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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

geringste Bewegung nach seinem Gürtel gemacht, er wäre ein stiller Mann gewesen im selben Moment. Bürger waren ihm ganz nahe und er wußte, wie viele unter ihnen geschworen hatten, ihn zu schützen und zu unterstützen, allein die Gefangenen wußten es nicht. Es scheint, daß diese ungreifbare, unsichtbare, nicht zu bemessende Macht selbst die verwegensten Diebe und Mörder entnervte, sobald ihr plötzlicher und verhängnisvoller Griff sie erfaßte. Bei irgend einem gewöhnlichen Versuche, sie zu verhaften, vertheidigten sie ihr Leben gegen Dutzende von Angreifern, aber wenn die Bürger „im Namen der öffentlichen Sicherheit“ ihnen gegenüberstanden, waren sie entmannt. Man kannte keine Formalitäten, keine Acten mit Gerichtssiegeln wurden verlesen. Niemand konnte ahnen, wann oder wo die entsetzliche Aufforderung des großen, unsichtbaren Gerichtshofes kommen würde. Der Schlafcamerad des Geächteten in einer weit abgelegenen Hütte trank und frühstückte mit ihm und machte ihn dann erstarren durch die Mittheilung: „Man verlangt nach Ihnen – Geschäfte in Virginia.“ In keinem einzigen Falle hat einer dieser vom Vigilanzcomité verhafteten Verbrecher auch nur einen Schuß abgefeuert, obwohl sie wußten, daß ihr Tod unvermeidlich war. Es ist wahr, in den meisten Fällen wurde ihnen nicht Zeit dazu gelassen, allein unter allen gewöhnlichen Verhältnissen wird auch die geringste Gelegenheit zum Entwischen benutzt. Dem „X“ entkam nie Einer! Der bloße Versuch wäre nur beschleunigter Tod gewesen. Und wie diese Galgenvögel ihn fürchteten, so achteten sie ihn auch so sehr, daß die meisten von ihnen, wenn um Tode von seiner Hand verurtheilt, ihm ihre letzten Wünsche mittheilten, die er als Heiligthum bewahrte.

Jetzt sind Ordnung und öffentliche Sicherheit hergestellt, aber „X“ ist doch noch in seiner Lieblingsbeschäftigung thätig. Er ist das Haupt der Entdeckungspolizei im Territorium. Er kommt und geht, und nur er weiß, in welcher Angelegenheit. „Was giebt’s, X?“ ist eine Frage, die gewöhnlich mit „Auf’s Spüren“ beantwortet wird, so wie alle Fragen nach seinem Wege oder der Zeit seines Wegganges mit „Ich weiß nicht!“ Allein hat er jeden Weg und jede Ansiedelung Montanas durchstreift, manche noch ganz unbekannte Gegenden durchforscht und ist immer bereit, ohne Begleitung oder Hülfe einen Verbrecher zu verfolgen, wohin immer dieser sich geflüchtet habe. Sein Lebenslauf ist in der That höchst merkwürdig gewesen und es grenzt an’s Wunderbare, daß er in seinem unzähligen Zusammentreffen mit dem Abschaum der Menschheit stets unverletzt davongekommen ist. Jüngst wurde er zum Zolleinnehmer in Helena ernannt, allein so lange in Montanta noch ein Dieb, ein durchgegangener Kassenbeamter, ein Mörder oder ein Indianer existirt, der den öffentlichen Frieden stört, wird er stets der thätigste Bote der Gerechtigkeit in den Goldregionen sein. Sein langer Dienst als Repräsentant unbarmherziger Vergeltung an den Geächteten hat ihn nicht seines freundlichen und gemüthlichen Wesens beraubt, und wohin er immer seine Schritte wendet, da ist er jedem Freunde der Ordnung und gesetzlicher Zustände ein willkommener Gast. Wenn er auf dem Kriegspfade ist, dann schreckt ihn nichts zurück und der Verbrecher kann sich nur durch zeitigen Rückzug retten. Reichlich dreitausend vollkommen organisirte Männer stehen hinter ihm. Sie haben Compagnien, Officiere und Auserwählte und Boten in jeder Ansiedelung, so daß er im Augenblick Dutzende oder Hunderte von tüchtigen Männern an seiner Seite haben kann.

Die erste Execution war die von einem gewissen Georg Ives, und er wurde von einem Volksgerichte verurtheilt. Es war der Wendepunkt zwischen Anarchie und Ordnung! Die Verbrecher waren in der Mehrzahl und die Befreiung des Gefangenen das wahrscheinliche Ergebniß; allein kühne Männer waren kühner als je, und der Verbrecherhaufe, der das Gericht umzingelt hielt, um das Urtheil zu controliren oder den Gefangenen mit Hülfe neuer Mordthaten zu retten, zerstob vor der starren Rechtschaffenheit und dem nicht zuckenden Muthe der Männer der Ordnung. Oberst Sanders, ein junger Advocat, klein von Gestalt, aber groß von Seele und Mannhaftigkeit, fungirte als Staatsanwalt, und zum ersten Male prallte die stets wachsende Woge der Verbrecher zurück, als das Urtheil ertönte: „Daß Georg Ives sofort am Halse aufgehangen werden solle, bis er todt sei.“ Achtundfünfzig Minuten nachher und nur zehn Schritte von dem Orte, wo er vor Gericht gesessen, fiel die Versenkung, und die Gerechtigkeit hatte in Montana wieder Fuß gefaßt. Dies geschah am 21. December 1863.

