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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

einer langen Reihe von Trägern mit Tabot (Gesetztafeln Mosis, die in jeder abessinischen Kirche aufgestellt sind), in bunte Tücher gewickelt und auf vergoldeten indischen Fauteuils, nebst dem Kirchenhahn, bei dessen Morgenkrähen die Gebete zu beginnen haben.

Kranke und Verwundete, in ihre langen, weißen Oberkleider gehüllt, werden auf leichten Bahren aus Bambus getragen, Mütter schleppen ihre nackten Säuglinge auf den Rücken gebunden oder in Körben auf dem Kopfe nach. Eine große Anzahl gefangener Gala, den Hals in die Sclavengabel gezwängt, wird von Reisigen escortirt; dazwischen sieht man politische Verbrecher, gewöhnlich frei von Ketten und häufig sogar beritten; der Stumpf ihres unter Henkershand gefallenen Fußes oder Armes steckt in einem großen Hornbecher.

Die leichte Feldartillerie ist demontirt und wird durch Maulthiere und Träger weiter befördert.

Große Heerden von Rindvieh und Schafen, dem Feinde abgenommen, werden an den Gehängen zur Seite der Straße hingetrieben und weiden auf zertretenen Gerstenfluren und mageren Wiesengründen. Vier zahme Löwen des Königs folgen ganz frei dem Marstall; sie erfreuen sich reichlicher Kost, aber das Hochlandsklima mit seinen Hagelschauern behagt ihnen keineswegs; mürrisch und mit gesträubter Mähne trollt der König der heißen Tropenwälder seines Weges.

Der Vorhut folgt ein Lagerzelt von rothem Tuch. Das Aufheben oder Aufstellen desselben ist das Signal zum Abmarsch oder zum Lagern, seine Thür ist immer nach der Marschrichtung des folgenden Tages gelegen. In der unmittelbaren Nähe, auf dem rechten und linken Flügel des Centrums, sind die Königinnen, der Abun (Primas der abessinischen Kirche) und der Lagercommandant etablirt, ebenso wurde uns dort ein Ehrenplatz zugewiesen; das Kirchenzelt steht vor dem Lagerzelt. Jede Abtheilung kennt genau ihre Distanz und orientirt sich nach dem letzteren. Um die Lager der einzelnen Befehlshaber rangiren sich die Truppen in großen Reihen und Kreisen in kleine Godscho oder Hütten von Baumzweigen und Hochgras, welche verhältnißmäßig gut gegen Kälte und Regen schützen.

Am Mittag des 4. April 1862 trafen wir mit den Vorposten des königlichen Lagers, zu dem das Gros der Armee stoßen sollte, im District der Dschama-Gala zusammen. Die ziemlich von Baumschlag entblößte Hochebene war meilenweit bedeckt mit Zelten und Hütten, Heerden und Schlachtvieh, Pferden, Maulthieren und Eseln; über die ganze Fläche lagerten dichte Wolken von Rauch und Nebel. Unser Heer theilte sich in lange Colonnen, die nach links und rechts abmarschirten, um ihre festen Stellungen einzunehmen. Ein kleiner Hügel mit einigen Bäumen in der Mitte trug die Zelte des Königs, daneben standen Geschütze und ein weiter Cordon von Leibwachen. Dort weilte Theodor, umgeben von vielen Officieren und Geistlichen, und beobachtete durch das Fernrohr die Ankommenden. Erst gegen Abend hatten alle unsere eigenen Diener und Gepäck sich zusammengefunden und die Zelte wurden aufgeschlagen. Unser Führer Rumha war indeß zum König gegangen, um Rapport über seine Sendung abzustatten und unsere Ankunft anzuzeigen. Der vorgerückten Tageszeit wegen glaubten wir erst am folgenden Tage empfangen zu werden und saßen eben beim frugalen Abendessen, als einige Officiere mit Rumha hereinstürzten und meldeten, Se. Majestät erwarte uns.

In aller Eile war die nöthige Toilette gemacht, und unter Fackelbeleuchtung zogen mein Begleiter, Dr. Steudner, und ich, der schon längst in Diensten des Negus befindliche Maler Zander aus Dessau und Missionär Brunckhorst, die sich uns angeschlossen hatten, durch den Kreis der Leibgarden nach den königlichen Zelten. Dasjenige, in welchem wir empfangen wurden, ist wohl sechsunddreißig Schritte lang und besteht aus dickem, doppeltem Wollstoff; das Innere ist durch einen Vorhang in zwei Zimmer geschieden, drapirt mit bunten Stoffen und belegt mit türkischen Teppichen. Alles war mit Wachskerzen erleuchtet und Theodor saß gegenüber dem Haupteingang auf einem niedrigen Ruhebett; vor ihm stand ein kleines Tabouret, roth ausgeschlagen. Der Ceremonienmeister führt uns ein; wir bleiben unter der Thür stehen, bis uns der König grüßt und einladet näher zu treten und zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Theodoros ist einfach und ganz nach Landessitte mit dem weißen Umhängtuch mit rother Borde (Schama) bekleidet; zu seiner Linken stehen sein Beichtvater, einige Prinzen, Hofchargen und Officiere. Er ist achtundvierzig Jahre alt, von etwas mehr als mittlerer Größe, schlank und kräftig gebaut; die feinen, scharfen Gesichtszüge zeigen ganz semitischen Typus, die Hautfarbe ist ein ziemlich dunkles Olivenbraun, die Stirn hoch und majestätisch, das Auge schwarz, feurig und doch ernst und würdevoll.

