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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Warum?


Wo der Karpathen Hochwaldpracht
Gen Süden auf Rebenhügel lacht,
Die das Auge der Puszte beglücken –
Da hinkt durch das prangende Land daher,

5
Das Herz von Sehnen und Bangen schwer,

Ein junger Krüppel auf Krücken.

„Ein Jahr vorbei, und wieder war’s Mai,
Und die blutigen Monde sind wieder vorbei,
Die Todtenmonde von Böhmen[1],

10
Wo der Grabhauch sich in den Lüften ballt

Und nächtlich über die Erde wallt
Als flammender giftiger Schemen.

„Dort traf es auch mich und traf mich hart.
Fast hätten sie mich mit eingescharrt,

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Zu den Todten Sadowa’s gebettet.

Da kam der Feind, Gott segne ihn!
Er ließ des Gefangenen Geist nicht entflieh’n,
Der Feind hat mich gerettet.

„Im fernen Nord sind die Winter wild,

20
Die Herzen warm und die Hände mild,

Es heilten die schweren Wunden. –
Nun heim zu Dir, o Mütterlein Du!
Hat Frieden Dein Herz im Leben, hat Ruh’
Dein Kummer im Tode gefunden?

25
„Nach langen Wanderns Noth und Qual

Grüß Gott Dich, magyarisches Heimaththal,
Von Mondesglanz umflossen!
Im Dorf ist entschlummert Haus um Haus.
Still zieh’ ich ein, laut zog ich aus;

30
Wo sind die Kriegsgenossen?


„Und da ist dem Gottesacker entlang
Mein alter Schul- und Kirchengang –
Und dort – ein Fenster noch helle!
O Himmel, ihres Lämpchens Schein

35
Beleuchtet mein betendes Mütterlein!“

– Er kann nicht von der Stelle.

Du armer zitternder Krückenmann,
Recht leise, leise schleiche hinan,
Ihr Antlitz anzubeten.

40
So ist seit Jahr und Tag um Dich

In jeder Nacht inbrünstiglich
Ihr Herz vor Gott getreten.

„„Mein Gott, ich frage Dich nicht: Warum?
Ich beuge mich gläubig, ich beuge mich stumm

45
Vor Deiner Allmacht Walten.

Nur das Eine flehe ich Nacht und Tag:
O hemme des Herzens brennenden Schlag!
O kühle es! Laß es erkalten!

„„Mach’s einer Mutter nicht allzuschwer!

50
Hier sieht mein Aug’ ihn nimmermehr,

Er ruht bei Dir in Frieden.
Mein einzig Fleh’n ist Wiederseh’n,
Ihn wiederseh’n so rein und schön,
Wie er von mir geschieden!““

55
Da ruft es „Mutter“ süß und laut.

Wie reißt sie’s empor! – Sie horcht, sie schaut! –
Wie die Sinne ihr treulos werden!
Sie fliegt ihm entgegen, sie sieht nichts, nichts,
Als das selige Lächeln des Angesichts,

60
Ihr Ein und Alles auf Erden.


Doch es tritt, was der Sturm der Wonne verhüllt,
Bald genug an’s Licht und, ach, erfüllt
Ihr Herz mit Schrecken und Jammer.
Ihr Wehruf – sie will ihn ersticken mit Macht –

65
Umsonst – der Schmerz schreit hinaus in die Nacht

Aus der Armen einsamer Kammer.

„„O Herr im Himmel, nun halte mich!
Von Gottes Gnaden nennen sie sich,
Die der Mütter Herzen so schlagen!

70
Ein Krüppel mein Kind! Warum? Warum?

Die Priester und Könige bleiben stumm –
Nun muß ich’s, mein Gott, Dich fragen!““

Friedrich Hofmann.





Volksvehme in Amerika.[2]