Bald nachher wurde Sheriff Plummer mit zweien seiner Spießgesellen zusammen in Bannock gerichtet. Er baumelte an einem Galgen, den er selbst zum Aufhängen eines Anderen aufgerichtet hatte, und behauptete seine wunderbare Selbstbeherrschung bis zum letzten Augenblicke. Seine letzte Handlung war eine sorgfältige Untersuchung des Strickes und der Versenkung, um gewiß zu sein, daß der Fall ihm das Genick brechen würde. Fünf seiner Gefährten ruhen auf dem Hügel nahe bei Virginia, und dann ergoß sich der Wildbach der Vergeltung, bis zuletzt ein von einem Baume herabhängender lebloser Körper die Inschrift trug: „Wil. Hunter, der Letzte von Heinrich Plummer’s Bande.“

Mehrere der zuerst Ergriffenen und Hingerichteten bekannten am Galgen und offenbarten die Namen der ganzen Bande, und mit dieser Kenntniß wurde nicht geruht, bis auch nicht einer der eigentlichen Gefährten Plummer’s mehr am Leben war. Nicht Einer ist aus jener allmächtigen Organisation geblieben, ihre blutige und verhängnißvolle Geschichte zu erzählen. Nach Hinrichtung der Führer – drei in Bannock und fünf in Virginia – wurden die zersprengten und flüchtenden Verbrecher gejagt wie Wild und schnell abgefertigt. Tausende von Dollars wurden daran gewendet, um Diejenigen zu verfolgen, welche Hunderte von Meilen geflohen waren, um dem nicht zu erweichenden Rächer zu entkommen, – Alles vergeblich! – Wenn sie in ihren einsamen Zufluchtstätten sich sicher glaubten, dann erfaßte sie plötzlich der eisige Griff der Vigilanten, und sie fanden ein unbeschriebenes und unbetrauertes Grab, wo immer die geheimnißvollen Diener der beleidigten Gerechtigkeit mit ihnen zusammentrafen. Einige hatten sich in die engen Felsenschluchten der höchsten Gebirge von Idaho und Oregon, Andere nach Californien geflüchtet, ja selbst Südamerika wurde als Zufluchtsstätte gegen den entsetzlichen Strom der Rache aufgesucht. Indeß Alles, Alles war umsonst. Das feierliche Urtheil der geheimnißvollen Vehme mußte vollzogen werden und wenn die Grenzen der Erde nach dem Opfer zu durchsuchen gewesen wären. Die Gerechtigkeit nicht allein, sondern ebenso sehr die allgemeine Sicherheit erforderte es, daß kein einmal Verurtheilter entkommen durfte. Sie möchten später die Tausende von Meilen zwischen Montana und den Staaten sich hinstreckenden Ebenen und Gebirgspässe beunruhigen, welche die Gerichtsbeamten manchmal durchstreifen mußten, und Niemand würde sein, um auf’s Neue Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Sich selbst und die öffentliche Ordnung stellten die Vigilanten sicher durch nicht endigende Verfolgung.

Und doch ist ihre Aufgabe noch nicht völlig gelöst. Obwohl unsichtbar und ungekannt, bewacht ihr schlafloses Auge den fernen Westen mit nie ermüdender Aufmerksamkeit. Kein Desperado kann den Missourifluß aufwärts gehen, ohne daß sein Name, seine Beschreibung und Vergangenheit ihm vorhereilt oder ihn begleitet, und jede Ansiedlung hat ihre treue Schildwache, ihn bei der Ankunft anzurufen. Viele der Strolche wähnen, daß der Verband der Vigilanten aufgelöst ist, und wagen sich wieder nach Montana, bis das Lebewohl, welches ihnen ein unbekannter Freund mit dem Bemerken zuraunt, daß sie sofort abreisen müssen, ihnen sagt, daß für sie nichts mehr zu hoffen bleibt. Keine weitere Erklärung wird gegeben, – es ist keine nöthig, und Montana verliert einen Bürger, den es besser entbehren als behalten kann.

Dies ist eine kurze und natürlich unvollständige Geschichte des Triumphes der Gerechtigkeit in Montana. Die Gerichtsbehörden sind jetzt in vollständiger Thätigkeit, allein ohne die Macht der Vigilanten würde das Verbrechen bald wieder die Oberhand gewinnen. Der Verband wird aufrecht erhalten, als ein Gehülfe der Gerichte und um den Arm der Gerechtigkeit auszustrecken, wohin die bürgerlichen Behörden ohnmächtig sind zu reichen. Sollte das Gesetz sich in irgend einem Falle zu schwach erweisen zur Aufrechthaltung der Ordnung, dann wird das „Fiat“ von dreitausend entschlossenen Männern im Interesse der öffentlichen Sicherheit ertönen. So unbeugsam waren sie, daß kein Mittel, keine Verbindungen, keine Verhältnisse den Schuldigen zu schützen vermochten. Man fand aus, daß einer jener Verbrecher im Kreise der Vigilanten selbst Schutz gesucht hatte vor der gerechten Strafe; er wurde aus der Mitte von fünfzehn heraus genommen und hingerichtet. In einem anderen Falle erboten sich die Freunde des Verurtheilten, das gestohlene Eigenthum zu ersetzen, wenn das Urtheil von Tod in Verbannung umgewandelt würde, allein der Verbrecher war ein Mitglied der Räuberbande,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_639.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)