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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

über das lebenvolle, mit Städten und Dörfern in herrlicher Abwechselung bedeckte Hügelland und hinüber bis zum Schwarzwald, zur schwäbischen Alb und, wenn der Himmel ihnen lacht, wie uns, sogar bis zu den Alpen Tirols und der Schweiz belohnt Jeden reichlich für die Mühen des Wegs.

Je näher wir aber dem Kegel kommen, dessen Name für jedes deutsche Herz so bezaubernd klingt, desto trauriger schauen wir zu ihm empor; und haben wir seine Höhe erstiegen, betreten wir die Stätte so unvergänglichen Ruhms und erkennen nirgends etwas Anderes, als die Schutthügel, wo einst Paläste gestanden, nun vom grünen Rasen und Unkraut überdeckt, so können wir eines bitteren Gefühls uns nicht erwehren. Nicht daß es die blinde Volkswuth war, welche im Bauernkrieg auch diese Burg verwüstete, sondern daß die Fürsten des Landes selbst die Trümmer von Hohenstaufen als Steinbruch benutzten für ihre Schlösserbauten im Thale, – das ist das Empörendste des jämmerlichen Anblickes. Der letzte der Thürme wurde erst im Jahr 1705 abgebrochen, und zwar mit großer Mühe und Vorsicht, um die schönen Quadern nicht zu beschädigen, die im Thale ihre Verwendung fanden. Ja, sogar in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts stand von den Gebäuden und Ringmauern noch genug, um in dem Herzog Karl Alexander von Würtemberg den Gedanken des Wiederaufbaues der ganzen Burg anzuregen. Sein rascher Tod beschleunigte den völligen Untergang der Burgveste, denn von da an nahmen auch die Bewohner der umliegenden Dörfer und Weiler ihren Vortheil wahr und räumten so gründlich mit allem nutzbaren Gestein auf, daß um das Jahr 1798 nur noch ein Mauerrestlein stand, – und auch das ist nun verschwunden. Die Geschichte der großen deutschen Vergangenheit war nicht nur dem Volke, sondern noch mehr den Fürsten so fremd geworden, daß die Ruhmesstätte gerade der gefeiertesten Kaiser des Reichs die vollendetste Verwüstung auszeichnet.

Nur die älteste Wiege des Geschlechts, das Wäschenschlößle bei Wäschenbeuren, steht wenigstens in seinen aus mächtigen sogenannten Buckelquadern gefügten Umfassungsmauern noch unberührt vom Zahn der Zeit. Eine Stunde nördlich von Hohenstaufen erhebt es sich auf dem Hügel, von welchem die Herren von Büren, die Stammväter der schwäbischen Kaiser, gewiß ohne Ahnung der Zukunft ihrer Nachkommen auf ihre bescheidene Umgebung hinabblickten. Das Schlößlein selbst ist später erneut und dient als Fruchtspeicher und Voigten zur Wohnung. Einer der letzteren entdeckte vor ungefähr fünfzig Jahren einen eichenen Wandkasten voll alter Urkunden. Was sie enthielten, ist unverrathen geblieben, denn der Voigt fand das starke Papier oder Pergament für seine Kinder trefflich geeignet, Figuren daraus zu schneiden, und so geschah es.

Trotzalledem verlassen wir den Berg nicht ganz unversöhnt; lacht ja doch, wie ein Kundiger des Landes von dieser Höhe begeistert preist, zu dem öden Scheitel des Berges herauf ein saftigfrisches, heiteres Landschaftsbild: einerseits ein wogendes Wäldermeer mit dunklen Tannengründen und lichtem Buchenschlag, goldgrüne Matten dazwischen, aus denen wie Wellenglitzer die Thurmspitzen malerischer Kirchen auftauchen, und ringsumher eine Perlensaat von freundlichen Ortschaften, Schlössern und Burgen; andererseits die Felsenstirnen der schwäbischen Alb, um die sich ein Blüthenkranz von Dichtung webt.

Dichtung und Geschichte verknüpft die an der Westseite der Bergstirne des Hohenstaufen befindliche Höhle in ihrer Benennung: Heidenloch. Höchst wahrscheinlich hatte der Berg schon bei unsern germanischen Altvordern eine hervorragende Bedeutung, und ihre Dränger, die Römer, scheinen ihn als Warte der Winkelecke, in welche der hadrianische Grenzwall – Teufelsmauer, Schweingraben im Volksmund – von Regensburg und dem Taunus her hier zusammlief, benützt zu haben.

Am Südabhang des Berges, unweit vom Scheitel, steht eine nachher zur Kirche umgewandelte Capelle am Ende des Marktdorfes Hohenstaufen, und über deren nördlicher Pforte ein Wandgemälde, den Kaiser Rothbart darstellend, mit den Worten: „hic transibat Caesar“. Ob das im vorigen Jahrhundert gemalte Bild über dem spitzbogigen Nordeingang von der Burg her (das Kirchlein gehört in das fünfzehnte Jahrhundert) an die Stelle eines älteren Bildes und Baues getreten, ist nicht urkundlich bekannt, aber wahrscheinlich. In den dreißiger Jahren handelte es sich darum, die für die Gemeinde zu klein gewordene Dorfkirche zu vergrößern, wobei jenes Bild und die alte Pforte bedroht waren. Um dies abzuwenden, wurde auf den Bau einer neuen Kirche mit Erhaltung der alten hingewirkt, wozu der Landesherr, der Staat und ein Verein von Hohenstaufenfreunden behülflich gewesen. Durch Anwachs der Zinsen aus den gesammelten Geldern war es in neuerer Zeit möglich, die Süd- und Westseite des im vorigen Jahrhundert verunstalteten Kirchenschiffs wieder stilmäßig herzustellen und dieselben mit einer Reihe von Wappenschildern derjenigen Herrschergeschlechter und Gemeinwesen, welche den Hohenstaufen untergeben waren, zu zieren. Nun harrt aber noch die Nordseite des Schiffs mit den dorthin bestimmten Wappen der Vollendung, und für die Herstellung des Innern konnte noch nichts geschehen. Ein neuerdings in öffentlichen Blättern Süd- und Norddeutschlands ergangener Aufruf zu weiteren Beiträgen blieb wegen Ungunst der Zeiten ohne Erfolg, und so wartet die Staufenkirche, gleich dem Hermannsdenkmal bei Detmold, auf eine bessere Zukunft.

