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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Hülfe gern suchen, und wenn uns sogar in den Eiterungsprocessen im Ohr durch die Beobachtungen von Toynbee, Lebert, Griesinger, von Tröltsch u. A. eine häufige Ursache von Erkrankungen des Gehirns und seiner Blutgefäße nachgewiesen wird, somit eine nicht eben seltene Todesursache, so wird diese Thatsache gewiß den Fortschritten der Ohrenheilkunde noch mehr die verdiente Aufmerksamkeit zuwenden.

Gotha.

Dr. Hassenstein.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 24. Das Ausfeuern und Graben auf Dachsbauen.
Von Adolph Müller.


Still, rein und klar ist die Luft. Der Wald hat sein herbstlich Kleid angethan und in den Gärten beugen sich von Obst die Bäume. Hierher, bis in die Obstgärten der Dörfer, geht allnächtlich der mystische Gnome der Wälder, unser Dachs, einen „Paß“, zur Weide, von deren überreichem Segen der Nachtwandler unter der Last seines von Fett strotzenden Wanstes wahrhaft keucht. Hier auf dem Rasen des Raines und der nahen Wiesen hat er „gestochen“, aber die trichterförmigen Löcher im Rasen, auf der Wiese und im Acker sind nicht das Werk seiner bohrenden Schnauze, der das Jägerlatein der Nimrode jenes Stechen andichtet, sondern die Eindrücke der langen, derben Nägel an den Vorderbranken, womit unser Schatzgräber die fetten Bissen der „Erdmast“, die Würmer und Insectenlarven, geschickt hervorholt. Gebraucht er, wie nicht selten, bei seinem Wühlgeschäfte die Nase, so geschieht es nur, um sich dieser, als seines untrüglichsten Organes, zu bedienen, das ihm die Gänge der Larven entdeckt. Hier „spürt sich“ das Thier auch in seiner breiten Spur der Branken, an denen die Zehen mit den langen, scharfen, übergreifenden Nägeln fast in einer Linie sich eindrücken, denn der Dachs ist ein sogen. Sohlengänger, der nicht blos mit den Zehen, wie das Geschlecht der Hunde, Katzen und Wiesel, sondern entschieden mit der ganzen Sohle auftritt. Trotz dieser deutlichen Zeichensprache, die das Thier schon mittels seines Ganges, ja seiner Spur dem Kundigen spricht, hat man den Kurzschwänzigen im System der Thierkunde neuerdings mancherseits aus der Familie der Bären in die Gesellschaft der langbeschwänzten, geschmeidigen Wiesel und Marder verwiesen, so daß man hier mit Recht fragen kann: wie kommt Saul unter die Propheten? Aber lassen wir das System und suchen wir dem Thiere in seinem innersten Versteck der Waldeinsamkeit näher zu kommen. Und zu seiner lebendigen Kenntniß führt uns Jagd und aufmerksame Beobachtung im Walde am sichersten und unterhaltendsten.

Die Einleitung zu der Jagdart auf den Dachs, welche wir schildern wollen, bildet gewöhnlich die Untersuchung der Dachsbaue. Der Jäger überzeugt sich vorher davon, ob der Bau „gangbar“ und frisch „ausgeführt“ ist, d. h. ob die Röhren (Ausgänge) desselben vielfach die Spuren vom Aus- und Einkriechen des Dachses, sowie den hügeligen Aufraum von Erde zeigen, welchen er bei der Ausbesserung und neuen Anlage eines Baues vor den Röhren mit den Läufen und dem Hintertheile seines Körpers herausschiebt.

