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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mutter bebte vor diesen barbarischen Namen; sie hatte ganz andere Lieblinge. Unsäglich war die Freude der Eltern. Zwei Kinder erblickten zugleich das Licht der Welt. So ward ich Faustine und meine Schwester Adele getauft. Vater und Mutter starben. Für mich aber hat mein Taufpathe Faust stets ein ganz besonderes Interesse gehabt, unabhängig von dem Zauber seiner Person und seiner grandiosen Weltanschauung. Ich wollte immer mein eigenes Schicksal in diesem rastlosen Faustleben, in diesem Dürsten und Schmachten nach Befriedigung finden, aber der zweite Theil hat mir das unmöglich gemacht. Ich denke, es schreibt wohl Jeder von uns seinen eigenen zweiten Theil zum Faust; der Goethe’sche ist allzu individuell; die Kräfte eines Faust dürfen brechen, nicht erlahmen,‘ rief Faustine. ‚Sind sie gebrochen im rastlosen Kampfe, so gehe er heim nach Gretchens öder Hütte und suche dort im Tode, was er im Leben umsonst gesucht: ein Haus für die Ewigkeit. Der göttlichen Barmherzigkeit und der reinen Liebe sind keine Grenzen gesetzt; heben sie die matte Seele in den Himmel, warum nicht die ringende Feuerseele?‘

‚Schreiben Sie doch einen zweiten Theil zum Faust,‘ sprach Veldern (eine Figur des Romans) scherzend.

‚Nein, ich lebe ihn lieber,‘ entgegnete Faustine. ‚Schreiben ist nur ein Surrogat für Leben.‘“

Hier ist der Wendepunkt im Leben der Hahn-Hahn-Faustine mit aller Entschiedenheit ausgesprochen: erst unbeschränkter Genuß, ein völliges Sichausleben und Ausglühen in der Welt und Gesellschaft, gleich einem feuerspeienden Berge, dann, zusammenstürzend in sich selbst wie ein Aschenkegel, Zuflucht und völlige Abgeschiedenheit im Kloster und strengste Askese.

In der weiteren Entwickelung der Faustine, in der Schürzung des tragischen Conflicts und in der gewaltsamen Durchhauung desselben durch ihren Eintritt in das Kloster hat die Gräfin uns selbst die Entwickelung und den Verlauf ihrer eigenen Seelen- und Lebenskrankheit pathologisch und psychologisch genau dargestellt. „Meine Seele ist dürr und öde,“ sagt Faustine, „keines Aufschwungs mächtig, ausgesperrt aus ihrem alten Himmel der Begeisterung, der Phantasie, der Kunst. Laß mich einen neuen aufsuchen, den, welchen die Religion uns verheißt. Laß mich den Rest meines Lebens einzig Gott weihen und in ein Kloster gehen.“ An einer anderen Stelle ruft Faustine aus: „Wenn du wüßtest, Herz, wie müde ich bin, nicht des Lebens, nicht der Liebe, aber vom Leben und Lieben, so würdest du mich selbst den Weg der Entsagung alles Dessen gehen lassen, was ich bisher so glühend geliebt und gesucht. Ich scheide nicht gleich einer büßenden Magdalena; ich glaube nicht im Staube und in der Asche mit blutigen Kasteiungen gut machen zu müssen, was ich gefehlt habe. Ich will nur Aug’ und Seele unmittelbar in Anschauung Gottes versenken, statt wie bisher in seinen Werken und Geschöpfen ihn zu lieben und zu verherrlichen.“ Die Ehe wird auch wirklich gelöst und Faustine erhält die Dispensation, ohne Noviciat den Schleier bei den „Lebendigbegrabenen“ in Rom nehmen zu dürfen. Ihr Gemahl, Graf Mario Mengen, ist selbst Zeuge ihrer Einkleidung, aber kaum anderthalb Jahre nach derselben stirbt sie nach kurzer Krankheit gottselig im Kloster. Das Klosterleben hat sie nicht getröstet, sondern getödtet.

Im Munde der Gräfin Hahn-Hahn waren die in der Faustine ausgesprochenen Ansichten nicht bloße Worte und vorüberrauschende Empfindungen, sondern Ansichten, die sie bald zur That werden ließ, und deshalb haben wir gerade in diesem Romane das Programm ihrer weiteren Lebensentwickelung vor uns. Nachdem sie an Allem, woran sich ein Weib, und selbst das geistreichste, im Leben und Leiden anklammern kann, gänzlich Schiffbruch gelitten, warf sie sich verzweifelnd bei dem letzten äußeren Wendepunkt ihres Lebens in die Arme der Kirche, in welcher sie, wie es klar und unzweifelhaft aus ihren von da ab zahlreich veröffentlichten geistlichen Werken hervorgeht, ebensowenig eine wahrhafte Umwandlung am inneren Menschen gefunden hat, wie dies früher die Orthodoxie der lutherischen Kirche zu begründen vermocht hatte, in der sie in ihrem Vaterlande Mecklenburg kirchlich exclusiv erzogen worden war.