Vom Hohenstaufen nach Göppingen ist selbst für den Müden das Wandern eine Lust, mit so lieblichen Bildern umgiebt uns die Natur. Die Sonne neigte sich zum Scheiden, als ich von Göppingen aus noch einmal auf die schönen Linien des Gebirgs zurückblickte, das von der Geschichte so reich gesegnet ist. Hier fand ich den Abschluß meiner Wallfahrt, denn zum Göppinger Schloßbau hat Herzog Christoph von Würtemberg die Steine des Hohenstaufen verwendet. Bewundern wir auch das Baukunststück des sogenannten „Traubenstiegs“, einer steinernen Wendeltreppe, die in der südwestlichen Ecke des Schloßhofs bis oben in den Thurm führt und ein Rebengewinde mit steinernem Blätter-, Trauben- und Thiergestaltenschmuck darstellt, so nimmt am Schlosse selbst noch der vom Hohenstaufen herrührende Steinbilderreichthum unsere Theilnahme vorzugsweise in Anspruch, denn aus ihm spricht der letzte Zeuge dafür, daß die Kaiserburg in Schwaben auch an Pracht und Geschmack keinem der deutschen Fürstenschlösser der Berge nachgestanden.




Blätter und Blüthen.


Saphir in „Krähwinkel“. In jener Gott und dem Clerus gefälligen Zeit, wo es noch keine Preßfreiheit gab, aber auch noch keinen Staatsanwalt, wo die Welt noch in holder süßer Dummheit lebte, schwang der bekannte Humorist M. G. Saphir seine kritische Geißel in Pest. Er wußte aber so eigentlich noch nicht, was er kritisiren sollte, denn alle Diener des Staates und der Kirche, der Cabinets und Bureaus waren gefeit gegen jeden Angriff, weil sie unfehlbar waren.

Wie Zeus dem Dichter, rief daher der Censor dem Kritiker zu:

„Ich habe nichts mehr, es Dir preis zu geben,
Bis auf die kleine Bühnenwelt allein,
Doch hast Du einen Zahn auf’s Künstlerleben,
So beiß’ in’s Teufelsnamen Dich hinein!“

Die Flachköpfe im Staats- und socialen Leben waren also unantastbar, nur die Flachköpfe der Bühne waren vogelfrei erklärt und dem kritischen Wurfgeschoß überliefert. Saphir schoß scharf darauf los. In die große Welt durfte er seine satirischen Pfeile nicht versenden, er schleuderte sie daher auf die Bretter, die die Welt bedeuten, und was ein Hofrath des Cabinets verschuldet, mußte ein Hofrath der Bühne entgelten. Wenn es auch jenen noch so juckte, gekratzt wurde dieser allein. Aber auch damals hatten die Helden der Bühne eine gar feine und empfindliche Haut. Sie brüteten also Rache.

Allerdings waren die Künstler damals noch nicht so gebildet und ehrenhaft, sich für eine kritische Zurechtweisung mit dem Faustrecht des Wegelagerers zu rächen, allein sie rächten sich mit der Waffe des Hohns, der den armen Saphir, wie Scipio, aus einem undankbaren Vaterlande trieb. Er trug, nebenbei gesagt, schon damals seine blonde Titusperücke und goldene Brille, erschien gewöhnlich in hellblauem Frack oder drapfarbenem Oberrock und war in allen Kreisen der Gesellschaft eine bekannte Persönlichkeit. So besuchte er in seinem hellblauen Frack eines Abends das Theater und nahm im Parterre auf dem ihm für alle Vorstellungen reservirten Ecksitz Platz. Man gab Bäuerle’s Posse „Die falsche Primadonna in Krähwinkel“ und das Haus war in allen Räumen überfüllt. Der Vorhang rollte in die Höhe und die ersten Scenen spielten sich ganz ruhig ab, bis der Schauspieler Melchior als Zeitungsschreiber Pfiffspitz erschien. Da aber war es, als ob das ganze Publicum plötzlich von Taranteln gestochen oder vom Lachkrampf überfallen würde, denn mit einem allgemeinen Gejohle wurde der Darsteller der genannten Rolle empfangen. Rufe, wie „Saphir! Bravo Saphir! Bravo! Bravo!“ durchdonnerten das ganze Haus. In der That, der Zeitungsschreiber Pfiffspitz in Krähwinkel war Saphir – vom Scheitel bis zur Sohle. Der blonde Tituskopf – die goldene Brille – der hellblaue Frack – die lichten Beinkleider – das ganze Faungesicht mit dem Stumpfnäschen – nichts war vergessen. Nicht einmal das Spazierstöckchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_703.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)