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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nach und nach von denselben abgelenkt wird. Um dies zu erläutern, erlauben wir uns eine kleine Abschweifung.

Alle wärmeren Meere sind von zahlreichen Thieren aus verschiedenen Thierclassen bevölkert, welchen das Geschäft obliegt, die im Meerwasser aufgelösten Kalksalze zu verarbeiten und in Form fester Gesteine abzulegen, erst Riffe, Sandbänke, endlich aber hohe Felsen, wie die Muschelkalkfelsen unserer Alpen und die Kreidefelsen der Insel Rügen bildend. Zu diesen Felsenfabrikanten des Meeres gehören die Korallen, die Muschelthiere, vor Allem aber eine Unzahl mikroskopischer Geschöpfchen, welche um ihren nackten, schleimig-weichen Leib eine siebartig durchlöcherte Kalkschale bilden und daher den Namen Foraminiferen erhalten haben. Letztere sind es, welche im Laufe der Jahrtausende die hohen Kreidefelsen von Rügen (Stubbenkammer), Moen, Altengland und der Normandie u. a. m. fast ganz allein aufgebaut haben. Das Mikroskop zeigt, daß die Kreide fast nur aus ihren hinterlassenen Kalkschalen besteht. Alle diese Geschöpfe gedeihen am Besten da, wo das Meerwasser warm, daher an Kalksalzen reicher, und wo es in lebhafter Bewegung ist. Wie rasch ihre inseln- und riffebildende Thätigkeit vor sich geht, lehrt ein Beispiel, welches officiell beglaubigt ist.

Die sogenannte Torres-Straße, eine den warmen Strömungen des pacifischen Oceans ausgesetzte Meerenge zwischen Neuholland, der Australia der Engländer, und Neuguinea, enthielt bei ihrer Entdeckung im Jahre 1606 nur sechsundzwanzig kleine Koralleninseln und war fast überall für Schiffe durchfahrbar. Jetzt enthält diese Straße einhundert und sechszig solche Inseln, ist nur noch auf wenigen Stellen für Schiffe passirbar, und die britische Admiralität hat 1858 bekannt gemacht, daß diese Straße binnen zwanzig Jahren (also 1878) gar nicht mehr werde durchfahren werden können.

Ganz die gleichen Verhältnisse bietet die weit nach Süden hinab in den mexicanischen Meerbusen hineinragende Halbinsel von Florida dar. Auch sie ist ein Erzeugniß jener Kalkfelsfabrikanten, der Korallenthierchen, Muscheln und Foraminiferen. Sie setzt sich fort in einem langen Streifen von Koralleninseln und Riffen, den Florida-Riffen, Tortugas- und Bahama-Inseln, zwischen welchen sich, wie gesagt, der Golfstrom hindurch zwängt. Je heftiger er fließt, je wärmer er ist, desto fleißiger arbeiten jene Thierchen. Ein Stück Insel nach dem andern setzt sich an. Die Halbinsel Florida wird und muß sich immer mehr verlängern und eine immer länger werdende Barre, einen Damm gegen den Golfstrom bilden. Wie wird dies auf Europas Wärmeverhältnisse zurückwirken?

Zu Beantwortung letzterer Frage haben wir, wie uns scheint, ein handgreifliches Beispiel an der Geschichte von Grönland vor Augen. Als dieses Land vor achthundertundachtzig Jahren entdeckt wurde, zeigten seine Süd- und Ostküsten so schöne grünende Gründe und Thäler, daß es davon seinen Namen empfing und zu lebhafter Colonisirung anlockte. Noch vierhundertundzwanzig Jahre später zählte die Ostküste einhundertundneunzig Höfe und Dörfer. Jetzt ist dieselbe gänzlich vereist; die ehemaligen Wiesen und Höfe liegen unter Gletschern begraben, die Meerbusen sind durch Eis gesperrt. Auch die Süd- und Südwestküste werden immer rauher, immer unbewohnbarer. Woher diese Veränderung des Klimas? Wir können keine andere Erklärung finden, als daß dazumal der Golfstrom noch so weit nördlich reichte, um die Ostküste Grönlands eisfrei und ihre Buchten (Fjords) grünend zu erhalten. Was kann ihn abgelenkt haben, wenn nicht die Verlängerung der Festlandbildung an der Spitze von Florida? Und wenn diese im Laufe der Jahrhunderte noch mehr zunimmt, wenn immer mehr Riffe und Inselchen im Bahama-Canal durch die Arbeit der Korallen- und anderer Kalkthierchen zusammengeschweißt werden, so steht allerdings zu befürchten, daß jener erwärmende Strom nach und nach für Irland, für den Norden Scandinaviens, für die Shetlandsinseln und für Nordschottland verloren gehen wird. Dann werden sich daselbst die Eismassen vermehren und von der Sommersonne nicht in gleichem Maße wieder abgeschmolzen werden können. Die Gletscher werden die Fjorde (Meerbusen) Norwegens ausfüllen und ihre Eisblöcke in das Meer absetzen. Eisigkalte Fluthen werden von da südwärts nach den Küsten des mittleren Europas herabkommen, werden unsere Sommer verschlechtern und unsere Winter verlängern. Die mittlere Jahreswärme wird in Europa geringer sein und damit (nach Decandolle) die Cultivirbarkeit mancher edleren und nutzbaren Gewächse beschränkt werden. Unsere Cultur wird rückwärts gehen.