Die erste ceremonielle Unterredung wird geführt durch den „Sprecher“ (Af, d. h. wörtlich der Mund) des Königs in amharischer Sprache und mittels Dolmetscher. Dann reicht ein Mundschenk den Empfangstrunk, ein Krystallglas voll feinen Honigbranntwein, und zwar in Dosen, deren jede hinreicht ihren Mann vollständig zu decken. Darauf kreiste vortrefflicher Tesch (Honigwein), bis die Aufforderung zum Souper kam. Wir befanden uns bereits in der Zeit der Osterfasten und der Ceremonienmeister erkundigte sich, ob wir Fleischspeisen wünschten oder nach Landessitte mit einem Fastengericht vorlieb nehmen wollen. Ich erklärte, daß wir vorzögen, uns an die Landessitte zu halten, und alsbald erschien ein großer Korb mit rothem Tuch behangen und erfüllt mit feinen, weißen Brodkuchen von Tiéfmehl. In der Mitte dieses Meseb (Korb), der zugleich als Tisch dient, dampfte und qualmte eine Sauce von rothem Pfeffer und Erbsen. Ein ähnlicher Korb wurde den Gästen zur Linken des Königs zugeschoben, um den sich sein zweiter Sohn Maschescha, der Prinz Hailu Melekot von Schoa, Ras (Fürst) Engeda und der Lagercommandant Bascha-Negusie rangirten.

Wir waren speciell der Fürsorge eines Indiers, des Chefs der königlichen Artillerie, und Rumha’s empfohlen, rückten, nachdem Handwasser herumgereicht worden, unserem Korb mit unterschlagenen Beinen so nahe als möglich und begannen so das Mahl. Man bricht mit der Rechten ein Stück der Brodkuchen, mit der das ganze Innere des Meseb dick belegt ist, taucht ersteren in das höchst pikante Gemüse und verspeist den Bissen ohne dergleichen Instrumente wie Gabel und Löffel. Die Hofcavaliere haben noch die Obliegenheit, den Gästen tüchtig zuzusprechen und ihnen gehörige Brocken vorzulegen und in den Mund zu stopfen, und der malitiöse Rumha bediente meinen Gefährten, den armen Steudner, so gewandt und zuvorkommend mit Portionen rother Pfeffersauce, daß ihm bald der Schweiß von der Stirn und Thränen aus den Augen rannen.

Nach aufgehobener Tafel mußten wir uns unmittelbar neben den König placiren. Er unterhielt sich jetzt direct mit uns und zwar in arabischer Sprache, die er ziemlich fertig spricht, befragte mich nach den neuesten politischen Affairen in Europa, nach dem Suezcanal, nach meinen Erlebnissen in den neun Jahren, die wir uns nicht gesehen, bedauerte, daß ich ihm so selten geschrieben, und erinnerte sich noch lebhaft meines ersten Besuches bei ihm, im Feldlager in Djenda und am Tana-See, sowie meiner Aeußerung, daß ich ihn, den damaligen ziemlich unbedeutenden Fürsten Kasa, für den Mann halte, dem es beschieden sein werde ein großes Reich aus Aethiopien zu machen und alle seine Fürsten wieder unter seinen Scepter zu vereinigen. Wirklich theilnehmend erkundigte sich Theodor dann nach meinem treuen Diener und Gefährten Kaspar, der längere Zeit bei ihm zugebracht und später dem höllischen Klima des Sudan unterlegen war. Er machte mich endlich darauf aufmerksam, daß wir einst Brüderschaft getrunken und er dies nicht vergessen habe, obgleich das Schicksal ihm jetzt die Krone von Habesch aufgesetzt; Alles, was er Sein nenne, gehöre seinen Freunden und er wünsche, daß wir in allen Fällen und so lange wir im Lande, dergestalt seine Gäste bleiben und uns immer nur an ihn wenden möchten.

Ich fand das Aussehen des Königs allerdings frisch und kräftig, wie früher, aber das rast- und ruhelose Leben im Feldlager hat schon manche Falte in seine Stirn gegraben, nicht weniger als die bittern Erfahrungen, die der Mann im politischen und häuslichen Leben gemacht hat. Er ist Soldat mit Leib und Seele und kennt eigentlich von Jugend auf keinen festen Wohnsitz; in der Feldschlacht steht er immer an der Spitze seiner Truppen und excellirt als Reiter wie als ein trefflicher Schütze.

Ueber die staatlichen Einrichtungen und Verbesserungen, welche Theodor in Habesch eingeführt, kann ich wenig berichten, sie mögen auch nicht gerade belangreich sein, denn seit seiner Krönung zum Negus von Aethiopien im Jahr 1855 ist er beständig auf Eroberungszügen, welche den Zweck hatten, alle ehemaligen Theile des Reichs wieder zu gewinnen, namentlich Schoa und die von den Gala eroberten südlichen und östlichen Provinzen. Aber auch im Innern des Landes, wie in Tigrié und Godscham, tauchten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_698.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)