, ich darf die Freilassung nicht dulden.“

„Warum nicht?“

„Es ist nicht die Freilassung, welche der Miß Balcombe zu Gefallen geschehen soll, die Sache hat einen tieferen Grund.“ Der Kaiser sah den Gouverneur fragend an. Er machte nur eine ungeduldige Bewegung, worauf Lowe fortfuhr: „Es ist wohl nicht die Freiheit des alten Malaien, welche Ihnen, General, am Herzen liegt, ich habe Grund, zu vermuthen, daß Sie darauf ausgehen, die Herzen sämmtlicher Neger der Insel für sich zu gewinnen.“

Der Kaiser blieb betroffen stehen, dann ließ er ein bitteres Gelächter hören, endlich sagte er, sich zum Fenster wendend: „Ich glaube, mein Herr, Sie sind verrückt.“

„Halten Sie mich dafür, General, aber ich fürchte, Sie wollen es machen, wie einst mit Domingo.“

„Sie werden schweigen, mein Herr,“ fuhr der Kaiser wüthend auf. Man hatte einst in Journalen und Libells heftig gegen die von ihm beabsichtigte Expedition nach St. Domingo geeifert. „Sie werden schweigen,“ rief er noch einmal. „Ueberhaupt, was wollen Sie hier? Sie hätten sich nicht zu bemühen brauchen.“

„Ich wollte Ihnen die abschlägliche Antwort selbst bringen.“

„Um sich an meinem Aerger zu weiden, he?“

„Sie verkennen mich.“

„Ganz und gar nicht. Ich will überhaupt nichts von Ihnen, als daß Sie mich in Ruhe lassen.“

„Meine Instructionen sind sehr streng, General. Lord Cockburn, mein Vorgänger, hatte es leichter.“

„Zum Henker, mein Herr, welches sind Ihre Instructionen? Haben Sie doch den Muth, offen damit herauszutreten! Soll ich erdolcht oder vergiftet werden?“

„General, ich muß meinerseits jetzt bitten –“

„Schweigen Sie. Ich weiß nicht, ob Sie Gift anwenden wollen, aber Eisen scheint mir uns bald zu bedrohen. Sie haben erst neulich meine Officiere durch Bajonnete bedroht, als Ihnen die Oeffnung der Hausthür verweigert ward.“

„Wieder meine Instruction. Ich gestatte Ihnen Partieen in das Innere der Insel.“

„Das klingt wie Hohn. Ich werde stets durch einen Officier escortirt. Ich habe nichts gegen den rothen Rock, denn sobald ein Soldat im Feuer gestanden hat, ist er mir ehrwürdig und die Uniform von Freund oder Feind gilt mir gleich, allein ich erkenne in der Begleitung Ihre Absicht, mich als Gefangenen zu behandeln, und deshalb gehe ich gar nicht mehr aus.“

„Ich habe die Verpflichtung übernommen, für Ihre Sicherheit zu sorgen. Europa sieht auf mich.“

„Sie sind absurd, mein Herr. Sie chicaniren aus übler Laune. Vielleicht sind gerade in England die Wenigsten Ihrer Ansicht. Wäre ich nach Rußland gezogen, ich würde von Alexander freundlich aufgenommen worden sein; der König von Preußen ist ein Ehrenmann, er hätte die Rechte geehrt, welche auch der gefangene Feind beanspruchen darf – aber hier – Sie, mein Herr – o, Sie werden noch erleben, wohin das führt, und Ihre Kinder werden erröthen über den Namen, den sie tragen.“

„Ich muß bitten, General, mich anzuhören –“

„Nein, ich höre Sie nicht weiter an. Sie haben mir wieder einen Tag verdorben, verlassen Sie mein Gebiet!“

Damit wendete der Kaiser dem unglücklichen Gouverneur den Rücken. Lowe trat ab und sagte dem im Vorzimmer befindlichen General Gourgaud: „Der General hat sich eingebildete Länder geschaffen: imaginäres Frankreich, Spanien, Polen. Es scheint so, als wenn er sich auch ein imaginäres Helena gründen wollte.“

