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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Aufgegebenen der Gesellschaft, in der sie sich bewegten, nein, sie waren die reichsten, einflußreichsten und, wie Manche anfänglich glaubten, die nützlichsten Bürger.

Der Führer der Bande, Heinrich Plummer, war einer der vollendetsten Verbrecher, ein Meister in der Verwendung und Leitung von Menschen, und so schlau in seinen Operationen, daß er zum Sheriff zweier Counties und die zuverlässigsten und gewandtesten seiner Spießgesellen zu seinen Stellvertretern gewählt wurden. Diese Counties hatten keine gesetzliche Existenz; die von den Ansiedlern adoptirten Ordnungen waren die einzige Autorität: „Macht war Recht“.

Es ist nicht zu verwundern, daß Plummer, mit der Macht des Volkes in den zwei reichsten und bevölkertsten Bezirken in seiner Hand, die Geschäfte der Bande zur höchsten Blüthe brachte und jede Entdeckung vereitelte. So vollständig umfaßte die Organisation Alles, was für sie von Interesse war, daß jeder Ort (in bergmännischer Sprache) bewacht, sein Ertrag bis zum Augenblicke der Versendung verfolgt wurde und nur äußerst selten ein Mann mit seinem Gold sicher die Staaten erreichen konnte. Gewöhnlich waren die Leute glücklich, wenn sie blos dies verloren und ihr Leben retteten. Fuhren sie in einer Kutsche oder mit einem Zuge ab, so waren sie selbst oder etwas, das zu ihnen gehörte, mit untrüglichen Zeichen versehen, wodurch die herumziehenden Banden angewiesen wurden, zuzuhauen und den Raub zu sichern; oder wenn, wie oft der Fall war, zugleich Rache genommen werden sollte, dann benachrichtigte der Reisende unbewußt den versteckten Mörder, daß sein Leben diesem gehöre. Hunderttausende von Dollars wurden so Berg- und Geschäftsleuten geraubt, und wenn Verhaftungen vorkamen, so wurden die Verbrecher dem Sheriff Plummer, dem Räuberhauptmann, überliefert, der sie entschlüpfen ließ und ihnen ein anderes Feld der Thätigkeit anwies, wo sie nicht leicht erkannt werden konnten.

Diese Verbrecherbande erhielt, weil sie sich besonders die Straßen zum Schauplatz erkoren, den Namen „Straßenagenten“, und bis heute werden Straßenräuber im fernen Westen so genannt. Es waren mehr als fünfzig verzweifelte Kerls, vortrefflich bewaffnet und äußerst geschickt im Gebrauche der Waffen, mit wahrscheinlich über hundert Spießgesellen und Gehülfen außerhalb der Verbindung. Durch das ganze Land hatten sie Stationen, wo sie sich sicher aufhalten konnten, da die Besitzer derselben ihre Kuppler waren und einen kleinen Theil der gemeinschaftlichen Beute empfingen. Auf diese Weise hielten die über alle Ansiedelungen und Straßen von Montana verzweigten tausendfältigen Adern des Verbrechens das Gesetz in ihren Krallen und herrschten unumschränkt über das ganze Territorium. Selbst wenn einmal das Gesetz sich geltend machen wollte, dann lieferte oder bestach die Bande die Beamten und es konnte keine Geschwornenbank zusammengebracht werden, in der nicht eine genügende Zahl aus der Bande saßen, um die Entscheidung in der Hand zu haben. Ihre Mitglieder wurden nach und nach so kühn, daß sie nicht mehr blos des Raubes wegen mordeten, sondern bei der geringsten Veranlassung und mit der ruhigsten Ueberlegung in den Straßen der Städte Menschen niederschossen, ohne daß Jemand es wagte, sie deshalb anzuklagen. Ermuthigt durch fortgesetzten Erfolg und sicher, daß keine Macht existirte, stark genug, um sie zu Strafe zu ziehen, verbreiteten diese Strolche zuletzt eine entsetzliche Schreckensherrschaft über Montana, und die Bewohner waren gezwungen, Plummer nachzugeben, seiner Autorität zu gehorchen und schweigend sich seine Schandthaten gefallen zu lassen, blos um ihr Leben zu retten.

