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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

verloren sich in dem undurchdringlichen Dunkel des darüber aufsteigenden Spitzgewölbes. Das Holzwerk der Seitenaltäre war feucht und hatte klaffende Risse, die zum Chor empor führende Stufe von Stein war ausgetreten und wie zerschlagen; am Hochaltare hing die eine Seite des Flügelaltars in den schadhaft gewordenen Angeln sturzbereit herab, die Schnitzerei und die Figuren daran waren mit Staub und Spinnwebe überdeckt, die Farben verblichen und die Vergoldung matt geworden. Ueber dem Altare oder vielmehr in dessen Mitte stand ein holzgeschnitztes Bild der Gottesmutter, welche sieben Schwerter in der Brust stecken hatte und mit gerungenen Händen und thränenden Augen zum Himmel empor sah. Das Licht der Laterne, welche auf der Stufe des Hochaltars stand, reichte eben bis zu dieser Gestalt und ihrem schmerzvollen Angesicht empor; es erlosch an dem schwarzen Stamme des über ihr riesig in die Nacht emporragenden Kreuzes.

Um das Licht auf der Altarstufe waren acht Männer versammelt, im Halbkreise auf Stühlen und Schemeln aller Art sitzend, die sie aus der Kirche zusammen getragen, alle in dunkle Mäntel gehüllt, die Gesichter mit schwarzen Tüchern verbunden und große dunkle Bauernhüte darüber herabgezogen. Ein Neunter saß in der Mitte, an Körpergröße Alle überragend, auch ohne den etwas erhöhteren Stuhl, auf dem er saß. In der rechten Hand hielt er einen Büschel Haberähren.

„So ist’s beschlossen, Ihr Alten von der Leizach, Mangfall und Schlierach,“ sagte er mit verstellter, dumpf klingender und doch voll verständlicher Stimme, „es soll wieder ein Haberfeld getrieben werden, wie’s Recht und Brauch ist in unserem Gau, und ich geb’ Euch auf, daß Ihr die Boten ausgeh’n laßt, in des Kaisers Namen zwischen heut’ und dem ersten Tag im Neumond, daß alle Missethat gerügt und gestraft wird, die heimlich getrieben wird, dem ganzen Gau zur Schmach. … Niemand darf erfahren, wen das Gericht bedroht, denn es soll kommen nach der alten Satzung, wie das Feuer um Mitternacht … wahret Zeichen und Losung, bei Eurem Eid! Und also, wenn Ihr nichts dawider habt, Ihr Alten, so steh’ ich auf und sag’ in des Kaisers Namen – das Gericht ist aus! …“

Er wollte sich erheben, aber einer der Männer winkte und rief: „Vergiß nicht, Meister, erst muß das Aufgebot kommen und die Ladung … Wenn auch Niemand erscheint, es ist die Satzung so!“

„Du hast Recht,“ erwiderte der Meister, „müßt halt Nachsicht haben, Ihr Alten, ich bin noch gar neu im Amt! Und so,“ fuhr er mit erhobener Stimme fort, „ruf’ ich Aufgebot und Ladung in alle vier Winde der Welt – und rufe, wer zu klagen hat vor dem Kaiser und vor dem Habergericht, der soll erscheinen und seine Klag’ fürbringen und seinen Beweis stellen, bevor ich mit meinem Stab drei Mal niederschlage auf den Boden. …“

Er hob und senkte den Stab und die beiden ersten Schläge tönten dumpf auf dem Steinpflaster des Chores, nur ein schwacher Nachhall an Gewölbe und Wänden antwortete; beim dritten Schlag pochte es an der Thüre der Kirche und eine ferne Stimme rief: „Macht auf … Herr Richter, ich klag’, ich klag’, ich klag’!“

Einer der Alten ging, das Thor zu öffnen, und geleitete den Eintretenden bis an das Chorgitter, wo er ihm stille zu gehen befahl.

Es war Waldhauser. Bei seinem Anblick gerieth der verhüllte Meister in große Bewegung; er schien sich erheben zu wollen, aber die Alten wandten wie fragend die verhüllten Häupter nach ihm, daß er es vermochte, sich zu fassen und, auf den Meisterstuhl zurückgleitend, mit feierlich ruhigem Tone die Frage auszusprechen nach des Klägers Klage, Namen und Begehr.

Er gewann es sogar über sich, die Bewegung zu bemeistern, als der Kläger antwortete und Franzi als diejenige nannte, gegen welche ein Spruch des unerbittlichen Gerichts über Sitte und Ehre gefordert wurde.

