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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

so oft meine Zuflucht zu Dir genommen … Du hast ja viel Schrecklicheres ausgehalten, heb’ Deine Hand auf mein arm’s Herz, daß ich’s auch aushalten kann …“

Geräusch herannahender Tritte unterbrach sie; dazu war es, als ob Gewehre klirrten. Horchend richtete sie sich auf; eine Hand drückte an die Thür; sie ging nicht auf und eine Männerstimme sprach: „Das ist dumm – das ganze Jahr durch ist die Capellen offen bei Tag und bei Nacht … gerade heut’ muß sie verschlossen sein; es wär’ ein prächtiger Unterstand gewesen, denn der Wind blast einem wirklich durch Mark und Bein …“

Unhörbar, auf den Zehen tappte sich Franzi zu dem Eingang, um besser zu hören, dem Zufall dankend, der hinter ihr die Thür, die sich nur von innen öffnen ließ, in Schloß geworfen hatte. Durch einen schwachen Spalt in der alten wetterverzogenen Thür gewahrte sie die Umrisse zweier Gensd’armen, welche in ihre dunklen Mäntel gehüllt sich in die Eingangsnische drängten, einen Augenblick vor dem Unwetter Schutz zu finden.

„Zum Glück wird das Passen nicht lange dauern,“ begann der Eine wieder; „wenn sie überhaupt kommen, können sie nicht mehr lang’ ausbleiben.“

„Ich weiß nicht,“ antwortete der Andere, „mir ist immer, als wenn die ganze Passerei umsonst wär’. Die Haberer haben überall gar zu viel’ gute Freund’; gewiß ist ihnen schon Alles verrathen und sie kommen gar nicht. …“

Franzi lauschte athemlos mit immer höher steigender Spannung.

„Sonst mag es wohl so gewesen sein,“ begann der Erstere wieder, „aber diesmal sind wir ihnen doch zu schlau geworden – es weiß nur ein einziger Mensch darum, der es verrathen könnte, und der wird nicht eher losgelassen, als bis Alles vorbei ist!“

„Und wer ist das?“

„Der Nämliche, durch den wir Alles erfahren haben, der Nußbichler Alisi!“

„Der Haderlumper?“ rief der Zuhörende geringschätzig. „Wenn die Nachricht von dem herstammt, ist sie nicht viel werth – der Alisi ist ja ein Capitallump, bei dem selber schon Haberfeld getrieben worden ist; die Haberer sind doch sonst so stolz und es heißt, daß nur ganz ordentliche Männer und Bursche unter ihnen aufgenommen werden … ich kann mir’s nicht zusammenreimen, daß sie einen solchen Menschen in die Karten schauen lassen sollten, daß er etwas verrathen könnte!“

„Ich glaube das auch nicht,“ war die Antwort, „aber gewiß ist, daß er darum weiß; wie er es erfahren haben kann, mag der Himmel wissen. Vorgestern hat ihn der Brigadier im Neuwirthshause erwischt, wo er ein paar Tage nicht in’s Bett hinein und nicht mehr aus dem Rausche herausgekommen war. Dem Brigadier fiel das auf, er befragte und untersuchte ihn, konnte aber nichts Zusammenhängendes aus ihm herausbringen, dafür fand er in seiner Tasche eine Hand voll Doppelgulden … wie soll der Bursch’ zu dem vielen Gelde gekommen sein, wenn er es nicht etwa von den Haberern bekommen hat, daß er ihren Spion macht? … Er gab keine rechte Antwort darauf und stellte sich an, als ob er nicht recht bei Sinnen wäre, und erst wie er erfuhr, daß er eingesteckt werden sollte, da löste sich ihm die Zunge in etwas. Er that ganz wild und wollte durchaus losgelassen werden, denn er müsse auch dabei sein, er müsse sehen, wie es denen eingetränkt werde, die ihn mit Füßen getreten hätten … und aus seinen verwirrten Reden und halben Worten hat man es ihm herausgelockt, daß es diesmal auch auf den Herrn Amtmann gemünzt sein soll…“

„Freches Gesindel!“

„Nun, diesmal finden sie ihren Lohn; der Herr Amtmann ist nicht der Mann, der mit sich spaßen läßt! In aller Stille hat er die Mannschaft von den umliegenden Stationen herbeigerufen, hat die Gerichtsdiener bewaffnet und die Bürgerwehr aufgeboten… Wenn sie es wirklich wagen, zu kommen, werden sie ganz ruhig heran gelassen, bis sie auf dem Platz neben dem Amt, wo sie allein in die Nähe kommen können, Alle beieinander sind, dann sind sie von allen Seiten umstellt und sitzen wie die Maus in der Falle oder das Wild im Netz – man braucht nur zuzuziehen…“

„Mir soll’s recht sein,“ rief der Andere wieder, indem er sich über die Mauer vorbeugte. „Ich habe schon lang’ einen Pik auf dies Bauernvolk, das jetzt überall den Herrn spielen möchte; ich bin dabei, wenn’s gilt, ihnen einmal das Handwerk zu legen… Aber horch … da drüben kommt es wirklich gegen den Markt heran; ganz schwarz zieht sich’s aus dem Buchenschlag hervor… Sie sind’s, sie kommen wirklich… Wir wollen zurück und melden …“

