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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ersonnene und überaus geschickt ausgeführte Taschenspielerstückchen zu würdigen.

Die Gebrüder Davenport sind aber noch mehr, als geschickte Taschenspieler; sie sind auch kluge Leute und Menschenkenner. Als solche merkten sie bald, daß in Deutschland der Geisterhumbug noch viel weniger ziehen würde, als in Frankreich. Deshalb erklärten sie bei ihrem Auftreten in Dresden von vornherein, daß ihre Kunststückchen ohne Geisterhülfe ausgeführt würden. Damit sie dies aber in Zukunft immer und aller Orten thun, auch an solchen, wo sie glauben könnten, das Gegentheil riskiren zu dürfen, möge hier in der Gartenlaube eine wahre Enthüllung über den Davenport’schen Wunderschrank gegeben werden, nicht eine solche Scheinenthüllung, wie sie das vor Kurzem erschienene Schriftchen über die Gebrüder Davenport giebt, welches das Geheimniß keineswegs aufklärt. Wir verdanken diese Enthüllung einem schlichten Arbeiter, dem Goldarbeitergehülfen Hartmann in Dresden, welcher der Erste war, der die Davenport’schen Vorstellungen vollständig und bis in das Kleinste getreu vor einem großen Publicum nachahmte und damit den Beweis lieferte, wie Deutschlands Arbeiter hinlängliche Bildung besitzen, um ausländischen Humbug mit Leichtigkeit zu enthüllen.

Hartmann’s Wunderschrank.

In einer der Davenport’schen Vorstellungen saß aufmerksam unser Hartmann, genau die Zahl der Hände, welche sich in der Schranköffnung zeigten, genau auch die von Fay und Davenport dirigirte Art des Bindens beobachtend. Bei der zweiten Vorstellung, die er besuchte, erbot er sich, Davenport selbst zu binden nach seiner Weise. Da dies nicht gestattet wurde, wollte er mit in den Schrank eingeschlossen sein, um dann dieselben Manipulationen wie Davenport auszuführen. Auch darauf gingen die Gebrüder Davenport nicht ein. „Wenn er Kunststücke produciren wolle, so möge er sich selbst einen Schrank bauen,“ wurde ihm entgegnet. Dies leuchtete Hartmann ein. Die ganze folgende Nacht kam kein Schlaf in sein Auge; unablässig sann er über alle die Kunststückchen der Davenports nach und fand nach und nach die Lösung von sämmtlichen.

Kurz vorher war Johann-Georgenstadt im sächsischen Erzgebirge fast ganz niedergebrannt und bedurfte dringend der Hülfe mildthätiger Menschen. „Du giebst Vorstellungen für die armen Johann-Georgenstädter!“ dachte Hartmann, und so geschah es. Gern hätte er noch während der Anwesenheit der Wundermänner seine Productionen eröffnet. Allein da waren so viele Hindernisse zu überwinden, daß Hartmann erst zwei Tage nach der beschleunigten Abreise der Davenports öffentlich auftreten konnte und zwar in demselben Saale, den diese eben verlassen.

Hier auf demselben Podium steht nun Hartmann’s „Wunderschrank“, der aber nicht, wie der der Davenports, drei, sondern, da hierauf nichts ankommt, nur zwei Thüren hat. Zwischen beiden Thüren ist ein breiter Steg, oben eine Oeffnung, groß genug, um eine Hand durch sie zu zeigen. Der Strick, welcher von Hartmann benutzt wird, ist bei demselben Seiler gekauft, bei welchem die Gebrüder Davenport den ihrigen gekauft haben; er hat dieselbe Länge, dieselbe Dicke, dieselbe Festigkeit. Es wird nun zunächst durch das Loos ein Herr bestimmt, der Hartmann bindet. Nachdem dies geschehen, wird der Schrank, in dem eine Guitarre, eine Glocke, eine Trompete und ein Tambourin liegen, zugemacht. Aber noch ist er nicht ganz geschlossen, so fliegt auch schon unter stürmischem Beifall des zahlreich versammelten Publicums die Trompete zur Schranköffnung heraus. Sofort wird geöffnet: der arme Gebundene sitzt wie angenagelt da, man könnte wirklich glauben, er habe sich nie bewegt.