Wir sind auf dem Gange nach einem Bau, ihn abzuspüren. Tief in einem einsamen Waldwinkel zunächst eines Außenfeldes verräth sich die Stelle schon von Weitem durch das Gesträuch der Faul-, Mehl-, Hollunder- und Vogelbeeren, die sich hier, der „Losung“ des Thieres nach und nach entkeimt, angesiedelt haben. Jetzt überschreiten wir einen von Erlen düster beschatteten Bach und vor uns liegt der Bau, die gewaltige Feste unseres Kobolds.[1] – Richtig, er ist stark gangbar! Das zeigt uns schon das „Pfädchen“ oder der „Steig“, der abseit in schmaler, muldenförmiger Rinne von den Hauptröhren aus dem Walde zum Felde zieht. Näher herangetreten, gewahren wir mit freudigem Herzschlage, daß mehrere Röhren neu ausgeführt und sichtlich „befahren „sind. Ueberall glatt und verrutscht, sprechen sie dem Eingeweihten die deutliche Sprache, daß der Bau mehrfach gangbar und sogar bereits „eingemoost“ ist, d. h. daß Meister Grimmbart in der tiefsten und geräumigsten Stelle, dem „Kessel“, vorsorglich sein Winterlager von Moos, Laub und Farrenkräutern bereitet hat. Ja, da drunten steckt der Schläfer, der, ohne gerade wie das Murmelthier, unsere Haselmäuse und manche andere Nagerarten in Erstarrungsschlaf zu versinken, dennoch, je mehr nach dem Winter hin, desto anhaltender manchen Tag und manche Nacht verschläft. Mit dem Kopfe unter dem Bauche zwischen den Vorderläufen und dem vorgezogenen Hintertheile liegt er auf der Stirne und halb sitzend, um sein liebes, fettes Ich zusammengerollt, drei Viertel seines Lebens verträumend, unbekümmert um das Treiben, Jagen und Kämpfen der Oberwelt, ein Bild der Sorglosigkeit und des faulen Stillstandes. Es fällt ihm aber nicht ein, die Schnauze in seine Aftertasche („Saug- und Fettloch“) zu stecken, um, nach der Fabel der Nimrode, daraus sein eigenes Fett zu saugen. Er schläft einen seiner Natur angemessenen, freilich langen, aber nichtsdestoweniger leisen und unterbrochenen Schlaf, dem er aber jetzt, nämlich im October, mitten in seiner Fettzeit und Glanzperiode, am wenigsten huldigt: denn er geht dem erregtesten Abschnitte seines Lebens, der Rollzeit oder Brunst, entgegen, die selbst seine Behäbigkeit allnächtlich und sogar am lichten Tage aus der unterirdischen Behausung nach der seither einsiedlerisch gemiedenen Dulcinea „Fee“ oder „Fäh“ treibt und drängt. Auf diese Lebendigkeit im Monat October und nicht auf den alten Glauben der oberflächlich beobachtenden Jäger, daß dieselbe im Monate December, gerade zur Schlafzeit unseres Thieres, erwache, gründet sich unsere Nachtjagd auf den Dachs. Der Anblick der befahrenen Röhren, sowie des ausgetretenen Pfädchens zeigt uns deutlich, daß er jetzt noch regelmäßig allabendlich um der lieben Körperpflege willen Triften, Felder und Gärten nach Wildbirnen und Zwetschen durchstreift, nicht minder aber auch in Weingegenden den süßen Trauben in einer empfindlichen Weise nachgeht, daß er, bis zum Bersten gemästet, vor Kraft und Saft strotzt und vor der Fee die Reize seiner glänzenden, hochzeitlichen „Schwarte“ (Fell) entfalten kann. Das Alles, sowie die Gewißheit, daß mehrere Dachse aus verschiedenen Steigen nach dem Felde zur Erd- und Obstmast wechseln, wird uns bei Untersuchung der Hauptröhren des Baues klar. Wir merken uns diese Ausgänge wohl und schreiten nun zu einer wichtigen Jägermaßregel, dem „Zeichnen“ des Baues. Mehrere Binsen oder starke, lange Grashalme werden zu dem Ende geschnitten oder dünne, lange Reiser gewählt, um sie kreuzweise in die Ausgänge der Baue zu stellen. An diesen Zeichen erkennen wir Abends sogleich ob der Dachs „ausgegangen“ ist. Befriedigt und mit großen Erwartungen für die kommende Nacht ziehen wir heimwärts.

Die Mitternachtstunde naht. Eine Rotte Hinterwäldner, geführt von einem im Dienste Diana’s gewetterten Jagdbruder, dem „Jagdpeter“, harrt des Aufbruchs, der nun erfolgt. Still „zieht“ die Schaar, mit Aexten, Hacken, Schippen und Schaufeln auf dem Rücken, das gewiegte „Koppel“ zweier Heldenhunde, „Waldmann“ und „Waldine“, an der Leine, wir selbst, die Flinten über der Schulter, an der Spitze, „zu Holz“. Der Mond steht hoch und kein Lüftchen regt sich. In den Wiesen lagert der Nebel in grauweißen

  1. Für diejenigen unserer Leser, welchen die waidmännische Thierkunde nicht geläufig ist, theilen wir, zum leichtern Verständniß des obigen Artikels, nach Brehm’s allbekanntem „Thierleben“ eine kurze Schilderung des fortificatorisch wohlangelegten Dachsbaues mit. Der Dachs lebt einsam in Höhlen, welche er auf der Sommerseite bewaldeter Hügel ausgräbt. Die Hauptwohnung im Bau ist der Kessel, der gewöhnlich vier bis fünf Fuß tief unter der Erde liegt; ist jedoch die Steilung, auf welcher der Bau angelegt wurde, bedeutend, so kommt er auch wohl bis auf fünfzehn Fuß unter die Oberfläche zu liegen. Er ist so groß, daß er ein geräumiges, weiches Moospolster und das Thier selbst, unter Umständen auch mit seinen Jungen, aufnehmen kann. Mehrere Röhren führen zu ihm; nur einige derselben werden als gewöhnliche Aus- und Eingänge befahren, die übrigen dienen theils im Falle der Noth als Fluchtröhren, theils als Luftröhren, welche bei bedeutender Tiefe des Kessels meist senkrecht aus demselben emporgeführt sind. Fast regelmäßig sind die Gänge vom Kessel bis zur Mündung zwanzig bis dreißig Fuß lang und die Mündungen selbst oft dreißig Schritte von einander entfernt. Trotz dieser ansehnlichen Ausdehnung der Burg herrscht überall, im Kessel, wie in allen Gängen und Röhren, Festungsthoren und Ausfallpforten der Dachsburg, die größte Reinlichkeit. Kann der Dachs seinen Bau in einem Geklüft anlegen, so ist ihm dies um so lieber. Er genießt dann entschieden größere Sicherheit und Ruhe, und Beides sind Hauptbedingungen zu seinem Leben.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_684.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)