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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Innerste drang, und dazu das mächtige braune Auge in dem freundlich wehmüthigen Gesicht, welches so beredt mitsprach und in aufsteigender Rührung sich umflorte – es war jeder Zoll ein König und zugleich ein Priester. Will man das Papstthum ideal personificiren, man findet kein besseres Bild. Die Wirkung seiner Rede war denn auch die hinreißendste und packendste, die ich gesehen. Lautlos folgten die auf den Knieen gelagerten eleganten Officiere und bescheiden gedrückte Priestergestalten, seidenrauschende Fürstinnen und arme Frauen vom Lande, weißhaarige Greise und kleine Kinder seiner Rede; als die kirchliche Noth und das vaterländische Unglück erwähnt wurde, zog sich ein leises Schluchzen durch die Versammlung, Priester weinten wie im Krampf und auf ihren abgehärmten Gesichtern lag ein so verzückter Fanatismus, eine so leidenschaftliche Inbrunst. Sie sahen vielleicht den Papst zum ersten Male, ihren Oberherrn, ihren irdischen Gott, und warm und heftig mußte das Gefühl sein, das sie voll Verehrung zu seinen Füßen niederzog. Die armen Gesellen mochten auch an den Folgen der Politik zu tragen haben, zu deren Trabanten sie gemacht wurden, ohne gefragt zu werden, ob sie wollten oder nicht.

Aber noch ergreifender war der Anblick jener schwarzgekleideten römischen Familien, die bei den Worten des Papstes in Thränen ausbrachen; vielleicht daß im Aufstande ein theuerer Verwandter erschlagen, vielleicht daß er im Kerker schmachtete, in der Verbannung sich nach ihnen sehnte, tiefe Wunden schien die Rede zu berühren, und der gewaltsame Schmerz zeigte mehr als Worte, was jene Kämpfe dem Volke schon gekostet. Als der Papst mit gehobener Stimme den Segen ertheilt und sich entfernte, löste sich der Kreis der Knieenden in wilder Hast auf und folgte ihm; man wollte noch einen Segen für sich selbst. Eltern brachten ihm ihre Kinder, wer eine segnende Berührung erlangt, wem es nur gelungen war, ein Stück des päpstlichen Gewandes zu fassen, der segnete damit, als wenn in seine Hand ein heilsames Fluidum übergegangen, seine ganze Familie durch. Es war ein Moment, in dem die verblaßte Herrlichkeit des Papstthums wieder aufzuleben schien, in ihrer seelenbeherrschenden Gewalt. Was nur der geschichtlichen Erinnerung angehörte, gewann auf Minuten wieder Fleisch und Blut. Der päpstliche Greis war das Götterbild, vor dem die abergläubische Andacht in den Staub stürzte, wie der Buddhist vor seinem Dalai Lama.

Merkwürdig war es, daß auch für den unbetheiligten protestantischen Fremden dieser Rausch der Andacht etwas Packendes hatte. Lag es theilweise in der Gewalt der Vergangenheit, die sich an die Gestalt des Papstes knüpft, in der sympathischen Wirkung jeder großen und leidenschaftlichen Empfindung, welche sich von Einem dem Andern mittheilt, zuletzt war es doch der Reiz der imposanten Persönlichkeit, der mich auch nie mächtiger und unmittelbarer gefaßt hat, als Pius dem Neunten gegenüber. Und diese Würde des persönlichen Erscheinens schwindet auch nicht in jenen glänzenden Kirchenceremonieen, in denen er wie ein wächsernes Heiligenbild, in juwelengeschmückte Gewänder gehüllt, umhergetragen, auf seinen Thron gesetzt, aus- und angezogen wird. Wird es auch mehr Schauspiel, um die Sinne zu überwältigen und in staunende Andacht aufzulösen, nach dem päpstlichen Kirchenbegriff das Einzige, was dem Laien in der Kirche zukommt, wird auch nur der mit der mystischen Symbolik der katholischen Liturgie Vertraute etwas von gottesdienstlichem Zusammenhang in diesen heiligen Handlungen entdecken können – auf dem Gesicht des Papstes ruht das Auge immer gern und theilnehmend. Mag er auch den Segen ertheilen, die eine Hand zum Segen erhoben, in der andern die Tabaksdose, oder gar jenem heiligen Betrug sich fügen, bei der großen Procession um den Petersplatz am Peters- und Paulstag, die anderthalb Stunden währt, auf einem Schemelchen sitzend, sich umhertragen zu lassen, während künstliche Füße, die unter den weiten Gewändern hinten sichtbar sind, ihn als Knieenden erscheinen lassen sollen: man verzeiht dieses praktische Auskunftsmittel dem alten Manne, der eben in diesem Punkte Sclave ist und dem beschwerlichen Hokuspokus sich fügen muß. Sein Antlitz spiegelt bei alledem doch die fromme ernste Regung wieder, die in seiner Seele vorgeht.

