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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Haberer vorgehalten, seit Menschengedenken hatte Niemand die Kühnheit gehabt, den unsichtbaren Richtern so entgegen zu treten und ihr Urtheil zu schelten, auch waren Franzi’s Worte und die Art ihres Auftretens bei Einzelnen nicht ohne Wirkung geblieben, bei der Mehrzahl aber machte das Staunen bald dem Zorne Platz, gesteigert durch die stille Beschämung, die Jeder mehr oder minder sich selber eingestehen mußte. Der Lärmen begann auf’s Neue wüster, wilder, vernichtender als zuvor…

In den Tumult hinein kreischte Franzi’s verhallende Stimme.

„So geht heim!“ rief sie. „Geht zu, Ihr Schandbuben! Und wenn bei Euch die Gewalt für Recht geht, kann ich mir auch selber helfen! Gebt mir ordentlich Red’ und Antwort oder ich schieß’ den nächsten Besten nieder, daß ich wenigstens Einen hab’, an den ich mich halten kann…“ Wie außer sich, sprang sie in den Hausgang zurück, riß das dort aufgehängte Jagdgewehr des Wirthes von der Wand und wollte auf den Altan zurück, aber während sie daran war, den Hahn aufzuziehen, fiel ihr von rückwärts der Wirth in den Arm, der wie ein Wahnsinniger heraufgepoltert kam, um dem unerhörten Vorfall ein Ende zu machen; ein paar Knechte stürmten hinterdrein.

„Das Gewehr her!“ rief er, mit der Widerstrebenden ringend. „Das ginge noch ab! … Ist die Keckheit noch nicht genug, daß Du die Haberer herausforderst und schimpfst – schießen willst Du auch noch, Du verfluchtes Leut? Willst Du, daß meine Kinder Bettelleut’ werden sollen wegen Deiner? Willst haben, daß sie einbrechen und anzünden und mein Haus dem Erdboden gleich machen in ihrer Wuth? … Riegelt die Thür nach der Altan’ zu, daß sie’s drunten sehen und wissen, daß wir nichts zu schaffen haben mit der nichtsnutzigen Person!“

Während die Knechte thaten, was ihnen geheißen war, drängte der Wirth mit roher Gewalt Franzi gegen die Treppe hin, um sie hinab zu zerren oder zu stoßen, wenn es nicht anders anginge, das entsetzliche Schicksal abzuwenden, von dem er sein Haus schon bedroht sah. „Marsch – hinunter mit Dir!“ keuchte er, „Hinaus aus mein’ ehrlichen Haus … wenn Du draußen bist, dann kannst reden mit die Haberer, so viel Du willst, aber bei mir herinn’ bleibst Du kein’ Viertelstund’ länger…“

Es war wohl nur zu begreiflich, wenn Franzi’s Erregung und Verwirrung sich immer mehr steigerte und nahe daran war, ihre sonst so klare Besinnung zu trüben. „Was – auch das noch?“ stammelte sie, im Ringen ermattend. „Hinaus soll ich? Mitten in der Nacht? Und warum? Auch wegen dem ehrlosen Gesindel, den Ehrabschneidern? … Nein, ich geh’ nicht, Du hast kein Recht, Wirth, mich wie einen Hund aus dem Haus zu jagen … ich bin ein ehrlicher Dienstbot’ …“

„Raisonniren willst auch noch?“ schrie der Wirth, während von draußen das Abschiedsgebrüll der Haberfeldtreiber hereintönte, welche inzwischen ihr Geschäft zu Ende geführt hatten und sich zum Abzuge anschickten. „Ein ehrlicher Dienstbot’ willst Du sein? Ein liederliches Weibsbild bist Du, eine schlechte Mutter, die ihr Kind weglegt … im Zuchthaus sitzen Bessere, als Du bist…“ Ein gellender Pfiff rief die Knechte von oben herbei… „Geht in ihre Kammer,“ fuhr er fort, „packt ihre Sach’ und ihr Gewand in ein’ Bündel zusamm’ … dann kommt ’runter, werft die schlechte Person aus der Thür und ihren Bündel hinterdrein! Das Wirthshaus an der Kreuzstraßen ist ein ordentlich’s Haus – da find’t Niemand seines Bleibens, bei dem Haberfeld ’trieben worden ist!“

Den rohen Burschen, die sich mitunter auch schon von Franzi’s unzugänglichem Wesen verletzt gefühlt haben mochten, war eine solche Gelegenheit, ihren Groll auszulassen, nur willkommen; das Bündel war bald gestopft und geknüpft – dann faßten sie mit derben Fäusten das Mädchen, das, von dem Ungeheuren, das über es hereinbrach, überwältigt, wie blöd und in halbem Wahnsinn sie gewähren ließ, als wisse es gar nicht, was mit ihm vorgehe. Mit beiden Händen in den losgegangenen Haarflechten zerrend, taumelte Franzi die Stufen des Hauses hinab in die Nacht, aus der ihr ein eisiger Nordwind entgegen blies und geschäftig das ferne Gejohle der abziehenden Haberer noch mit sich herüber trug.

Mit vergehenden Sinnen brach sie auf, den Bündel mit ihren Habseligkeiten zusammenraffend, und erst der immer schärfer andringenden Kälte des Nachthauchs gelang es, die Ohnmacht zu verscheuchen und sie allmählich zum Bewußtsein ihres Zustandes zurückzuführen.

