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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

fünftausendvierhundert Meilen binnen vierundzwanzig Stunden von West nach Ost dreht, und an dieser Drehung auch ihr Luftmantel Theil nimmt: so kommt jener aufsteigende warme Strom in unseren gemäßigten und kalten Gegenden, die sich langsamer drehen, mit einem von West nach Ost gerichteten Schwunge an, und erscheint bei uns demnach als Südwest- oder Westwind – der Zephyr der Dichter; er wird, weil er vom Aequator kommt, Aequatorialstrom genannt. Der ihm entgegenkommende, oben erwähnte kalte Polarstrom verwandelt sich aus entgegengesetztem Grunde – weil ihm die Erde in der Aequatorgegend mit jener rapiden Schnelligkeit entgegengerollt kommt – in einen Nordost- und Ostwind, den sogenannten Passatwind. Deshalb heißt eben jener andere, der warme, Antipassat oder Gegenpassat, oder auch, weil er oberhalb des Letzteren hinzufließen pflegt, der obere Passat. Dieser ist es nun, welcher uns bei der Heizungsfrage am meisten interessirt. Denn er führt uns und anderen nördlichen Gegenden nicht nur warme Luft zu, sondern auch Feuchtigkeit, welche darin als klarer Dampf (Wassergas) gelöst, bei uns sich als Wolken, Nebel, Regen, Schnee etc. niederschlägt. Bei solchen Niederschlägen aber wird allemal eine bedeutende Wärmemenge frei, welche vorher gebunden war, um das aufgelöste Wasser in Gasform zu erhalten. Und wenn uns der Regen oft noch so schauerlich vorkommt: immer hat sein Niederschlagen doch eine Portion Wärme frei gemacht, welche unseren Gegenden zu Gute kommt. So ist es begreiflich, daß an allen Erdtheilen (Continenten) die westlichen Küsten und deren Nachbarschaft wärmer, feuchter und fruchtbarer sind als die östlichen. Und darunter zeichnet sich abermals Europa aus, wo in der Regel die Tage mit westlichen Winden, also mit Aequatorialströmung der Luft, zahlreicher sind, als die anderen drei Windgattungen zusammengenommen. Diese Quelle der natürlichen Heizung wird Europa wohl nie verlieren, so lange es Luft und Wasser auf der Erde geben und der Erdball sich von West nach Ost drehen wird.

2. Die nordafrikanische Wüste, die Sahara, stellt ziemlich zu allen Jahreszeiten, besonders aber in der Sommerhälfte des Jahres, einen von Sonnenstrahlen erhitzten, selten von Wolken oder Regen ein wenig abgekühlten Flächenraum dar, welcher der ostwestlichen Länge von Europa fast gleich kommt und mit ihr parallel läuft. Man hat dieselbe mit einem glühendheißen Ofen verglichen, welcher Europa von Süden her heize. Wenn dies auch nicht wörtlich zu nehmen ist, so ist doch nicht zu leugnen, daß diese enorme heiße Fläche manchmal trockenheiße Luftströme nach Europa herübersendet, welche als Landscirocco in Italien, als trockne Föhnwinde in der Schweiz wohlbekannt sind. Auch saugt diese heiße Fläche, um die über ihr aufsteigende, durch Hitze verdünnte Luft – nach dem oben erwähnten Beispiel unserer Oefen – zu ersetzen, fortwährend kühle Luft aus Europa an sich, welche dann, besonders in den Frühlingsmonaten, mit Heftigkeit über das mittelländische Meer hinüber strömt; ein Luftstrom, der besonders in Südfrankreich unter dem Namen Mistral als heftiger und kalter nördlicher Wind wohl bekannt ist. Dadurch aber müssen in der das gemäßigte Europa umgebenden Lufthülle immer Lücken entstehen, in welche der warme obere Passat (Aequatorialstrom) hinabstürzt und dem Erdboden seine befruchtende feuchte Wärme mittheilen kann. Es ist daher ein auch von Dove in seiner neuesten Schrift über Eiszeit, Föhn und Scirocco anerkannter Satz der Witterungskunde, daß da, wo die tropische Zone ein Festland ist, die darüber, nach dem Pole zu, liegende gemäßigte und kalte Zone eine erhöhte Temperatur erhält. Wenn man den Satz umkehrend, sich fragt: wie würde es in Europa aussehen, wenn statt der Wüste Sahara die Stelle Nordafrikas mit Wasser bedeckt wäre? so wird man finden, daß alsdann das Klima Europas bei weitem kühler sein würde, als jetzt.