Seit der Revolution von 1848 schrieb sie einige Jahre nicht, sondern bereitete sich, auch noch gereizt durch den Roman „Diogena“, in welchem die geistreiche Fanny Lewald die schriftstellerischen, wie die Charakterschwächen der Gräfin mit vernichtendem Spotte gegeißelt und die als Heldin verkappte Gräfin sogar im Wahnsinn enden ließ, zum Uebertritt in die katholische Kirche vor. Im März 1850 legte sie in der St. Hedwigskirche in Berlin öffentlich das katholische Glaubensbekenntniß vor dem damaligen Propste Dr. Wilhelm Emanuel Freiherrn von Ketteler ab, an welchen sie von dem Fürstbischof von Breslau, Cardinal von Diepenbrock, gewiesen worden war. Später ging sie nach Mainz, wo unterdessen eben derselbe Geistliche den bischöflichen Stuhl bestiegen hatte. Zwei Jahre lang begann sie nun mit derselben Hast und eitlen Ruhmsucht in Schriften für die Kirche zu werben, deren Luft sie kaum eingeathmet hatte. Sie urtheilte mit Rechthaberei, Eitelkeit und mit crasser Unwissenheit über den Geist, das Wesen und die Geschichte des Protestantismus, wie sie mit blendender Phantasterei ihre neue Kirche in den schnell auf einander folgenden, in Mainz bei Kirchheim erschienenen Schriften verherrlichte: „Von Babylon nach Jerusalem“, „Aus Jerusalem“, „Die Liebhaber des Kreuzes“ und im Büchlein „Unsrer lieben Frau“, worin sie mit zur Schau getragener Ruhmredigkeit als katholisch rechtgläubige Sängerin die Jungfrau Maria in allen verschiedenen Aemtern und Charakteren glorificirt, die ihr die katholische Kirche beilegt.

„Freilich bin ich in der lutherischen Confession getauft und confirmirt,“ sagt sie aufschlußgebend in ihrem ‚Von Babylon nach Jerusalem‘, „aber wie hätte ich dadurch eine geoffenbarte Religion haben sollen, ich hatte ja keine Kirche! Die Protestanten lehren freilich die Existenz einer unsichtbaren Kirche, und das klingt ja ungemein erhaben.“ – „Es kommt mir vor, als sei meine Seele von jeher eine schlafende Katholikin gewesen. Im Schlaf ist man nicht zurechnungsfähig. Wir nachtwandlen sogar und thun im somnambulen Zustande außerordentliche Dinge, die wir wachend nicht vollbringen können. Als meine Seele wach wurde, fand sie sich katholisch; denn Alles, was die Protestanten lehrten, hat sie nie begreifen, nie in sich aufnehmen, nie sich zur Nahrung machen können. Kein Echo tönte wieder, kein Ton schlug an, keine Saite vibrirte. Nicht den geringsten Anknüpfungspunkt fand ich für mein religiöses Gefühl, weder in meiner Jugend noch in späteren Jahren.“ – „Der Protestantismus hat mit der Gemeinschaft der Kirche, mit dem unverlierbaren Mittelpunkte, dem irdischen Stellvertreter Christi, dem Papste, welcher der Schlußstein dieser Gemeinschaft seit achtzehn Jahrhunderten ist, gebrochen, die Autorität und die Tradition mit Füßen getreten, von der Einheit der sichtbaren Kirche sich losgerissen, folglich auch von der unsichtbaren sich abgelöst, welche nichts Anderes, als eine Vervollständigung der sichtbaren ist; mit welchem Rechte durfte der Protestantismus da behaupten, bei diesem Bruch, bei diesem Abfall die christliche Offenbarung respectirt, ja sogar sie gerettet, sie in einer neuen Kirche neu hergestellt zu haben? Der Protestantismus war geboren aus Willkür und behauptete das Recht aus Willkür, und damit hat er sich seinen character indelebilis für die ganze Zeit seines Bestehens aufgedrückt: Willkür ist sein Lebensprincip.“

Dies ist das Grundthema, über welches die Gräfin, wie früher über die sinnliche, so nun über die katholisch-himmlisch-kirchliche Liebe mit einer gewissen blendenden, aber bald abstumpfenden Virtuosität in allen Tonarten ihre Variationen abgeigt. Daß natürlich auch der heilige Ignatius von Loyola als der erste unter den „Liebhabern des Kreuzes“, als das Vorbild aller katholischen Christen gepriesen wird, versteht sich von selbst. „Neunzehn Jahre waren verflossen,“ so ruft sie aus, „nachdem der Heilige sein Schwert am Altarpfeiler auf dem Montserrat aufhing. Die kriegerischen Hoffnungen und Träume seiner Jugend waren anders in Erfüllung gegangen, als er sie geträumt hatte. Er war General, er hatte ein Heer, ein Schlachtfeld, einen Feind (die Protestanten), nur Alles im geistlichen, im überirdischen Gebiete, was er weltlich und irdisch verstanden hatte. So geht das oft bei starken Seelen und Menschen von großem Charakter, wenn die ewige Liebe ihr Herz ergreift: sie übersetzen gleichsam ihr Ziel aus dem Irdischen in’s Himmlische.“

Im November 1852 reiste die hochverehrte Convertitin, an der sich auch das Naturgesetz erfüllte, daß Uebergetretene alle Schranken der Mäßigung und des Herkommens übertreten, um sich gläubiger als die Gläubigen selbst zu zeigen, nach Frankreich, in das große Kloster „vom guten Hirten“ zu Angers. Um Sünderinnen in Büßerinnen und Magdalenen umzuwandeln, muß man selbst eine arge Sünderin gewesen sein. Ihre Absicht war, wie sie in ihrem Büchlein „vom guten Hirten“ selbst sagt, „dem wachsenden Jammer der ungläubigen und daher sittenlosen Zeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_666.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)