Die Hausgenossen fanden den Kaiser in großer Erregung. „Nicht einmal den armen Leibeigenen kann ich befreien, für mein gutes Geld kann ich den Alten nicht loskaufen,“ rief er gegen die Möbel schlagend. „Ich muß wahrhaftig an die Mächte oder die Commissarien appelliren.“

„Es ist vielleicht der beste Weg,“ sagte der General Bertrand. „Vorgestern ist ein Schiff gelandet, welches den österreichischen Commissar Baron von Stürmer mit seinem Gefolge an Bord hatte.“

„Stürmer?“ fragte der Kaiser ruhiger werdend. „Der Name ist mir wohl bekannt. Ein Stürmer war Chargé d’Affaires im kaiserlichen Hauptquartier – vielleicht ist mit dem Manne zu reden.“

Obwohl sein Zorn sich gelegt hatte, war der Kaiser doch finster und in sich gekehrt. Die Verweigerung des Loskaufes eines armen Teufels hatte ihn im höchsten Grade verstimmt. Er ging auf sein Zimmer zurück und ließ während des Nachmittags nichts von sich hören. Aehnliche Auftritte störten den Frieden in Longwood oft genug, – aber heute war der Kaiser besonders unglücklich. Er hatte nichts für sich erbeten, nichts zu seiner Bequemlichkeit verlangt und man störte ihm jetzt die Freude, wohlthätig sein zu dürfen. Finster, das Antlitz in ernste Falten gelegt, einem gefesselten Adler gleichend, erschien er Abends an der kleinen Haustafel. Schweigend nahm man das Mahl ein. Niemand wagte die Stille zu unterbrechen und abgerissene Bemerkungen wurden schnell hingeworfen.

Die Nacht begann sich auf Longwood zu senken, schon wollte der Kaiser in sein Schlafgemach gehen, als Marchand schnell und hastig in’s Zimmer trat. Er machte die Thür hinter sich zu und vorsichtig umschauend reichte er dem Kaiser ein weißes Couvert.

Napoleon’s Augen blickten den Diener an. „Was soll das?“ fragte er.

„Aus Wien!“ entgegnete Marchand.

Ein Blitz der Freude – ein Lächeln der Ahnung, des Vorgefühls großer Freude zuckte über das ernste Gesicht des Kaisers; ein leichtes Zittern seiner Hände ließ sich bemerken, als er das Couvert erbrach; dann ließ er sich, in einen Sessel gleitend, nieder und untersuchte den Inhalt. Er brachte einen kleinen Brief hervor, außerdem ein zusammengefaltetes Papier, – Beides öffnete er, und man sah, wie die Augen des Gewaltigen, jene Augen, welche durch einen Wink das Geschick ganzer Länder entschieden, sich leicht mit Thränen füllten. „Montholon,“ sagte der Kaiser nach einer Pause, „welchen Tag haben wir heute? Ich weiß es wohl, ich war schon deshalb von früh Morgens an so guter Laune.“

„Ich auch, Sire, und wir Alle,“ entgegnete Montholon. „Es ist der siebente September.“

„Richtig,“ sagte der Kaiser. „Der Jahrestag der Schlacht an der Moskwa. Gestern vor vier Jahren war ein Tag der Freude. Meine Garden umstanden das Bild meines Sohnes, welches im Feldlager vor meinem Zelte ausgestellt war, die alten braven Leute weinten vor Freuden – heute sind wir hier – hier die Gefangenen.“ Der Kaiser biß heftig die Lippe. „Aber das ist ein seltsam glücklicher Tag, eine Genugthuung, die mir das Schicksal sendet für die Kränkung, welche Sir Hudson Lowe mir zufügte – denn heute am Jahrestage der Schlacht an der Moskwa wird mir Dieses gesendet.“ Er hob die Papiere in die Höhe. „Am sechsten September eintausend achthundert und zwölf konnte ich im Lager bei Borodino das Bildniß meines geliebten Sohnes küssen, heute sendet man mir durch die Hand eines wackeren Mannes einen Brief und diese Haarlocke meines Kindes – eine Locke des Königs von Rom.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_634.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)