Nun haben die Geognosten schon lange vermuthet, daß in der That in einer zwar vorgeschichtlichen, aber geologisch noch ziemlich neuen Zeit – etwa vor hunderttausend Jährchen – an der Stelle von Nordafrika wirklich ein großes Meer gelegen hat. Eine vor wenig Jahren von den schweizerischen Naturforschern Escher von der Linth und Desor im Gefolge des von seiner Regierung dazu beauftragten französischen Naturforschers Martins unternommene Reise nach dem Süden von Algerien hat unwiderleglich dargethan, daß dort die Wüste aus einem trocken gelegten, wenig über das jetzige Mittelmeerniveau gehobenen, alten, salzdurchtränkten Seeboden besteht, in welchem sich die Schalen von solchen Muscheln eingebettet finden, welche sich noch jetzt an den brackigsalzigen Küsten des Mittelmeeres lebend vorfinden. Darauf fußend, haben die genannten Herren, zuerst Escher von der Linth, die Ansicht aufgestellt, daß zu derjenigen Zeit, wo Nordafrika von Meeresfluthen bedeckt war, die Wärme in den Alpen so gering gewesen sei, daß sich jene mächtigen Gletschermassen bilden konnten, welche fast das ganze Schweizerland bergehoch überdeckten und ihre Endigungen (Moränen und Wanderblöcke) bis Solothurn, Neufchatel, ja bis Würtemberg, hoch über den Genfer- und Bodensee hinweg erstreckten: – die sogenannte Eiszeit. Wenn nun auch dieser Hypothese unser Altmeister der Meteorologie, Dove, in oben genannter Schrift entgegengetreten ist und namentlich die Ansicht, daß der schneeschmelzende Föhn der Schweizergebirge, der Schneefresser, wie man ihn dort nennt, aus Afrika abstamme, widerlegt hat, so bleibt doch für unser heutiges Thema unbestreitbar fest stehen, daß Europa einen Antheil seines günstigen, wärmeren Klimas dieser Nachbarschaft der nordafrikanischen Wüste zu verdanken hat. Dies würde aufhören, wenn wieder Wasser über jene Fläche verbreitet wäre.

3. Der Golfstrom, unsere dritte Wärmevermehrungsursache, kommt den Europäern fast ungerechterweise zu Gute. Er besteht aus den warmen Fluthen, welche die tropische Sonnenhitze täglich in den Aequatorialgegenden des atlantischen Oceans erzeugt und welche – abermals deshalb, weil die festen Erdgebilde sich rascher als die flüssigen drehen – in der Richtung von Ost nach West um den Erdball herumfließen würden, wenn sich nicht Amerika wie ein langer Damm dem entgegenstellte. Dadurch aufgefangen, werden sie zum größten Theil in den mexicanischen Meerbusen hineingelenkt, drehen sich in diesem immer mehr erwärmt herum und pressen sich endlich, als hoch aufgebäumte Warmwasserfluth (bis zu 24° R. erwärmt), zwischen Florida und den Bahamainseln hindurch, um nach Nordosten hinzuströmen, woraus sie dann theils dem Polarmeer zwischen Spitzbergen und Norwegen, theils den verschiedenen westlichen Küsten Europa’s, besonders Irland, Scandinavien, Frankreich, dem Canal und der Nordsee, ihre durch den langen Lauf noch keineswegs ganz abgekühlten Fluthen als Wärmespender zusenden. Sie sind es vorzugsweise, welche den Winter im westlichen Europa so mildern, daß dasselbe zur Culturstätte werden konnte. Je weiter man nach Osten in Europa kommt, desto empfindlichere Winterkälte findet man, mit heftiger Sommerhitze abwechselnd: das sogenannte continentale Klima.

Dieser erwärmende Golfstrom hat aber keineswegs von jeher Europa bespült. Es gab eine Zeit, wo er zwischen Nord- und Südamerika, zwei damals noch getrennten Welttheilen, hindurch in den pacifischen Ocean (die sogenannte Südsee) abfloß. Der berühmte deutsche Reisende Moritz Wagner hat gefunden und der nach ihm dahin gereiste Prof. von Seebach hat bestätigt, daß die Stelle, wo dies geschah, die jetzige Landenge von Panama, ein erst seit verhältnißmäßig jungen Zeitperioden durch vulcanische Ausbrüche emporgehobener Meeresboden ist, dessen Schichten noch dieselben Thier- und Pflanzenreste enthalten, welche im heutigen Meeresgrund an denselben Küsten gefunden werden; daß die Gebirgsketten (Cordilleren) von Süd- und von Nordamerika ehemals jede für sich bestanden haben und im jetzigen Centralamerika durch eine Meerenge von einander geschieden wurden. Damals konnte also der Golfstrom nicht von Amerika nach Europa zurückgeworfen werden, sondern er strömte in die Südsee hinüber. Damals floß längs der europäischen Küsten kaltes Polarwasser dem Süden zu. Kein Wunder, daß damals Scandinavien und Schottland total vergletscherten (wovon die Spuren noch allenthalben an ihren Felsen zu finden sind) und damit einer Eiszeit anheimfielen, wo an ihren Küsten Organismen lebten, welche man jetzt nur noch in Spitzbergen lebend findet, wie die neueste schwedische Naturforscher-Expedition nach Spitzbergen gefunden hat. Kein Wunder, daß damals in Frankreich und bis nach Würtemberg hinein ein kümmerliches, den Lappländern ähnliches Volk zusammen mit Rennthieren lebte. (Karl Vogt’s Küstenlappen, Gartenlaube 1864, S. 638 ff.)

Nun ist gewiß von hohem culturgeschichtlichem Interesse die Frage: Werden wir auf diese Heizungsquelle, den Golfstrom, immerdar für Europa rechnen können? Diese Frage muß aber, vorliegenden Umständen nach, leider verneint werden. Es wird, meinen wir, eine Zeit kommen, wo der Golfstrom einen großen Theil der europäischen Küsten nicht mehr bespülen kann, weil er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_731.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)