Waldhauser wurde auch jetzt von der ihm eigenen Keckheit nicht verlassen, wenn er sich auch des feierlich mahnenden Eindrucks nicht erwehren konnte, den die Versammlung der unbekannten Richter in ihrer mächtig wirkenden Einfachheit, so wie der Ort der Versammlung, unwillkürlich auch auf ihn hervorbrachte – er trug seine Klage mit fester Stimme vor: bei dem unsichren schwachen Licht der Laterne war es unbemerkbar, daß eine flüchtige Blässe über sein Antlitz zuckte.

„Ich klage sie an,“ sagte er, „daß sie vor der Welt den Schein einer ehrbaren sittigen Jungfrau erheuchelt, insgeheim aber sündliche Buhlschaft gepflogen mit einem unbekannten Buhlen – daß sie die Frucht ihres Verbrechens geheim gehalten mit verborgenen Helfershelfern, daß sie ihrem Kinde sogar den Segen der Kirche vorenthielt und es zuletzt, um sich seiner zu entledigen, als Findling von sich legte und verstieß …“

„Das Gerücht zeiht sie dessen,“ sagte der Habermeister, „das Gericht verlangt den Beweis!“

„… Sie war in der Nacht der That nicht zu Hause – ich stelle den Zeugen, der sie zur selbigen Zeit geseh’n, am Oedhofe, mit dem Kinde auf den Armen …“

„Weißt Du auch, daß ein unbescholtener hausgesessener Mann für die Klage einsteh’n muß, als Bürge und Pfand?“

„Ich weiß es – ich will selbst der Bürge sein, wenn Ihr mich dafür annehmen wollt.“

Fragend blickte der Meister nach den Beisitzern – sie willigten mit stummem Nicken ein.

„So frag’ ich Dich, Balthasar Aicher, noch einmal,“ begann der Meister wieder und erhob sich; die Alten thaten desgleichen. „Ich frag’ Dich vor unserm Herrgott und in des Kaisers Namen – Kläger, bleibst Du bei Deiner Klag’?“

„Ich bleibe.“

„Wenn sie falsch ist – bürgst Du dafür mit Haut und Haar, mit Gut und Blut, mit Ehr’ und Wehr?“

„Ich bürge.“

„So frag’ ich zum Dritten, ob Niemand ist im Gericht, der ’was vorzubringen hat für die Verklagte.“

Alles schwieg.

„So ist sie geurtelt und dem Haberfeld verfallen,“ schloß der Meister und seine Stimme zitterte. „Rugmeister, ich übergeb’ sie Dir, wie ich diese Haberähre los reiße und zu Boden werfe; sorg’ daß sie der Straf’ nit entgeht. Und jetzt auseinander mit Euch nach den vier Winden … führt den Kläger weg und zerstreut Euch … das Gericht ist aus …“

Er erhob den Stab und stieß das Licht in der Laterne aus; lautlos und unsichtbar schritten die Alten aus der völlig verfinsterten Kirche in den nächtlichen Wald und verschwanden wie Schatten unter den Bäumen. Auf den Stufen des Hochaltars verweilte allein der Meister sitzend, den Arm auf’s Knie gestützt und die Stirn auf die Hand gesenkt: es war nächtlich in seinem Gemüthe, wie in dem Heiligthume, das ihn umgab. „Also ist’s doch wahr gewesen!“ murmelte er vor sich hin, „sie ist so schlecht – so grundschlecht und hat sich doch so zu verstellen gewußt! Das böse Gewissen hat aus ihr geredet … drum ist sie so aufgebracht gewesen über das Haberfeld … sie soll auch haben, was ihr gehört … aber daß sie die Erste sein sollt’, über die ich urteln muß, das hätt’ ich mir doch nicht träumen lassen … das ist hart, bitter hart … aber es muß sein!“

Er erhob sich rasch – als er die Kirche verließ, dämmerte es bereits und der Morgenstern hing wie ein thränenschimmerndes Auge der Liebe über den finstern Waldwipfeln.


(Fortsetzung folgt.)




Ein „Rechtsfreund“ und ein Freund des Rechts.


Am 16. October des Jahres 1863 wogte in den Räumen des Leipziger Schützenhauses eine Gesellschaft, die aus allen Orten und Enden des deutschen Vaterlandes herbei geeilt war, um die fünfzigjährige Erinnerungsfeier an die gewaltige Schlacht, welche dem Uebermuth des Franzosenherrschers und der frechen Fremdenwillkür ein Ende machte, gemeinsam zu begehen. Tausende und Tausende, darunter viele der ersten Notabilitäten des Vaterlandes, waren erschienen zu dem Völkerfeste, und die glänzend erleuchteten und reich geschmückten Räumlichkeiten des größten Leipziger Locals konnten die Zahl der sich drängenden Gäste nicht fassen, die am

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_676.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)