„Ja – wo bin ich denn eigentlich?“ rief sie auffahrend. „Was ist denn mit mir geschehen? Ist denn das Alles wahr oder bin ich im Begiff ein Narr zu werden und bild’ mir das Alles nur so ein? … Nein, nein, es ist wahr, mein ganzes Elend ist wahr – sonst thät ich nit da liegen, mitten in der Nacht, auf dem offnen Feld … ich bin zu Grund gericht’, verschimpfirt auf mein Lebenlang … Und Er …“ fuhr sie weicher werdend im Tone des tiefsten Schmerzes fort, „er ist auch darunter unter meinen Feinden – er glaubt auch so was von mir, er kann’s glauben … er ist sogar der Anführer von Allem … o, das ist eine harte Nuß! Aber, muß es denn so sein? Muß ich das Alles über mich so hingehen lassen, wie den Wind da, der mich schier in Stück’ reißen will?“ – Sie sprang auf. „Nein, ich muß nit!“ sagte sie ermuthigt. „Ich muß mir’s nit gefallen lassen, daß man mich unterdrucken und untertauchen will… Sie müssen mich anhören und müssen mir meine Ehr’ wieder geben … und gleich jetzt, wo sie noch Alle beieinander sind, müssen sie’s thun … noch bin ich ja lebendig, noch kann ich mich rühren … noch ist’s zu früh zum Verzweifeln!“

Mit raschem Griffe faßte sie ihre Habseligkeiten zusammen, ordnete flüchtig das sturmgelöste Haar, warf ein Tuch über Kopf und Schultern und rannte in die Nacht hinein. Nach einer Weile hielt sie an, auf den Lärm zu horchen, der immer ferner verhallte. „Sie ziehen auf den Markt zu, scheint’s,“ flüsterte sie vor sich hin, „da hol’ ich sie nicht mehr ein, sie haben einen zu großen Vorsprung .., aber sie ziehen der Straß’ nach; wenn ich den Feldweg über die Hügel einschlagen thät und durch das Buchet hin … dann schneid’ ich ihnen die Reib’ ab … da kommen sie mir nit aus, da müssen sie mich hören …“

Wie gejagt vom Winde, der ihr nun in Rücken und Nacken blies, flog sie quer durch die Waldspitze, dann über moosiges Tiefland hin, nicht achtend, daß der Fuß nicht selten kaum so viel festen Boden unter sich fand, um flüchtigen Trittes hinüber zu kommen. Endlich war ansteigender Hügelgrund erreicht und keuchend eilte sie auf dem kurzen Grase eines Feldrains zwischen leeren Stoppelfeldern dahin, während seitwärts die Zweige eines Haselzaunes rauschten und schwankend die ersten dürr gewordenen Blätter verstreuten. Es ward allmählich heller, denn die Zeit kam heran, zu welcher der Mond aufgehen sollte, und wenn er auch hinter dem schwarzen jagenden Sturmgewölk nicht durchzudringen vermochte, zitterte doch ein ungewisser bleicher Lichtschein wie Dämmerung durch die Nacht. Immer mit ihren Gedanken beschäftigt, nicht selten einzelne Worte in ihrer Erregung vor sich hinmurmelnd, dachte sie daran, sich zurecht zu legen, wie sie sprechen wolle, mit welchen Worten sie am besten und schlagendsten den Beschuldigungen entgegenzutreten vermöge, – darüber hielt sie inne, wie unwillkürlich stockten die Füße, minder von der gemachten Anstrengung, als von dem lähmenden Eindruck eines plötzlich auftauchenden Gedankens.

Sie war stark und andauernd gelaufen; bereits war die letzte Hügelfläche erreicht, eine gemauerte Feldcapelle leuchtete ihr mit dem weißen Gemäuer entgegen; von drüben senkte sich der Weg in den tiefer gelegenen Markt hinab, von dort öffnete sich der erste Blick in die Welt der Berge, und das Bänkchen unter den beiden jetzt fast entblätterten Vogelbeerbäumen neben dem Capellchen hatte nicht blos vielen Andächtigen, sondern auch manchem Lustwandler gedient, der heraufgestiegen war, um Auge und Sinn zu erfrischen und zu erholen an dem herzerfreuenden Anblick. Die Thür war nur angelehnt. Franzi trat hinein, einen Augenblick der Rast und der Sammlung zu suchen und Schutz zu finden vor dem Winde, der auf die offene Hügelschneide mit doppelter Heftigkeit und doppelt erkältend hinwegsauste.

Am Altare kniete und kauerte sie nieder; ein grob geschnitztes Marienbild stand auf demselben, unter dem leeren Kreuze sitzend, den vom Stamme abgenommenen Leichnam des Erlösers im Schooße haltend. „Es geht doch nit!“ flüsterte sie in sich hinein, „ich bring’s nit zuwegen, wie ich’s ihnen sagen soll … ich kann’s nit, wenn nit Alles verrathen sein soll, und das darf ich nit und will ich nit … ich hab’s ja versprochen…“ Sie rieb sich die Stirn, als vermöchte sie, einen helfenden Gedanken daraus hervorzuholen; dann faltete sie, sich ergebend, die Hände über den müden aufgezogenen Beinen und blickte zu dem Bilde durch das Dunkel empor. „Ich mein’, ich werd’s wohl aushalten müssen,“ sagte sie leise. „O heilige Mutter da drohen, ich hab’ ja schon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_691.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)