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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

was wär’ und thät nicht aus dem Land abstammen, wo die Holzschlegel wachsen!“

„Hat das ganze Tüchel voll Guldenstückeln,“ sagte die Andere und kehrte an ihren Posten zurück, „und giebt einer Jeden von uns einen Sechser! Meinetwegen – wie der Mann, so die Wurst! Wegen der sechs Kreuzer wird man sich das Maul nicht in Fransen beten…“

Sie kauerten sich wieder nieder und die Kügelchen am Rosenkranze rollten geschäftig wie zuvor.

Nach einer Weile kam Meister Staudinger in derselben Richtung herangehinkt; ihm zur Seite ging ein großer, stämmiger Bursche, welchen die farbenbeklexte Schürze als einen Anstreicher erkennen ließ; er trug eine schwarz angemalte Stange mit gleichfarbiger Tafel, auf welcher in mächtigen Buchstaben eine weiße Inschrift stand. Der Meister war ungehalten und schalt in grimmigem Tone auf den Gesellen hinein; die Beterinnen stießen sich mit den Ellenbogen an und nickten einander zu.

„Wie kann man nur so nachlässig sein und so lang auf die bestellte Arbeit warten lassen!“ rief Staudinger. „Mich in dem Wetter fast eine Stunde hinstehen zu lassen! Es ist himmelschreiend!“

„Ach, was da,“ entgegnete unwirsch der Geselle, „das Wetter könnte ja nicht schöner sein! Wenn die Arbeit erst heute bestellt wird, kann sie nicht früher fertig sein!“

„Aber der Meister hat mir bestimmt versprochen, daß die Tafel in einer Stunde fix und fertig ist!“

„Der Meister!“ erwiderte der Geselle grob. „Der kann leicht versprechen, der thut nichts, als daß er anschafft und das Geld einstreicht; das muß ich als Geselle besser wissen, denn ich muß die Arbeit machen! Man muß der Farbe doch ein bischen Zeit lassen, trocken zu werden, sonst rinnt ja Alles ineinander! Und dann, warum pressirt es denn dem Herrn auf einmal gar so arg? Nach der Jahrzahl, die ich habe darauf schreiben müssen, ist die Frau, der sie gehören soll, schon in die fünfzehn Jahre todt – wenn’s dem Herrn die fünfzehn Jahre her nicht geeilt hat mit der Tafel, wird’s auf die Stunde früher oder später auch nicht mehr ankommen!“

Der Meister antwortete nichts, er biß die Zähne übereinander und trat zwischen die Reihen der öden Gräberabtheilung.

„Aber meinetwegen,“ brummte der Geselle fort, „Jeder muß seine Sache am besten wissen; ich red’ auch Niemandem was ein, aber ich mag mich auch nicht hudeln und hunzen lassen… Wo ist denn das Grab, auf dem ich die Tafel aufstellen soll?“

Der Meister deutete stumm auf den Kieshügel mit den geknickten braunen Schmeelen und der einsamen Scabiose.

„Das wollen wir gleich haben,“ sagte der Geselle, „dem Grab sieht man es wohl an, daß sich noch Niemand darum gekümmert hat; das Grab wird sich wundern, wie es auf einmal und noch so spät zu solcher Ehre kommt! Aber der Boden ist zu fest, ich will nur sehen, daß ich in der Nähe einen Pickel zu leihen bekomme oder eine Schaufel…“

Er steckte die Tafel mit dem zugespitzten Ende leicht in den Grabhügel und eilte hinweg; der Meister schien zu besorgen, daß sie nicht genügend befestigt sein möchte, und trat hinzu, sie, so gut er es vermochte, etwas fester in den Grund zu bohren.

In diesem Augenblick kam Franzi zurück; sie gewahrte schon von Weitem, was an dem ihr so theuren Grabhügel vorging, und eilte mit angstbeflügelten Schritten vorwärts, wenn sie auch aus der Ferne nicht genau unterscheiden konnte, was der Mann an dem Grabe vorhatte, und noch viel weniger diesen Mann selber zu erkennen vermochte.

Jetzt erreichte sie den Hügel, die Beiden standen einander gegenüber, zum ersten Male wieder seit dem Begegnen an der Kreuzstraße, durch das gleiche widrige Geschick getrieben und doch ungleichartig wie damals, vielfach verändert, aber das Gefühl der Abneigung, mit dem sie gegenseitig sich betrachteten, war dasselbe geblieben.

