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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zu seiner Unterstützung bildete, nach Pignerol geschickt. Er correspondirte direct mit Louvois, ohne dem Festungscommandanten und dem königlichen Statthalter jemals Rechenschaft oder auch nur Kenntniß von irgend einem Vorgange oder einer Maßregel zu geben. Hatte er Wichtiges zu melden, so geschah es nicht durch die Post, der man nicht traute, sondern durch einen besondern Boten, einen Officier. Es war derselbe, welcher in den seltenen Fällen einer Reise von Saint Mars nach Paris an dessen Stelle trat. Dieser letztere scheint zwar ein strenger Mann gewesen zu sein, doch seinen unglücklichen Gästen alle Bequemlichkeiten gewährt zu haben, die sich mit der vorgeschriebenen stricten Ueberwachung vertrugen.

Als Matthioli in Pignerol anlangte, bewohnte Fouquet den Schloßthurm seit vierzehn und Lauzun seit acht Jahren. Jeder der beiden vornehmen Gefangenen hatte seinen Kammerdiener, der aber auch als Gefangener behandelt wurde, und jedem stand ein ganzes Stockwerk des Thurms zur Verfügung. Zu Anfang war ihre Haft die strengste gewesen. Nach Jahren hatten sie endlich die Erlaubniß erhalten, an drei Wochentagen, aber zu verschiedenen Zeiten, auf dem Wall vor ihren Fenstern einige Stunden frische Luft zu schöpfen, und wieder zwei Jahre später war ihnen die Haft so weit erleichtert worden, daß sie sich besuchen, mit einander speisen und frei in der ganzen Citadelle herumgehen konnten. Etwa ein Jahr darauf starb Fouquet und wieder ein Jahr darauf wurde Lauzun in Freiheit gesetzt. Außer diesen Beiden gab es im Thurm noch vier Gefangene, untergeordnete Menschen, von denen aber einer in der Geschichte der eisernen Maske eine Rolle spielt. Seine Verbrechen kennt man nicht; er war ein Mönch vom Orden der Jacobiner und Louvois hatte ihm die Empfehlung mitgegeben: „Er ist ein großer Spitzbube und hat angesehenen Leuten in einer ernsten Sache übel mitgespielt.“

Matthioli war kaum ein Jahr in Haft, als er Zeichen von Geistesstörungen gab. Er wollte ein naher Verwandter des Königs sein und sprach von Besuchen der Engel. Wir wollen nicht untersuchen, ob es eine Handlung der Menschenfreundlichkeit war, daß man ihn mit dem Mönch zusammensetzte, denn auch der Jacobiner war geisteskrank. Als Saint Mars einmal in den Kerker trat, lief Matthioli, den Mantel bis über die Nase hinaufziehend, hin und her, und der Mönch saß auf seinem Bett, stützte die Ellbogen auf die Kniee und starrte seinen Gefährten immerfort an. So trieben sie es ganze Tage und dann entkleidete sich der Jacobiner einmal, stieg von seinem Bett herunter und hielt eine Predigt.

Den beiden Unglücksgefährten stand eine Uebersiedelung in einen andern Ort bevor. Saint Mars wurde zum Gouverneur von Exilles ernannt und erhielt Befehl, seine Freicompagnie und die „beiden Gefangenen“ aus dem Erdgeschoß des Thurmes mitzunehmen. Um die übrigen fünf Gefangenen kümmerte sich der Kriegsminister nicht, doch fragte er bei dieser Gelegenheit an, wie viel ihrer seien und für welche Verbrechen man sie bestrafe. Louvois schrieb in dieser Zeit an Saint Mars mehrere Male und aus seinen Briefen ergiebt sich mit der klarsten Bestimmtheit, daß im Erdgeschoß des Thurmes anfänglich noch die zwei Gefangenen saßen, die wir kennen. Zuletzt aber blos einer. Der andere ist im Herbst 1681 verschwunden. Aber welcher, Matthioli oder der Jacobiner? Höchst wahrscheinlich der Letztere. Er war ein gemeiner Verbrecher, den man gewiß lieber als Matthioli entfernte, als ein neuer Gefangener ankam, wegen dessen wieder große Vorsichtsmaßregeln ergriffen wurden.

Daß ein neuer Gefangener im Winter von 1681 zu 1682 gekommen ist, wird durch den Briefwechsel zwischen Louvois und Saint Mars außer Zweifel gestellt. Nachdem zuerst von zwei Gefangenen, dann von einem die Rede gewesen ist, treten plötzlich wieder zwei Gefangene auf. Aus Exilles meldet Saint Mars an Louvois, daß er seine beiden Gefangenen in demselben Thurme, aber in getrennten Zimmern, untergebracht habe. Er beschreibt die Vorsichtsmaßregeln, die er ergriffen habe, um sie völlig von der Welt zu trennen. „Meine Gefangenen,“ sagt er, „können die Leute hören, die auf dem Wege unter dem Thurme vorbeigehen, aber sie können sich mit Niemand verständigen, wenn sie auch wollen. Sie sehen die Personen auf dem Berge vor ihren Fenstern, aber sie selbst werden wegen der Gitter nicht gesehen.“ Tag und Nacht gingen zwei Schildwachen vor dem Thurme auf und ab und duldeten nicht, daß ein Vorübergehender stehen blieb. Saint Mars schlief neben den Gefängnissen und konnte aus seinem Fenster Alles sehen, was auf dem Wege vorging und was die Schildwachen trieben. Der Arzt, der die beiden Gefangenen behandelte, mußte in Pragelas, sechs Stunden von Exilles entfernt, wohnen. Seine Hülfe wäre gleichwohl oft nöthig geworden, denn Ende 1685 schreibt Saint Mars: „Meine Gefangenen sind immer krank und mediciniren; übrigens benehmen sie sich mit großer Ruhe.“

