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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 41.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Franzi hatte indessen angefangen, in den verschiedenen Zechstuben das Versäumte nachzuholen; sie bediente und räumte ab, und bald war nicht zu verkennen, was eine gewandte sichere Hand auch in kurzer Zeit vermag. In dem Cabinet, in welchem Meister Staudinger noch immer schlafend lehnte, war es dunkel geworden; das Unschlittlicht qualmte erlöschend auf, durch die Fensterscheiben aber quoll das Mondlicht herein, daß sie glitzerten und auf dem Boden widerschienen. So fest der Schlaf des Meisters war, schien er doch nicht ruhig zu sein, denn er regte sich manchmal schwerfällig, als liege er unter einer Last, die er abzuwälzen nicht vermöge, und unverständliche Worte kamen von den heißen Lippen. Franzi nahm die ausgebrannte Kerze hinweg, sie durch eine neue zu ersetzen; über der Bewegung oder von dem helleren Lichtschein erwachte der Schläfer – sein erster Blick fiel auf das Mädchen, er machte eine Bewegung, als wolle er erschrocken aufspringen, aber er vermochte es nicht und fiel schwer in seine erste Stellung zurück. Die Augen aber standen weit offen und hingen mit dem starren Ausdruck des Schreckens an Franzi, während der Mund sich lange vergeblich bemühte, ein Wort hervorzubringen. „Weg … weg mit Dir!“ stößt er endlich mit Anstrengung hervor. „Ich kann das Gesicht nicht seh’n … thut mir das Gesicht weg … ich kann’s nicht, ich will nichts wissen davon! Die Augen stechen mich … sie bohren mir mitten durch die Brust …“

Franzi hob verwundert das Licht empor und leuchtete ihm fest in’s Gesicht; der traumhaft verworrene Zustand, in dem er sich befand, verschwand darüber und er blickte das Mädchen mit geringschätziger Miene an, aus welcher unverhohlen der alte Groll hervorbrach. „Was thut Sie hier? Was will Sie?“ fuhr er sie an. „Ist das eine Art, die Leut’ so ihm Schlaf zu erschrecken?“

„Ich, glaub’, es träumt Ihnen noch,“ erwiderte sie, seinen Blicke fest aushaltend. „Ich hab’ Sie nit erschreckt, Herr … aber wenn Sie vor einem ruhigen Menschen und vor einem einfachen Licht so erschrecken, müssen Sie mit sich selber abraiten (rechnen), nit mit mir. …“

Sie trat an’s Fenster, wie allabendlich die äußeren Läden zu schließen; dem Meister war es unheimlich geworden, er ging in die große Stube, wo es noch Gesellschaft gab. „Was das nur gewesen sein muß!“ murmelte er in sich hinein, während es ihm wie fröstelnd über den Rücken lief. „Ich wollte darauf schwören, daß ich hellauf wach gewesen bin und sie so deutlich vor mir gesehen habe, als wie am lichten Tag. …“

Im Begriffe, das Fenster wieder zu schließen, hielt Franzi inne. „Da ist jetzt das Ding wieder vorbei gehuscht,“ flüsterte sie, „was soll das nur bedeuten? … Da schleicht was am Haus unter den Fenstern hin …“ Sie verstummte und hielt den Athem an, denn der Mond, der eben aus einem starken Gewölke hervorzubrechen begann, ließ sie ein paar Männergestalten erkennen, welche in dunklen Gewändern, die Gesichter unter großen Hüten verbergend, sich am Gemäuer niederduckten und mit einander zu flüstern begannen. „Drinnen ist er nicht,“ sagte der Eine, „ich habe vom Fenster aus die ganze Zechstube übersehen können.“

„Und hast Du auch gehörig aufgepaßt?“ fragte der Andere. „Vielleicht hast Du ihn nicht gesehen oder nicht erkannt …“

„Lehr’ Du mich den Aichbauern kennen,“ begann der Erste wieder,“ „im Haus ist er nicht, darauf kannst Du schwören. … Aber er wird wohl noch kommen und soll uns nicht entwischen. … Da schau,“ unterbrach er sich und zeigte gegen den Eingang, „was kommt da daher? Er ist’s – das ist unser Mann … geschwind, daß wir ihn nit verfehlen!“

Die Männer verschwanden; Franzi brachen fast die Kniee bei dem, was sie gehört, aber die Anwandlung ging rasch vorüber, denn es war ihr klar, daß Sixt, dem Jugendfreunde, etwas Außergewöhnliches bevorstand, daß ihn vielleicht eine schwere Gefahr bedrohte … sie konnte nicht unthätig bleiben und zusehen, und war er auch in grollendem Unfrieden von ihr gegangen, sie mußte ihn warnen, mußte, wenn das nicht mehr möglich war, wenigstens in der Nähe sein, für ihn zu wirken, ihm zu helfen, wie sie es vermochte. Geflügelten Schritts eilte sie durch die große Stube über die Hausflur, die Eingangsstufen hinab, aber – sie kam bereits zu spät: der Aichbauer war den beiden Vermummten schon begegnet und mit denselben in offenbar wichtiger, aber auch gefahrloser Unterredung begriffen.

„Geh’n wir etwas bei Seite,“ sagte Sixt, „damit uns Niemand belauscht …“ Die Männer traten näher in das Haus und Franzi, wenn sie nicht gesehen sein wollte, blieb nichts übrig, als hinter den Stufen in der Ecke nieder zu kauern.

Wurde das Gespräch auch noch so leise geführt, kein Wort konnte ihr entgehen.

„Es ist nit anders,“ sagte der Eine, „und Du mußt schon schauen, wie Du Dich darein findest! Du weißt, der alte Grundner ist gestorben …“

„Ich hab’ davon gehört …“ entgegnete der Aicher.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_641.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)