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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

jetzt nichts mehr bei mir gut und wann wir wieder z’samm’ kommen, geht’s gleich für gleich auf in unserer Rechnung…“

„So sei doch nicht so überspannt,“ rief er, mit gierigen Augen an den von der Röthe des Unmuths belebten und verschönten Zügen des Mädchens hangend und sie am Arme festhaltend. „Was hab’ sich denn so Besonderes gesagt? Sei gescheidt, Mädel, und komm’ zu mir … Du kriegst keinen bessern Platz, und wenn Du die Welt ausgehst!“

„Brauch’ keinen,“ sagte sie unwillig, „ich hab’ mich schon verdungen…“

„Habe schon davon gehört,“ fuhr er in zäher Zudringlichkeit fort, „Du willst in die Stadt, bist eben eine kluge Person und weißt, wo Barthel den Most holt! Aber bei mir bekommst Du es doch noch besser, als in der Stadt… Schau, ich denk’ nicht daran, zu heirathen; wenn Du vernünftig sein willst, hast Du bei mir ein Leben, wie im Himmel … Du sollst Alles haben, was ich Dir nur an den Augen absehen kann… Ziere Dich doch nicht so, früher ist Dir das ganz gut angestanden, aber jetzt …“

Franzi war bei jedem Worte bleicher und starrer geworden; mit weit geöffneten Augen und athemlos hing sie an den Mienen des Redenden. „So?“ stieß sie kaum hörbar heraus… „Und jetzt?“

„Jetzt glaub’ ich Dir’s nicht mehr,“ sagte Waldhauser mit schlauem Triumphe, „jetzt kennen wir uns besser und das ist ja das Zweite, was mir so sehr an Dir gefällt… Du siehst ein, daß es nichts braucht, als vor den Leuten den Schein zu wahren und der dummen Welt Sand in die Augen zu streuen, und daß man dabei in der Stille doch thun kann, was man will!“

„So? Seh’ ich das ein?“ stammelte das Mädchen.

„Gewiß!“ lachte er, sein Spiel schon für gewonnen haltend. „Meinst Du, ich wisse nicht, daß Du, so ehrbar Du Dich anstellst, Dich heimlich doch auch auf’s Naschen verstehst? Hahaha, wie hab’ ich für mich gelacht, wie pfiffig Du es angestellt und Dir die uncommode Zeugschaft vom Halse geschafft hast… Wenn ich mich nicht schon in Dich vergafft hätt’, ich müßte es jetzt thun seit dem kostbaren Stückchen mit dem Oedhof…“

In Franzi’s Wangen kehrte das Blut, in ihre Glieder die Bewegung zurück. „Und wer …“ rief sie glühend, „wer ist es denn, der so was von mir denkt und sagt? Wer untersteht sich denn …“

„Nun, wie stellst Du Dich denn an?“ fragte Waldhauser, sich halb erhebend, und versuchte, den Arm um sie zu schlingen. „Als wenn nicht alle Welt davon zischelte! Jedermann sagt’s und ich, der Dich jetzt ganz kennt, ich sag’ es auch… Gieb es auf, Dich zu verstellen, vor mir wenigstens nimm die Maske herunter und gieb mir Antwort auf meinen Antrag…“

„Ich kann nit vor Jedermann hintreten,“ erwiderte Franzi, „und kann nit mit aller Welt reden, aber wer einmal mit mir red’t, der soll auch seine Antwort haben… Ein altes Sprüchwort sagt: ‚Auf eine Lug gehört ein Schlag!‘ … So sag’ ich auch und – das ist mein’ Antwort!“

Im nämlichen Augenblick brannte ein schallender Schlag auf dem Gesichte des Heuchlers, daß die in der großen Gaststube anwesenden Gäste aufsahen und verwundert nach dem Nebenzimmer blickten, aus welchem Franzi völlig gelassen heraustrat und sich an das Schwenkschaff stellte, um mit dem Spülen des Geschirrs fortzufahren, in welchem die Ankunft des Gastes sie unterbrochen hatte. Waldhauser stand eine Weile wie vom Blitz getroffen, bebend, mit den Zähnen knirschend, mit geballten Fäusten und rollenden Augen – ein Bild entlarvter Bosheit und ohnmächtiger Wuth. „Warte, Canaille, das büßest Du mir!“ stöhnte er dann, seine Sachen zusammenraffend, und stürzte aus dem Hause, an dem verblüfften Wirthe vorüber, der eben mit dem verspäteten Glase Würzwein herantrat; in einigen Secunden sauste sein Gespann, von wüthenden Peitschenhieben getrieben, wie unsinnig in die Nacht hinein.

Eine gute Strecke war er in dem Walde dahin gefahren; zwischen den finstern Tannenbäumen, welche hoch und schwarz sich zu beiden Seiten der grauweiß hinziehenden Straße drängten, blickte zuweilen der kaum aufgegangene abnehmende Mond herein und jagte mit den niedergebeugten Aesten und Wipfeln ein unheimliches Spiel von Licht- und Schattenbildern am Boden dahin. Es bedurfte geraume Zeit, bis der Nachtsturm das wallende Blut des Zürnenden so weit abgekühlt hatte, daß er wieder einen klaren, ruhigen Gedanken zu fassen und wahrzunehmen vermochte, was um ihn her vorging. Verwundert und überrascht gewahrte er, daß über seinem Sitze von hinten ein Schatten hereinragte, der sich nicht veränderte und nicht von den Bäumen oder Wolken zu kommen schien – eben wollte er sich vollends darnach umwenden, als der Ton einer männlichen Stimme ihn weiterer Untersuchung überhob. Ein Mann saß hinten auf das Wagenbret gekauert.