Aber die Vergeltung war im Anzuge! Manche der besten Bürger waren ermordet und beraubt worden und die Uebelthaten der Bande auf den nach den Staaten führenden Straßen so häufig, daß Niemand mehr wagte, mit edlen Metallen dorthin zurückzukehren. Jeder gute Bürger fühlte, daß entweder jede ehrliche Beschäftigung aufgegeben oder aber bald ein schreckliches Hülfsmittel angewendet werden müsse. Es ist wunderbar, daß die Ermordung eines der anspruchslosesten Bewohner Montanas, eines einfachen, freundlosen Deutschen, der Tropfen war, welcher die Volksgeduld überlaufen machte, eine Macht in’s Leben rief, die fast hundert Menschen richtete, hunderte von Anderen in selbstgewähltes Exil trieb und Montana Ordnung, Sicherheit und Ruhe verschaffte, ohne einen Flecken von Ungerechtigkeit auf ihrem Rufe, und daß das Hauptwerkzeug in diesem großartig kühnen Unternehmen ebenfalls ein Deutscher war! Der erstere der erwähnten Deutschen befand sich auf dem Wege, einige Maulthiere an den Käufer abzuliefern, deren Preis er bereits erhalten hatte, als er um dieser Thiere willen ermordet wurde. Die Leiche wurde in einem Salbeidickicht versteckt und von den Mördern das Gerücht verbreitet, er habe sich mit dem Gelde und den Maulthieren davongemacht. Eine Zeit lang gab es keinen Anhaltspunkt, um diesem Gerüchte zu widersprechen, bis zuletzt ein Jäger ein Waldhuhn schoß, welches in dasselbe Dickicht fiel, worin die Leiche versteckt lag; eine andere durch die Straßenagenten verübte Schandthat. Der Anblick der nach der Stadt geschafften Leiche des allgemein geschätzten Mannes brachte die öffentliche Indignation zur Fieberhitze. Ein Mann, Namens Black, bei dem der Ermordete früher in Dienst gestanden, gab ihr zuerst Form und Gestalt, und das Unternehmen gegen die Desparados wurde allgemein und rasch unterstützt, daß es, einmal begonnen, jede Schwierigkeit und jedes Mitleid im Sturme niederwarf. Gleichwohl war es ein höchst gefährliches. Ein einziges Mißlingen wäre das Todesurtheil für alle Betheiligten gewesen, denn es war keinem Zweifel unterworfen, daß die Verbrecher in der Mehrzahl waren. Wäre vor ihrer Organisation auch nur der Verdacht aufgetaucht, daß zehn oder selbst fünfzig Männer solch’ eine Absicht hätten, nicht Einer von ihnen würde deren Ausführung erlebt haben. Allein sie waren ebenso klug wie entschlossen, ihre Rache wurde weder gesehen noch gefürchtet, bis sie den Mörder aus seinem Bette holten und die Morgensonne seinen von einem Baumaste hängenden leblosen Körper beschien. Kein warnender Donner ließ den entsetzlichen Blitzschlag ahnen, der erbarmungslos die Verbrecherbande vernichten sollte!

Unter den vielen kühnen Männern, welche die Sache in’s Werk setzten und dann offen unterstützten, kann keinem ausschließlicher Ruhm zuerkannt werden, aber einer unter ihnen nimmt in der Geschichte dieses Vigilanzcomités eine ebenso hervorragende Stelle ein, wie Plummer während der Schreckensherrschaft. Dies war Johann X. Beidler, ein junger Mann aus Pennsylvanien, aus einer der dortigen deutschen Familien. In seiner Jugend verfertigte er Besen, später fungirte er als Koch in der Wirthschaft eines kleinen Badeortes. Seine Genügsamkeit, Freundlichkeit und sein harmloses Wesen, verbunden mit fröhlichem Humor, machten ihn zum Lieblinge Aller, die ihn kannten. Er ist von mittlerer Größe und, was Körperkraft angeht, eher unter dem Durchschnitte von Männern seines Alters. Um sein Glück zu machen, ging er nach dem Westen, und bald nach Plummer’s Ankunft traf auch „X“ – der einzige Name, unter dem er über ganz Montana bekannt ist – dort ein, – Gift und Gegengift zusammen.

Stark in seiner innersten Neigung zur Redlichkeit, jeder Furcht fremd, nicht kräftig, aber rasch wie der Gedanke in seinen Handlungen und so fest in seinen Vorsätzen, wie die ewigen Berge, die ihn umgaben, war es natürlich, daß er sofort und in vollem Ernst auf den Versuch einging, der Gesellschaft Ordnung und Sicherheit zu verschaffen. Es ist nicht überraschend, daß im Anfange die ernsten Reformatoren, denen er sich angeschlossen, nichts Großes von ihm erwarteten; allein bald machten seine unermüdliche Ausdauer, sein nie wankender Muth und seine besondere Geschicklichkeit, die Pläne des gemeinschaftlichen Feindes zu vereiteln, ihn zur Hauptstütze der Organisation und zum unaussprechlichen Schrecken jedes Verbrechers. Dieses kleine Männchen, ohne Familie und Eigenthum, die er zu vertheidigen gehabt hätte, verhaftete allein Dutzende der riesigsten Verbrecher und richtete am hellen Tage ebensoviele hin unter Anleitung jener wunderbaren Vehme der Vergeltung, die ungesehen um das hastig errichtete Schaffot Wache hielt.

So gewandt ist er mit einem treuen Revolver, daß die geübtesten Hallunken öfters vergeblich versuchten, ihm einen Moment zuvorzukommen. Schnell wie der Blitz ist der Revolver gezogen, während des Ziehens gespannt und dem verlorenen Manne mit der starren Aufforderung vorgehalten: „Hände in die Höhe!“ und die Arbeit ist gethan. Einmal verhaftete er ganz allein sechs der gefährlichsten Räuber auf einem Haufen, alle wohlbewaffnet, und machte sie vor sich her in’s Gefängniß marschiren. „Hände in die Höhe, meine Herren!“ diese Worte waren für sie die erste Andeutung, daß er etwas mit ihnen abzumachen hatte, und Unterwerfung war ihre einzige Rettung. Hätte Einer von ihnen nur die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_638.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)