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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Rebellenhäuptlinge auf, theils auf eigene Faust, theils aufgehetzt durch die unzufriedene clericale Partei, Missionäre und anderen fremden Einfluß.

Der König hat indeß den Sclavenhandel abgeschafft, neue Gesetze erlassen, eine Heerstraße zwischen Gondar und Schoa anzulegen versucht und europäische Arbeiter zu sich berufen, um nützliche Einrichtungen, Gewerbe und Cultur einzuführen. Als Regent und Richter ist er äußerst consequent, gerecht, aber von unerbittlicher Strenge. Alle Regierungsgeschäfte gehen direct durch seine Hand. Alltäglich erscheinen schon lange vor Sonnenaufgang Bittsteller und Kläger vor dem Cordon der Garden, die seine Zelte umgeben, mit dem Rufe „Abet Abet“ und „Dschan-hoi Dschan-hoi“ (Höre uns, unser Herr!). Vom Lager aus antwortet der König, erhebt sich, leiht jedem Begehren sein Ohr, urtheilt und theilt Strafen, Gnaden und Gaben aus.[1] Er besitzt wenig, vertheilt vielmehr alle Beute und Revenuen an seine Freunde und Soldaten.

Ob die Geistlichkeit, die ihn in Schaaren umgiebt, einen großen Einfluß auf Theodoros ausübt, vermag ich nicht zu beurtheilen. Aeußerlich hält er streng an den Satzungen der Kirche, aus deren Mitte seine meisten politischen Gegner hervorgegangen sind, aber der Negus würde offenbar einen Fehlgriff thun, wenn er jetzt schon offen gegen das faule Pfaffenthum zu Felde ziehen wollte, gegen diesen Krebsschaden seines Reichs (ganz wie anderwärts auch. D. Red.), der jede nationale und geistige Entwickelung hemmt und nur Sittenlosigkeit und Obscurantismus befördert.

Die Verfassung des Landes ist eine unbeschränkt monarchische. Es besteht ein höchster Gerichtshof unter Vorsitz des Regenten. Die Richter sind angesehene Bürger, welche den Fila Negest, d. h. das Gesetzbuch, studirt haben. Es ist dies ein angeblich auf dem Concil zu Nicäa verfaßtes Werk, das in zwei Abschnitte, in das kanonische und in das bürgerliche Recht, zerfällt.

Die Dynastie Aethiopiens, wohl des ältesten aller christlichen Reiche, leitet ihren Ursprung vom König Salomo her. Die Negesta Asiab, (d. h. Königin des Ostens) Maketa, oder Königin von Saba, und der Sohn beider, Ebn Hakem, gelten als directe Vorfahren der erstern. Wir besitzen alte äthiopische Codices mit den Stammlisten der Familie. –

Nach Beendigung des oben geschilderten Besuchs zogen wir in später Nacht nach unseren Zelten zurück. Kaum waren wir dort angelangt, so überreichten einige Hofbeamte Namens des Negus ein großes Horn mit Honigbranntwein (Tesch) in Menge und eine Partie feiner in Schoa gefertigter Stoffe, zum Schutz gegen die rauhe Witterung. Am 6. April ertheilte uns seine Majestät eine förmliche Audienz. Auf dem erhabensten Punkt des Lagers war auf großen Teppichen ein mit Goldbrokat und Kaschmiren belegtes Ruhebett aufgeschlagen; dort saß der König, unbedeckten Hauptes, in einen mit Seidenstickerei bordirten Margef (Ueberkleid) gehüllt. Hinter ihm standen zwei Officiere mit großen Sonnenschirmen. Wir wurden eingeladen, Platz zu nehmen, und ich bat Seine Majestät einige Geschenke überreichen zu dürfen, welche durch unsere Diener getragen wurden. Diese bestanden hauptsächlich in Waffen und Teppichen, und der König sprach sich sehr anerkennend über die Auswahl derselben aus. Auf seine Frage, ob ich noch specielle Wünsche vorzutragen habe, erwiderte ich, daß ich mich nur verpflichtet fühle, Seiner Majestät meinen aufrichtigen Dank für das königliche Geleite und alle bei ihm genossene Gastfreundschaft zu sagen, und bitte, er möchte, da die Regenzeit mit Riesenschritten herannahe, uns in Gnaden entlassen und die Bewilligung zum Austritt aus Habesch ertheilen. Der König antwortete, daß dies bald geschehen werde; wir möchten, bis es Gelegenheit gebe, uns auf vom Feinde nicht mehr beunruhigtes Gebiet zu bringen, seine Gäste bleiben.

Am 10. April trat die ganze Armee den Rückmarsch aus Dschama-Gala an; das koptische Osterfest wurde in Woro Heimano gefeiert und wir am 25. April entlassen, reichlich mit Pferden und Maulthieren beschenkt, sowie mit Staatssattel, silbernem Schild und Handschuh belehnt. Ein anderer Officier nahm jetzt Rumha’s Stelle ein und geleitete uns bis zur Grenze von Galabat. Auf jeder Station hatte derselbe Futter für die vielen Reit- und Lastthiere und Schafe, Butter, Brode und Honigwein für uns in Empfang zu nehmen. Am 9. Juni erreichten wir Metemeh, den Hauptort von Galabat, wenige Tage später das ägyptische Gebiet der Provinz Gedaref und näherten uns somit wieder unserer europäischen Heimath.[2]




Wiege und Grab deutscher Kaiserherrlichkeit.