Es wird wieder geschlossen, und nach kurzer Zeit öffnet Hartmann selbst die Thür und tritt vor das Publicum, den Strick in den entfesselten Händen. Jeder kann an den tiefen Furchen und den geschwollenen Händen sehen, wie fest die Stricke gebunden waren. Hartmann bindet sich hierauf selbst, scheinbar noch weit fester, als er früher gefesselt wurde. Das Publicum drängt sich auf das Podium und überzeugt sich, wie solid die Fesselung ist. Der Schrank wird geschlossen. Da erscheinen plötzlich Hände und Arme an der Schranköffnung; man hört die Guitarre klingen, eine Glocke wird hin- und hergeworfen, das Tambourin tönt, Stricke schlagen an den Schrank, die Trompete, endlich auch die Glocke fliegen zum Schranke heraus. Rasch wird geöffnet: gefesselt wie ein armer Sünder sitzt Hartmann da! Der Beifall will nicht enden. Endlich wird wieder etwas Ruhe. Ein Herr aus dem Publicum läßt sich mit in dem Schrank festbinden; er ist zum Theil an Hartmann gefesselt. Kaum ist der Schrank geschlossen, so tönen wieder alle Instrumente, und als geöffnet wird, hat der Herr das Tambourin auf dem Kopfe. Er vermochte kaum zu sprechen, als er aufgefordert wurde, zu erzählen, wie es im Schranke gewesen wäre; nur so viel versicherte er, daß sich Hartmann nicht gerührt habe, er habe seine Hand immer auf dessen Knie gehabt. Hierauf wird dem gefesselten Hartmann Mehl in die Hände gegeben und dann der Schrank geschlossen. Sofort beginnt der Lärm im Schranke auf’s Neue, Hände zeigen sich, die Trompete, die Glocke stürzen aus dem Schranke; man öffnet: wiederum sitzt Hartmann ruhig da; er wird entfesselt, tritt vor das Publicum und läßt aus seinen Händen das Mehl, scheinbar wie er es empfangen, unter lautem Jubel aller Anwesenden herausfallen.

Jetzt beginnt nun die Sitzung in der Dunkelheit. Alles rückt nahe zum Podium. Die Gaslampen verlöschen, nur vier Stearinkerzen erleuchten noch den Saal, ganz wie bei den Gebrüdern Davenport. Auch diese Kerzen verlöschen; auf den Ruf: „Licht!“ werden sie angezündet und Hartmann erscheint an einen Stuhl gefesselt. Die Lichter verlöschen wieder, und als sie kurz darauf wieder angezündet werden, sitzt Hartmann ohne Rock da; der Rock liegt neben ihm auf dem Tische. Ein Herr aus dem Publicum bietet ihm den seinigen dar, und als nach etwa minutenlanger Finsterniß das Licht wieder erscheint, hat Hartmann den fremden Rock an. Nach einer kurzen, in Finsterniß zugebrachten Pause aber hat Hartmann seinen eigenen Rock wieder an, während der fremde Rock unter das Publicum fliegt. Hierauf setzt sich ein Freund Hartmann’s an den Tisch und läßt sich zwischen zwei Herren festbinden. Diese halten ihm die Hände und Arme; Hartmann ist ebenfalls festgebunden und hat, damit er sich nicht entfernen könne, auf jedem Fuße einen Thaler liegen, während überdies noch auf einem unter den Füßen ruhenden Papierbogen der Umriß derselben mit Bleistift gezeichnet ist. Nach dem Verlöschen des Lichtes tönt trotzdem sofort die in der Nähe des Freundes liegende Guitarre. Man zündet Licht an, aber Beide sitzen gefesselt da, und die beiden Herren aus dem Publicum erklären, der Freund habe sich nicht gerührt. Schließlich fliegt eine mit Phosphor bestrichene und darum im Dunkeln schwach schimmernde Guitarre im Saale herum, weit über die Köpfe des Publicums und hoch in die Höhe, ja Viele meinen, sie fliege bis an die Decke des Saales.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_680.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)