Wer weiß übrigens, ob es alsdann noch schade darum sein wird! Denn wenn es so fortgeht, daß die culturtragenden Staaten Europas sich immer mehr in Militärstaaten umwandeln, den arbeitstüchtigsten und heirathsfähigsten Theil der männlichen Bevölkerung ausheben und durch Kriegführung verbrauchen, so wird früher, als der Golfstrom wegbleibt, in Europa eine Verödung, Entvölkerung und Verwilderung eintreten, eine sittliche und staatliche Eiszeit, wie sie überall da zu finden ist, wo Soldatenvölker Jahrhunderte lang geherrscht haben.




Die permanente Weltausstellung des neuen Italien.


Wenn nicht binnen jetzt und zwei Monaten, wenn der Herbstregen die festesten Wege und Straßen grundlos macht, die Zeitungen über Unglücksfälle und Einstürze auf der neuen Brennerbahn Bericht erstatten, so will ich gern ein falscher Prophet heißen. In der Nacht sieht allerdings die Brennerbahn, an welcher noch zahllose Arbeiter bei Fackel- und Feuerbeleuchtung ununterbrochen arbeiten, mehr pittoresk als beunruhigend aus. Die in Innsbruck eben erschienenen photographischen Ansichten dieses merkwürdigen Baues und seiner Umgebung lassen das Gefühl der Sicherheit jedoch eben so wenig aufkommen, als dies bis jetzt noch in den Gemüthern der Directoren eingezogen sein muß, da die Fahrten nur im langsamsten Tempo und selbst mit zeitweiliger Unterbrechung vor sich gehen. Wenn die Herbstregen die unfertigen Dämme und Schienenwege unterwaschen haben, so dürfte die Gefahr wesentlich erhöht werden. Warum wartet man nicht, ehe man ein so kolossal großartiges Werk dem Publicum übergiebt, bis dasselbe vollständig fertig ist? Wenn dies der Fall sein wird, so dürfte es kaum einen Weg geben, der an so großartigen, wild romantischen Naturschönheiten vorüber führt. Riesige Gletscher und tiefe Abgründe, in denen die reißendsten Gebirgswasser schäumen, das prachtvolle Etschthal mit seiner wundervollen Umgebung, die bezaubernd liegenden Städte Trient, Bozen, Brixen fliegen an uns vorüber, ein Panorama so reich und abwechselnd, wie es nur allein die Apenninenbahn von Bologna nach Florenz, freilich in noch weit größerem Maßstabe, bietet.

Der alte Zug nach Italien wird die Nordländer in Schaaren über die Brennerbahn führen; daß aber das neue Bauwunder, von dem wir unsern Lesern eine getreue Abbildung mittheilen, die Zahl derer, welche sich mit dem Besuche Oberitaliens begnügen, bedeutend vermehren wird, ist keine Frage.

Die angenehmste Stadt Oberitaliens bleibt für den Fremden immer Mailand. Selbst die Residenz- und Kunststadt Florenz bietet nicht die Fülle von Genüssen und Annehmlichkeiten der lombardischen Hauptstadt. Die Scala, das schönste und großartigste Theater Europas, ist zwar, zum großen Mißvergnügen der Einwohner und zur Verzweiflung der sechshundert Familien, die von diesem Institut leben, dieses Jahr geschlossen, da die Kammern für dasselbe, sowie für die übrigen Hauptbühnen Italiens in Neapel und Florenz, die bisherigen Zuschüsse verweigert hatten, ohne welche die Erhaltung dieser Bühnen unmöglich ist. Gleichsam als Entschädigung für diese Entbehrung wurde am 17. September dieses Jahres die Victor-Emanuel-Galerie eröffnet, ein Bauwunder, welches in Europa nicht seines Gleichen hat. Was die reichste Phantasie, die vollendetste Ausführung und die großartigsten Mittel dazu, im Verein mit allen schönen Künsten der Bau-, Bildhauer- und Malerkunst, der Mechanik und Erzgießerei zu leisten im Stande sind, das bietet sich hier dem staunenden Auge des Bewunderers dar. Es ist daher begreiflich, daß seit der Eröffnung eine unzählige Menge in diesen Prachträumen sich drängt und wogt. Und doch ist das, was dem Publicum bis jetzt geboten wurde, nur ein Theil des Projectes, welches in seiner Vollendung den merkwürdigsten Bauten der ruhmvollsten Vergangenheit Italiens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_732.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)