Wenn in des deutschen Lebens traurigsten Tagen, als dem innern bürgerlichen Verfall die schmachvolle äußere Unterdrückung gefolgt war, der Ruf der Sehnsucht aus allen patriotischen Herzen nach „Kaiser und Reich!“ ging und wenn dieser Ruf, von der studirenden Jugend auf den Schlachtfeldern der Befreiungskriege wie später auf der Wartburg unter dem Banner des neuen Reichs der Zukunft zuerst erhoben, im Verlauf weniger Jahrzehnte Widerhall im ganzen deutschen Volke fand, so weit es überhaupt dem großen Vaterlandsgedanken des Tugendbundes und der Burschenschaft zugänglich geworden war, so verdanken wir dies von allen deutschen Herrschergeschlechtern einem einzigen: den Hohenstaufen.

Es lag so nahe, war so einfach menschlich, daß der Deutsche in den Zeiten der tiefsten politischen Erniedrigung Deutschlands seine vergleichenden Blicke in die Vergangenheit warf, um im Anschauen der erhabensten Heldengestalten seiner Kaiser, die im Glanze der höchsten Reichsherrlichkeit durch die Geschichte leuchten, Trost zu


  1. Ueber die Rechtspflege des Königs erzählt man sich verschiedene pikante Geschichten. Als er das eroberte Reich wieder in den Friedenszustand versetzte, erließ er ein Edict, durch welches er Allen, die mitgekämpft hatten, gebot, die Waffen niederzulegen und wieder zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren. Kurz nach Veröffentlichung des Edicts meldete sich eine Bande unverbesserlicher Straßenräuber aus Chasba bei ihm, welche ebenfalls auf Grund dieses Erlasses das Recht, zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren, reclamirte.

    „Und was waren denn Eure Väter?“ frug der König arglos.

    „Straßenräuber,“ entgegneten frech die Bittsteller.

    Theodor sagte ihnen, sie würden besser thun, Ackerbau und Viehzucht zu treiben, wie die meisten ihrer Landsleute, er wolle ihnen dazu Pflüge und Ochsen geben; die Banditen pochten jedoch auf das Edict und gingen nicht davon ab.

    „Nun gut, so thut, was Ihr nicht lassen könnt, bleibt bei dem Gewerbe Eurer Väter,“ sprach der König und verabschiedete die Leute.

    Diese kehrten triumphirend in ihre Heimath zurück und freuten sich, daß sie ihrer Meinung nach den Negus eingeschüchtert hätten; sie waren aber noch nicht weit gekommen, als sie von einem Trupp Reiterei eingeholt und niedergesäbelt wurden, während der Anführer des Trupps ihnen zurief: „Da Ihr bei dem Gewerbe Eurer Väter bleiben wollt, so wollen auch wir dies thun, denn unsere Väter waren schon von König Lalibela dazu angestellt, das Land von Räubern zu befreien.“ –

    Die Familie eines Ermordeten hat in Abessinien das Recht, den Mörder wieder umzubringen, begnügt sich indessen gewöhnlich mit einer Entschädigung in Geld; kann der Schuldige diese nicht bezahlen, so sammelt er öffentlich, von dem Oberhaupt der Familie des Ermordeten begleitet, so lange, bis er die zur Erkaufung seines Lebens nothwendige Summe beisammen hat.

    Eines Tages wurde ein Soldat vor den König Theodor geführt, welcher zwei reisende Kaufleute ermordet hatte.

    „Warum hast Du diese Leute getödtet?“ frug der Negus.

    „Ich hatte Hunger.“

    „Konntest Du ihnen denn nicht blos das zur Stillung Deines Hungers Erforderliche wegnehmen und sie weiterziehen lassen?“

    „Wenn ich sie nicht getödtet hätte,“ entgegnete naiv der Soldat, „so würden sie ihr Hab und Gut vertheidigt haben.“

    Der über diesen Cynismus empörte König ließ dem Missethäter sofort beide Hände abhauen und auf einer Schüssel vorsetzen, indem er rief: „Du hattest ja Hunger, so iß jetzt!“ –

    Als eines Curiosums sei noch eines Zuges gedacht. Nach dem Tode des Prinzgemahls von England benahm sich König Theodor ganz eigenthümlich naiv, indem er eine Gesandtschaft an die verwittwete Königin Victoria schickte und um deren Hand anhalten ließ. Wer weiß, ob sein jetziges Benehmen gegen die Engländer, die Ursache des gegenwärtigen Krieges, nicht zum Theil wenigstens eine Folge des damals erhaltenen Korbes gewesen ist! Wäre die Königin nicht so tief in ihren Schmerz versenkt gewesen, sie hätte sicherlich herzlich über diesen Antrag lachen müssen; ihre Unterthanen haben sich desto mehr darüber amüsirt.
    … r.
  2. Wir sind dem Verfasser für seinen interessanten Artikel zu besonderem Danke verpflichtet; im Uebrigen verweisen wir auf sein binnen Kurzem (bei H. Costenoble in Jena) erscheinendes Werk: „Reise nach Abessinien, den Gala-Ländern, Ost-Sudan und Chartum in den Jahren 1861 und 1862“, das, mit zehn Illustrationen in Farbendruck und Holzschnitten nach J. M. Bernatz geschmückt, die Erlebnisse und die wissenschaftlichen Resultate seiner Reise in Ostafrika behandelt und allen Freunden ethnologischen Wissens angelegentlich empfohlen sei.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_699.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)