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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 42.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Das Innere eines nahen Bauernhauses bot indessen ein volles Bild des Friedens und der Behaglichkeit; wer es gesehen, ahnte wohl nicht, wie nahe Sorge und Angst daran vorüber hasteten. Vergebens rüttelte der Sturm an den Läden, die so fest verschlossen waren, daß kaum ein Lichtstrahl durch die Ritzen zu dringen vermochte, das sichere Haus in der Umwallung einiger mächtiger Lindenbäume wehrte ihm den Eingang und nur gegen die Rückseite hin, wo über eine Balkenlage wie über eine Brücke die Auffahrt zu Stadel und Tenne emporstieg, ließ sich zuweilen ein knarrender Ton vernehmen, als ob das Scheunenthor nicht fest in Schloß oder Angeln liege oder ein nicht ganz wohl befestigtes Brett allmählich dem stets erneuten Anprall des Windes zu weichen und in den Fugen sich zu lockern beginne.

Es war der Oedhof, das stattliche Besitzthum von Susi’s alter Base, die das Kind der Schwester zu sich gerufen hatte, um in den letzten Tagen, deren Herannahen sie fühlte oder ahnte, nicht ganz allein und nicht von fremden Händen gepflegt zu sein. Das Mädchen war wenige Tage vorher eingetroffen, von Bruder Waldhauser geleitet, der sich aber nicht behaglich gefühlt und bald wieder entfernt hatte; die alte Base hatte das Mädchen mit all’ der überströmenden Liebe und Freude aufgenommen, mit welcher man die endliche Verkörperung eines lang gehegten Lieblingswunsches begrüßt, sie war so ausschließend mit Susi beschäftigt und hatte nur für sie Sinn und Gedanken, daß er die Hoffnung bald als eine trügerische erkennen mußte, als könnte es ihm durch Freundlichkeit oder Anschmiegen gelingen, ein Stück der reichen Erbschaft zu erschleichen. Er gab daher den Versuch um so rascher auf, als die Base gegen ihn ebenso kalt und schroff abweisend war, wie sie das Mädchen mit Beweisen ihrer Zuneigung überschüttete. Rasch entschlossen änderte er deshalb seinen Plan und wandte all’ seine Liebenswürdigkeit der Schwester zu, damit sie, da bei ihrer steten und schweren Kränklichkeit ihr Ende doch unmöglich fern sein konnte, demjenigen ihrer Brüder einen Vorzug einräumen solle, der ihr ja im Leben ebenfalls so sehr den Vorzug gegeben.

In der Wohnstube, die wie gewöhnlich die Ecke im Erdgeschosse des Hauses bildete, war es gar behaglich, denn der große dunkle Kachelofen war nach der Sommerruhe zum ersten Male wieder geheizt, die Feuerstrahlen spielten aus dem halbgeschlossenen Thürchen auf dem Boden hin und wieder, als wollten sie mit der hängenden Oellampe wetteifern, welche gegen die sonstige Sitte und Gewohnheit des Landes über dem Tische in der Ecke aufgehangen war – die Besitzerin des Hofes hatte die Neuerung eingeführt, als das Erdöl sich überall zu verbreiten begann, weil sie an den Augen litt und es ihr angenehm war, das Licht nicht vor, sondern über sich zu haben. Aus demselben Grunde war auch das Licht auf den geringsten Grad zurückgeschraubt und verbreitete nicht viel mehr als eine schwache Dämmerung, eben zureichend, um die Umrisse der Stube, die dunklen Balken und Tafeln der Decke und das an den Wänden herumlaufende Holzsims erkennen zu lassen. Ueber dem Tische fehlte nicht der aus allerlei bunten Täfelchen, alten Büscheln künstlicher Blumen und einem Kreuzbilde gebildete Hausaltar; daneben in der breiten Fensternische unter dem aufgehangenen Kalender lagen die wenigen Bücher, welche das kleine Lesebedürfniß der Hausbewohner erforderte, eine alte großgedruckte Bibel mit Holzschnitten, ein Evangelienbuch, die Geschichte von Isidor, dem wackern Bauern zu Ried, die Märlein von der schönen Magellone, einer Königstochter aus Britannia, und von den vier Haymonskindern. Auf der Ofenbank lag ein schlichtes Kissen zum Lager für den Bauer, wenn er naß und erkältet von der Arbeit heimkam und des Trocknens und Erwärmens bedurfte am mächtigen Ofen; es war schon in die zehn Jahre, daß der Bauer sich ganz zum Ausruhen von der Arbeit niedergelegt hatte, aber das Kissen war noch da und harrte sein, als sei es gestern gewesen, daß er darauf geruht, als müßte es heute sein, daß er Schnee und Tropfen vom Hute schüttelnd in die Stube trete. Längs der Sitzbank an der Wand standen die Spinnräder für die Mägde bereit; darüber an der einen Seite des Thürgerüstes hing das zinnerne Weihwasserkesselchen mit einem Paar lockiger und flügelschlagender Engel; gegenüber an der andern Seite ragte das braune Holzgehäuse der alten Standuhr empor, ein Erb- und Prachtstück des Hauses, denn zu oberst auf dem wie ein Dach geformten Deckel der Uhr saß ein künstlich geschnitzter Hahn, der bei jedem Stundenschlage die Flügel regte und laut krähend mit dem einen Fuße einen fliegenden Zettel empor hob, auf dem geschrieben stand:

O Mensch, so oft der Gockel schreit,
Bedenk’s, es wart’t nach dieser Zeit
Auf dich die große Ewigkeit!

Vor dem Ofen, in dem alten schwarzbraunen Lederstuhle saß die Bäuerin, die Herrin des Hofes, eine hagere hohe Gestalt mit nicht unfreundlichen, aber ernsthaften Gesichtszügen, deren Ausdruck durch das vollständig silberweiße Scheitelhaar und durch den starren Blick der alterstrüb gewordenen Augen nur noch mehr hervorgehoben wurde. Die ungelenken, immer frierenden Beine waren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_657.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)