Wie versteint stand Franzi in ihrem Versteck, bis der letzte Ton der Fußtritte in der Ferne verhallt war, dann öffnete sie rasch die Thür und trat tiefathmend in’s Freie. Auf der Schwelle wendete sie sich noch gegen den Altar zurück und rief wie betend, mit vor der Brust gefalteten Händen: „So bin ich halt wieder nit umsonst bei dir gewesen, heilige Mutter … du hast mir den Zorn aus dem Herzen genommen und die Verwirrung … morgen, in aller Fruh’, geh’ ich in die Stadt, und wenn’s dort auch nit sein sollt’, irgendwo in der Welt wird’s doch ein Platzl geben, wo mich und meine Schand’ Niemand kennt, wo ich mich verstecken kann, und einmal wird ja doch die glückselige Stund’ schlagen, wo Alles aufkommt… Bis dahin will ich’s halt in Geduld ertragen, wie du deine traurige Last … ich will meine gestorbene Lieb’ auch so auf mein’ Arm nehmen und wie einen Todten an’s Herz pressen; ich will’s ausführen, was ich mir vorgesetzt, ich will aushalten, was ich übernommen hab’… Jetzt weiß ich, was ich zu thun hab’!“

An den Büschen des Feldsträßchens huschte sie niederduckend dahin, bis sie in die Nähe des schloßartigen Gebäudes kam, in welchem sich der Sitz des Amtes befand. Eine hohe Mauer umgab dasselbe und zog sich die schluchtartige Senkung entlang, zu welcher das Sträßchen hinabstieg; gegenüber war freies Land, in geringer Entfernung von Wald und Baumgärten eingehegt. Nach allen Seiten hin waren einzelne Bewaffnete vertheilt; der Amtmann sprach über die Mauer mit einigen, welche noch Meldungen gebracht hatten; die eine bestand darin, daß die Haberer eben an der andern Seite des Orts Halt gemacht, um vor dem einzeln stehenden Hause des reichen Meisters Staudinger demselben eine Rüge zu ertheilen, weil er sich hatte beigehen lassen, gefallenes Vieh auszuhauen und das Fleisch zu verkaufen. „Nun, ich denke, der Unfug soll wohl heute zum letzten Male stattfinden!“ sagte der Amtmann. „Die Rebellen, die Landfriedensbrecher verdienen keine Schonung … ich habe mir vorgenommen, der Sache ein Ende zu machen, und ich setze es durch, und wenn ich die Verkündung des Standrechts beantragen müßte! Gehen Sie nur Alle an die Ihnen angewiesenen Plätze und thun Sie pünktlich, wie Ihnen befohlen ist…“

Das Gebrüll des Haberfelds klang stärker heran; der Amtmann sah zu einem Fenster des ersten Stockwerks empor, an welchem, dicht in Pelz eingehüllt, eine weibliche Gestalt sichtbar war. „Hören Sie nur dieses infernalische Geheul!“ sagte er, „diese modernen Vehmrichter gehen sehr laut zu Werke – was sagen Sie dazu, ma mie?“

„Daß ich mich ennuyire,“ erwiderte die Dame; „die Sache ist einfach roh – ohne alle Romantik – das läßt mich kalt und ist den Schnupfen nicht werth, den man sich dabei holen kann …“ Sie schloß das Fenster und verschwand.

In Todesangst hatte Franzi am Anfang der Mauer im Gebüsche gelauert, sie durfte sich nicht regen, ohne durch das Rauschen der Zweige verrathen zu werden – jetzt endlich, da Alle sich entfernten, ward es ihr möglich, ihren Weg zu verfolgen. Sie faßte nach den Ranken eines überhängenden Hagdornstrauchs und achtete der Stacheln nicht, die sich blutig in ihre Hände drückten; es gelang ihr, daran hängend in den Graben nieder zu gleiten, der, ein Ueberrest früherer Befestigung, sich noch an der Rückseite des Schlosses hinzog, und dieses umgehend auf einem Umwege die äußern Häuser des Marktes zu erreichen.

Sie kam eben im rechten Augenblick; der Zug der Haberer bewegte sich schon die Anhöhe herab – trotz der Entfernung und des Dämmerdunkels fand sie den Gesuchten mit scharfem Aug’ sogleich heraus; hätte sie auch nicht gewußt, wer der Habermeister war, seine hohe ragende Gestalt hätte ihn für sie auf den ersten Blick kenntlich gemacht.

Er schritt allein, etwas den Uebrigen voraus, während der Vortrab und die Späher wieder in verschiedenen Entfernungen sich vertheilt hatten. Sein Gang war nicht so ruhig, seine Haltung nicht so gemessen, wie sonst; er blieb manchmal einen Augenblick stehen, wie Jemand, der sich auf etwas Vergessenes besinnt und schwankt, ob er zurückkehren soll, dasselbe zu holen; dann schritt er wieder vorwärts, rascher als zuvor, wie von innerer Hast und Unruhe gedrängt.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_692.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)