Keine Erscheinung im amerikanischen Volksleben hat den an die strict geregelten europäischen Verhältnisse Gewöhnten mehr Stoff zur Anklage gegen amerikanische Zustände und den Freunden der großen Republik in Europa mehr Veranlassung zu aufrichtigem Bedauern und redlichen Besorgnissen für ihre Zukunft gegeben, als das sporadische Auftreten von Vigilanz-Comités, Sicherheitsausschüssen, Moderatoren, Regulatoren und wie alle jene geheimen Verbindungen heißen mögen, die auf dem an geheimen Gesellschaften aller Art so fruchtbaren amerikanischen Boden wie blutige Nordlichter am socialen Horizonte auftauchen. Es scheint heute unnütz das Für und Wider näher in’s Auge zu fassen; jedenfalls gehört es nicht zu unserer Aufgabe. Europäer werden diese Erscheinungen nie als berechtigt zugestehen, wenn sie auch nichts dagegen einzuwenden finden, daß eine ihrer Regierungen über Städte, Districte oder gar Provinzen das Kriegs- oder Standrecht verhängt, oder wenn sogenannte Verbrecher ihrem natürlichen Richter entzogen, die gesetzlichen Garantien, z. B. Schwurgerichte, für ganze Kategorien von Vergehen abgeschafft, Staatsgerichtshöfe eingesetzt, die Vertheidigung auf ein Minimum beschränkt, ja ganze Gerichtshöfe aus anerkannten Gegnern eines Angeklagten oder seiner Sache zusammengesetzt werden, oder gar, wie unter dem beglückenden Scepter des jüngsten Cäsars, Tausende blos auf Befehl der Polizei ihrer Freiheit beraubt oder transportirt werden. Andrerseits wird kein Amerikaner, sei er eingeboren oder adoptirt, der auch nur einige Jahre in den neuen Territorien oder Staaten der Union gelebt hat, unbedingt in das europäische Verdammungsurtheil des Lynchgesetzes einstimmen; er wird dessen Unentbehrlichkeit beklagen, aber das Zeugniß nicht zurückhalten, daß in den allermeisten Fällen sein Arm nur die Schuldigen erreicht hat, daß es fast nie ohne die triftigsten, von einer Anzahl als Geschwornengericht vereinigter Bürger untersuchten Gründe vollzogen wurde und daß seine Wirkung stets eine im Interesse der öffentlichen Moral und Gesetzlichkeit höchst günstige war.

Mein Beruf als Richter in einem der größten deutschen Staaten bis 1849 und mein Aufenthalt seitdem in einem der verrufensten amerikanischen Grenzstaaten gab mir volle Gelegenheiten beide Seiten zu prüfen. Ich habe Jahre lang bewußt unter der Herrschaft von Vigilanzcomités gelebt und mich sicherer gefühlt, als unter dem Schutze der königlichen Polizei- und Staatsbehörden; manche meiner nächsten Bekannten und Freunde, frühere deutsche Professoren, Kaufleute, Justizbeamte etc., waren Mitglieder der Comités und fast täglich oder nächtlich in ihrer traurigen Mission thätig, ohne daß unser Verhältniß dadurch getrübt wurde, ja ich konnte den Männern einen höhern Grad von Achtung nicht versagen, die Alles auf’s Spiel setzten, nur um die Gesellschaft, die Herrschaft des Gesetzes an deren Todfeinden zu bestrafen und zu rächen.

Nachdem in Californien sich Vigilanzcomités gebildet hatten, dasselbe auch in Colorado geschehen war, begann ein Massenauszug aller Diebe und Verbrecher aus diesen Gebieten und aus den Verbrecherhöhlen der großen östlichen Städte nach den neuentdeckten Minen in dem nordöstlich von Oregon gelegenen Montana, namentlich nach den reichen Districten von Beaver Head und Deer Lodge. Hier lauerten Mörder überall, wo sich die geringste Gelegenheit bot, Leben für Geld zu nehmen; hier übertraf die Organisation einer Bande von Desperados, was Vollkommenheit und Vertheilung der Rollen anlangt, Alles, was auf diesem Felde irgendwo geleistet worden ist. Das System war vollkommen, die Pläne wurden mit ausgezeichneter Kunst angelegt und ausgeführt, die Werkzeuge der Bande folgten hart auf den Fußtritten des Bergmanns nach jedem Lager. Mit der zunehmenden Bedeutung von Virginia City verlegte sie ihr Hauptquartier dorthin. Es war kein loser Haufe von unabhängigen Dieben und Halsabschneidern. Da war ein Hauptmann, untergeordnete executive Beamte, Secretäre, Agenten, Diebshehler – und geheime Zeichen; ferner Hieroglyphen, die einen Menschen, einen Wagen oder einen Zug so bezeichneten, daß sie unbewußt auf dem Wege ihr eigenes Verderben einluden. Manche der Führer trugen einen besondern Knoten in ihrem Halstuche, und die Mitglieder konnten bei Tag oder Nacht, ob sichtbar oder in Dunkelheit gehüllt, sich unter einander verständigen und sich gegenseitig unterstützen. Nicht waren sie, wie in Californien und Colorado, die Auswürflinge und


  1. WS: Die Schlacht bei Königgrätz.
  2. Wir freuen uns, unsern Lesern diesen interessanten Originalbericht eines Deutschen mittheilen zu können, dessen Verdienste die Gartenlaube bereits früher (Nr. 38, 1866) hervorgehoben hat und der auch vom Präsidenten Lincoln durch den Gesandtschaftsposten in Costa Rica ausgezeichnet worden ist, wie ihm allen Voraussetzungen nach jedenfalls noch eine bedeutende politische Laufbahn bevorsteht.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_636.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)