Nach diesem Briefe schweigt Saint Mars länger als ein Jahr über seine Gefangenen, und als er wieder schreibt, spricht er blos von einem. Wenn auch nicht aus den amtlichen Documenten, nach denen wir bisher berichtet haben, so doch aus einer anderen zuverlässigen Quelle, aus den Aufzeichnungen eines in der Freicompagnie angestellt gewesenen Officiers, geht mit Bestimmtheit hervor, daß in der Zwischenzeit, oder im Jahre 1686, Matthioli gestorben ist.

Ende April 1687 begab sich Saint Mars, zum Gouverneur der in der Nähe von Cannes aus dem Mittelmeere sich erhebenden Inseln Honorat und Marguerite ernannt, an den Ort seiner neuen Bestimmung. Seinen Gefangenen nahm er mit. Aus den Registern der Bastille geht hervor, daß die Haft des Unglücklichen bereits in Pignerol begonnen hat. Ist es richtig, was sich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen läßt, daß der Jacobiner ohne Namen aus dem Thurme von Pignerol entfernt wurde und Matthioli in Exilles starb, so kann er nur der Unbekannte sein, der in Pignerol nachher eingebracht wurde. Gleich dem Jacobiner wird er in dem Briefwechsel zwischen Louvois und Saint Mars niemals genannt. Er heißt entweder „der Gefangene der Provence“, oder noch kürzer „der Gefangene“. Die Reise von Exilles nach der Insel Marguerite dauerte zwölf Tage. Unterwegs saß der Gefangene in einem Tragsessel, den ein Mantel von Wachstuch umgab. Schon in Exilles war er leidend gewesen und auf der Reise wurde er in Folge des Mangels an frischer Luft krank. Ihren Zweck hatte diese Art der Beförderung erreicht. „Ich darf Ihnen die Versicherung geben, gnädigster Herr,“ schrieb Saint Mars an Louvois, „daß kein Mensch auf der Welt ihn gesehen hat und daß durch die Weise, wie ich ihn geführt und bewacht habe, alle Leute neugierig geworden sind, zu erfahren, wer mein Gefangener ist.“ Welche Rücksichten auf den Letzteren genommen wurden, mag der Leser aus der folgenden Stelle des Briefes schließen, durch den Saint Mars dem Kriegsminister seine Abreise von Exilles anzeigte: „Das Bett meines Gefangenen war so alt und abgenutzt, sein Leinenzeug, sein Tisch und alle Möbeln, deren er sich sonst bediente, so schlecht, daß es sich nicht der Mühe verlohnte, diese Sachen, für die ich blos dreizehn Thaler bekommen habe, mit hierher zu nehmen.“

Saint Mars blieb elf Jahre, von 1687 bis 1698, auf der Insel St. Marguerite und eben so lange war sein Gefangener dort eingeschlossen. Um diesen Aufenthaltsort beginnt die Sage von der eisernen Maske ihre ersten Gewebe zu spinnen. Louvois soll den geheimnißvollen Sträfling in seinem Thurme besucht und stehend, den Hut in der Hand, mit ihm gesprochen haben. Aus dem Briefwechsel des Kriegsministers ist indessen bis zur Evidenz nachgewiesen worden, daß er nie einen Fuß auf die Insel Marguerite gesetzt hat. Fischer sollen einen silbernen Teller gefunden haben, auf den die eiserne Maske Nachrichten über ihr Schicksal eingekritzelt habe. Etwas Aehnliches ist vorgekommen und in die Sage verwoben worden. Ein protestantischer Geistlicher, der zu den Gefangenen gehörte, hat, wie Saint Mars in einem Bericht meldet, auf Leinenzeug und zinnerne Teller Armseligkeiten geschrieben. Uebrigens wird die Geschichte mit dem silbernen Teller auch von einem gewissen Valzin erzählt, der auf Richelieu’s Befehl gefangen gehalten wurde.

Authentische Angaben über den Aufenthalt des Gefangenen auf Marguerite existiren nicht. Erst mit der Versetzung von Saint Mars nach der Bastille tritt die eiserne Maske wieder in den Gesichtskreis der Geschichte. Wie von Pignerol nach Exilles und von Exilles nach Marguerite, wurde der Gefangene auch von Marguerite nach der Bastille mitgenommen. Er reiste in einer Sänfte. Daß er eine Maske getragen habe, wird blos von einer, noch dazu unzuverlässigen, Seite erzählt. In der Bastille trug er wirklich eine Maske, aber nicht von Eisen, sondern von schwarzem Sammet, wie sie von den Damen auf Reisen allgemein getragen und Wolf genannt wurde. Hier in der Bastille starb er auch am 19. November 1703 und wurde auf dem Kirchhofe des Gefängnisses begraben. Das Kirchenbuch nennt ihn Marchiali und giebt sein Alter zu fünfundvierzig Jahren „oder ungefähr so“ an.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_648.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)