Meister Staudinger war der Schwächere, er wankte beinahe und ließ die Tafel los, auf die Gefahr des Umstürzens hin; sie aber wankte blos und blieb schief geneigt stehen. „Dies Gesicht …“ murmelte er unhörbar und fast nur innerlich, „muß ich das Gesicht wiedersehen…“

Franzi fand zuerst Worte; sie trat ihm in den Weg vor den Hügel und rief: „Was wollen Sie, Herr? Was haben Sie da zu thun?“

„Und was hat Sie darnach zu fragen?“ erwiderte der Meister. „Ich will einen schönen Denkstein aus Marmor auf dieses Grab setzen lassen, und bis er fertig ist, stell’ ich diese Tafel hin…“

„Aber nicht auf dieses Grab, Herr!“ rief Franzi hastig. „Das ist wohl eine Irrung, das Grab da ist mein, ich hab’s gekauft!“

„Gekauft? Wie kommt Sie dazu?“ rief Staudinger entgegen. „Was macht Sie sich da zu schaffen? Das ist das Grab meiner Tochter…“

„Ihrer Tochter?“ erwiderte Franzi mit starr auf ihn gehefteten Blicken, indem ihr Wort und Laut beinahe auf den Lippen erstarb. „Ich hab’s ja gleich gedenkt, das muß eine Irrung sein,“ fuhr sie dann wie sich besinnend fort… „Sie sind an das unrechte Grab gekommen…“

Der Meister zog einen Zettel hervor. „Dritte Section,“ sagte er in unsicherem Tone, „in der vierten Reihe das fünfzehnte Grab…“

„Das … trifft freilich zu,“ entgegnete das Mädchen, bebend vor Erregung, „aber es muß doch eine Irrung sein, der Aufseher vom Gottesacker hat mir’s gesagt und in seinem Buch aufgeschlagen und ich hab’ es ja gekauft, denn in dem Grab’ liegt meine Mutter.“

Der Alte taumelte einen Schritt zurück, als hätte er ein Gespenst gesehen, schlug er die beiden Hände vor das erbleichende Gesicht, er sprach nicht, aber in ihm rief es, wie gräbersprengender Posaunenschall; trotz der verhüllten Augen sah er innerlich und es war, als ob die Gruft zu seinen Füßen sich aufthäte und ließe ihn hinabblicken bis auf ihren Grund und auf die Züge der Todten in dem Sarge, der vermodert drunten lag, und es waren die Züge derer, die lebend vor ihm stand.

Auch in dem Mädchen tauchte eine Ahnung auf, wie Brandröthe am nächtlichen Himmel ein fern aufloderndes Unglück verkündet. „Nein, nein,“ flüsterte sie, „es kann ja nicht so sein, es ist unmöglich, es muß sich ja gleich zeigen, daß es nicht so ist … die Schrift da auf der Tafel muß ja Alles aufklären…“ Sie trat hin und las: „Dem Andenken der ehr- und tugendgeachteten Frau Franziska Wall, Privatierstochter…“ Sie kam nicht weiter, denn Blick und Ton versagten ihr und es währte eine Weile, eh’ sie die Worte herausstoßen konnte: „… Es trifft zu … es ist der Nam’ von meiner Mutter…“

Der Meister hatte die Hände vom Gesicht genommen und starrte das Mädchen mit weit aufgerissenen Augen an, in denen es wie Licht und Nacht durcheinander kämpfte. „Du?“ sagte er leise, „deswegen also hat mich das Gesicht immer so angegriffen? Du – Du wärst …“

„Ich bin die Tochter von der Frau,“ sagte Franzi ihn unterbrechend, in entschiedenem Tone, „die da begraben liegt, weiter nichts! Es ist doch eine Irrung, denn die Todte da drunten ist keine reiche Privatierstochter gewesen, sondern eine gemeine, blutarme Frau, die Frau von einem geringen Tischlergesellen … als das hat sie sich kümmerlich durchgebracht, als das hat sie mir das Leben gegeben, als das ist sie gestorben in Armuth und in der Niedrigkeit…“

Der Alte vermochte seine Erschütterung noch immer nicht zu bewältigen, er wiederholte nur immer, zwischen Grimm und Rührung schwankend, das staunende und fragende „Du? Meiner Tochter Kind … meine Enkelin?“

„Es hat den Anschein so,“ erwiderte Franzi, die sich allmählich ganz wiedergefunden, „aber kränken Sie sich darum nit. Herr, ich verlang’s nit, daß Sie mein Großvater sein sollen; ich trag’s Ihnen auch nit nach, daß Sie mich angefeindet haben und herunter gesetzt … das ist die beste Straf’, daß es Ihr eigenes Fleisch und Blut war, das Sie schlecht gemacht haben aus eitlem Hochmuth… Ich hab’s nur mit meiner armen Mutter da drunten zu thun! … So lang, als ich mein eigner Herr bin, hab’ ich kein’ anders Gedenken gehabt und kein’ andern Wunsch, als den, sie aufzusuchen, da hab’ ich’s erst so recht gespürt, was es heißt, keine Mutter haben! Deswegen hab’ ich mich als Kellnerin verdungen, um mir den großen Lohn zu ersparen, deswegen hab’ ich mit jedem Kreuzer gehaust, bis ich so viel beisammen gehabt hätte, als ich gemeint hab’, daß es brauchen wird zu alle denen Nachforschungen und Erkundigungen … deswegen hab’ ich das Grab da gekauft, daß die arme Kreuztragerin, die da eingescharrt ist, ein christliches Kreuz auf ihrem Hügel haben soll, und deswegen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_723.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)