Und wenn er auf dem Höhepunkte seiner priesterlichen Würde steht und am Osterfest von dem Hauptbalcon der Peterskirche den großen Segen ertheilt, der ungeheure Platz vor ihm mit Soldaten und Volk vollgedrängt, wenn die Kanonenschüsse von der Engelsburg schweigen, das weitdröhnende Glockengeläute verstummt, ja selbst die Fontainen plötzlich versiechen und über die knieende lautlose Menge voll und ehern seine Stimme bis zum äußersten Winkel vernehmlich dringt, das segnende Wort der Stadt und der Welt verkündend: dann fragen wir nicht, ob er das Recht hat, hier als Gottes Stellvertreter zu fungiren, dann lassen auch wir von diesem königlichen Greise uns mitsegnen und finden wenigstens, daß kein Mund und keine Stimme geeigneter ist, diese Verkündigung zu bringen, als die seine.

Des Papstes Umgebung weiß, welcher Zauber in seinem Auftreten liegt, und versteht denselben klug zu benutzen. Jene Rundreisen in der Umgebung Roms, sie werden auch aus politischer Rücksicht unternommen und sollen die Herzen immer auf’s Neue an ihren Herrscher ketten und bei ihm erhalten, und wie der Italiener empfänglich ist für Alles, was ihm schön und sinnlich anmuthend entgegentritt, so gelingen diese Unternehmungen auch, und in den kleinen Ortschaften hat Pius der Neunte wahrere und aufrichtigere Freunde, als in Rom und unter seiner herrschsüchtigen Umgebung. Aber er selbst geht nicht nur auf’s Land, um sich zu zeigen und für sein Regiment Propaganda zu machen, er geht dorthin, um eben dem gesündesten Gefühle der Menschenbrust zu gehorchen, sich in der Natur zu erholen und zu erfreuen, es ist vielleicht die einzige gesunde Regung und die einzige reine Freude, die ihm geblieben und gelassen, und eben weil es ihm hier gestattet ist, frei von dem drückenden Kirchenceremoniell, Mensch unter Menschen zu sein, bricht seine gute Menschennatur hier ungehindert hervor und findet wie überall ihre Schätzung und Verehrung.

In Castel Gandolfo im Albanergebirge ist sein Sommeraufenthalt. Es giebt vielleicht keinen schöneren. Die Gegend ist mild und mehr freundlich als groß, die Berge sind in sanften Linien gezogen, kleine Ortschaften hängen keck und malerisch in der Höhe, und in der Tiefe blicken die wunderbaren Kraterseen von Albano und Nemi uns still und heimlich an. Wundervolle Alleen von knotig verästelten, Jahrhunderte alten Bäumen verbinden die Städte Albano und Castel Gandolfo, und über Ariccia, Genzano, Nemi geht es hinauf zum Monte Cavo, auf dem der schöne Jupitertempel, aus weißem und gelbem Marmor erbaut, weithin ragte, bis im Jahre 1783 der Cardinal von York, der letzte der Stuarts, eine seiner Ahnen würdige That beging und in barbarischem Fanatismus ihn niederriß, um an seine Stelle und aus seinen Steinen die geschmacklose Dreieinigkeitskirche mit Kloster zu bauen. Ueberall öffnet sich der Blick auf die weite ernste Campagna, ihr öder verbrannter Boden flirrt im Sonnenlichte in tausend Farben, die Trümmer der alten Wasserleitung ziehen sich mit ihren Bogen durch dies schweigsame Ruinenfeld nach Rom, dessen Hunderte von Kuppeln und Palästen in feierlicher Ruhe emporragen, gewaltig beherrscht von den Denkmalen der zwei Machtperioden der Stadt, dem Colosseum und der Peterskirche. Am äußersten Westende blitzt das Meer in silbernen Streifen auf.

Hier begegnet man unter der Masse von Fremden, die ihre Villeggiatura am liebsten in dieser Gegend nehmen, an schönen Abenden Pius dem Neunten lustwandelnd, nur von Einigen seiner nächsten Umgebung begleitet, während zwei Nobelgardisten ihm voranschreiten, um, wo es nöthig, die gehörig ehrfurchtsvolle Stellung der Vorübergehenden anzuordnen. Sie thun es höflich und liebenswürdig; sieht man es doch diesen adeligen jugendlichen Gestalten, in ihrer geschmackvollen Uniform und mit dem schöngeformten Römerhelm auf dem Haupte, gleich an, daß sie nicht gewöhnliche Gensd’armen sind, sondern zu den edelsten Familien Roms gehören, welche diese Leibwache des Papstes als Ehrendienst übernommen. Ihre Aufforderungen sind kaum nöthig, das Volk kniet von selbst schon nieder in althergebrachter Gewohnheit und wird von andachtbeflissenen Fremden fast noch übertroffen. Mit wohlwollendem, väterlichem Lächeln geht der Greis vorüber, den blutrothen Hut auf’s weiße Haar gedrückt. Ob dieser rothe Hut, unter dem schon so mancher blutige Gedanke in finstern, fanatischen Häuptern aufgährte, auf diesem Papsteshaupte die Weissagung ist eines blutigen Geschicks, das über Pius schwebt? Gott möge es verhüten, er hätte es wahrlich nicht verdient; sich selbst und alle seine Werke zu überleben ist hart genug. Der vielleicht letzte Papst mag, wie die Dinge auch gehen, ruhig sterben und keine Gewaltthat möge dem müden alten Manne das vielleicht ihm selbst erwünschte Märtyrerthum bereiten. Wenn die Zeit gekommen sein wird, da es keine Päpste im alten Sinne mehr giebt, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_716.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)