„Ich meine,“ sagte derselbe mit gleichgültiger Ruhe, „jetzt dürften Sie die Schweißfuchsen schon ein Bissel verschnaufen lassen. … Sie sind ja gefahren, daß ich alle Augenblick geglaubt hab’, es müßt’ ein Rad wegfliegen… Schau’n S’ mich nur nit so verwundert an, Herr Waldhauser, ich bin schon der, für den Sie mich anschau’n, der Nußbichler Alisi…“

„Kerl,“ fuhr ihn Waldhauser an, „wie kommst Du daher? Und was willst Du von mir?“

„Wie ich daher komm’?“ rief Alisi lachend. „Mit Ihnen, Herr Waldhauser … ich bin vor dem Kreuzstraßen-Wirthshause hinten aufgesessen auf Ihrem Wagen und hab’ mich von Ihnen heraus kutschiren lassen als blinder Passagier… Was ich will? Das können Sie auch erfahren … ich möcht’ mein Güt’l wieder haben, das sie mir abgestohlen haben, und dazu muß ich Geld haben, und das Geld, das sollen Sie mir geben…“

„Hinunter von meinem Wagen,“ schrie Waldhauser, als der Lumpensammler sich erhob und Miene machte, sich über ihn zu beugen, „bist Du betrunken, Kerl, oder was hast Du sonst im Sinn?“ Er stieß nach ihm und suchte ihn von dem Tritte hinab zu drängen, aber Alisi klammerte sich so fest an den Wagen, daß er den Versuch bald aufgeben mußte.

„Betrunken?“ rief der Bursche. „Wenn man betrunken werden kann von Gift und Gall’ und von Kummer und Herzleid, dann kann’s sein, daß ich es bin – Andres hab’ ich seit acht Tagen schier nicht mehr in den Mund gebracht… Ich weiß recht gut, was ich sag’ und thu’, Herr Waldhauser, es ist mir nur immer so eigen und so schwer im Kopf, daß es den Leuten vorkommt, als hätt’ ich einen Dusel… Die Zeit ist’s vorbei, es greift nimmer an, das schlechte Zeug, das sie jetzt brennen… Ich will mein Güt’l wieder haben, ich hab’s Ihnen schon erzählt: es heißt, der jetzt darauf sitzt, hat schon wieder abgehaust, es ist kein Glück und kein Segen bei dem unrechten Gut – es soll ihm wieder verkauft werden, da will ich’s kaufen, und Sie, Herr Aicher – es bleibt dabei, Sie müssen mir das Geld dazu geben…“

„Ich? Und müssen auch noch?“ rief Waldhauser ungeduldig. „Und warum etwa? Geh’ Deiner Wege, sag’ ich, wenn Du nicht betrunken bist, so bist Du verrückt, oder hältst mich dafür. … Fort, halt’ mich nicht auf; ich kann wegen Dir nicht eine halbe Stunde auf der offenen Landstraße in Wind und Nacht anhalten. … Mach’, daß Du vom Wagen hinunter kommst, sag’ ich, oder ich brauche Gewalt!“

„Da müßten wir erst seh’n, wer dem Andern Herr werden thät …“ rief Alisi lachend, „es hat nit Jeder eine Faust, wie der Aichbauern-Sixt, und wenn er auch auf dem nämlichen Baum gewachsen wär’! Warum soll ich denn fort? Anhören können Sie mich ja doch… Sie helfen mir, dafür kann ich Ihnen auch wieder helfen…“

„Du mir?“ sagte Waldhauser geringschätzig. „Und wobei etwa?“

„Bei dem, was Sie jetzt im Sinn haben,“ sagte der Lumpensammler und beugte sich näher zu ihm, als besorgte er, selbst in der Nacht und Einsamkeit belauscht zu werden, „bei dem, was Sie jetzt im Sinn haben müssen … Sie werden mich schon versteh’n, wenn ich Ihnen sag’, daß ich am Wirthshaus herumgestrichen bin und hab’ so zufällig zum Fenster hinein geschaut und hab’ geseh’n, wie die Franzi … Mir ist das Weibsbild zuwider,“ fuhr er fort, da Waldhauser wie bei Berührung einer Wunde zuckte und sich auf die Lippen biß, „zuwider wie Gift und Opperment – ich gebet’ einen Finger aus der Hand, wenn ich meine Wuth an ihr auslassen, wenn ich ihr so was Rechtes anthun und sie untertauchen könnt’, daß sie so geschwind nit wieder in die Höh’ käm’ … den Fußtritt, den ich ’kriegt hab’ wegen ihr, den möcht’ ich ihr wieder geben – und ich bild’ mir ein, Ihnen muß gerad’ so sein…“

Waldhauser schwieg noch einige Augenblicke, als Alisi geendet. „… Steig’ herein in den Wagen und setze Dich neben mich,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_674.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)