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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 47.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Nachdem Susi in die Kammer gegangen war, wandte die alte Oedhoferin beklommen das Antlitz in die Richtung, wo sie des Aichbauers hin und wieder wandelnden Schritt vernahm, als könne sie ihn sehen und in seiner Miene Beruhigung finden vor der Sorge, die sich plötzlich wie mit Krallen an ihr Herz klammerte …

Ein wilder durchdringender Schrei ertönte aus der Kammer – dann kam Susi wieder heraus gestürzt, zitternd, bleich, ohne Haube, mit losgegangenem, wild herabfallendem Haar … „Jesus Maria,“ keuchte sie, dem Umsinken nahe, „das Bett’l ist leer und kalt … wo ist das Mariele? Was ist’s mit dem Kind?“

„Was wird es sein!“ entgegnete Sixt mit erzwungener Kaltblütigkeit; der Schmerz der Schwester war so unverkennbar groß, daß er sich abwenden mußte, um nicht erschüttert zu werden. „Es ist gut aufgehoben, Du brauchst keine Sorge zu haben wegen des Kinds …“

„Sei nit so wild, Susi, und so außer Dir,“ rief die Base milder, „es ist nichts – komm’ her zu mir und laß Dir sagen …“

„Nichts, nichts laß ich mir sagen …“ rief Susi mit bebenden Gliedern und rollenden Augen … „nichts, eh’ ich nicht weiß, was es mit dem Kinde ist … Redet, Bas’, habt Barmherzigkeit mit mir – sagt’s und stoßt mir nur gleich das Messer in’s Herz … dem Kind ist ein Unglück gescheh’n – es ist todt …“

„Was für ein unvernünftiges, überspanntes Betragen!“ rief Sixt unwillig. „Hast Du das übertriebene Wesen in der Stadt gelernt, so wollt’ ich, Du wärst nie hineingekommen! Das Kind lebt und ist frisch und gesund, aber es ist fort …“

„Fort? Aus dem Haus’?“ rief Susi, indem sie wie erleichtert aufathmete und doch wieder von einer neuen Bergeslast bedrückt. „Bas’l, was soll das heißen? … Habt Ihr das Kind nit auf- und angenommen, wie Euer eigenes? Wie kann’s fort sein aus dem Haus, wo es hingehört?“

„Ich hab’s angenommen,“ sagte die Bäuerin, „und ich bin meinem Wort noch nie umgestanden … aber im Oedhof hab’ ich’s nimmer behalten können … Es ist einmal zu viel Gered’ wegen dem Kind in der ganzen Gegend, man kann’s nit mehr länger ruhig mit anseh’n …“

„Das Amt, die Gerichte sind neuerdings hinter der Sache her,“ sagte Sixt bestätigend, „sie wollen durchaus dahinter kommen, wer das Kind gelegt hat und wem es angehört …“

„Das Gered’!“ murmelte Susi und preßte beide Hände vor die Stirn. „Ja, ja, was thut man nicht Alles, um dem Gerede der Leute auszukommen … man will sich nicht mit Nadeln stechen lassen und rennt sich lieber selbst den Dolch in die Brust! Aber das kümmert mich Alles nicht … soll das arme Kind leiden müssen unter dem boshaften Gered’? …“ fuhr sie wieder in der vorigen Leidenschaftlichkeit auf. „Ich will wissen, wo das Kind ist! Ich will hin zu ihm, ich will bei ihm bleiben … wo habt Ihr das Kind hingebracht?“

„Das geht Dich nichts an,“ entgegnete Sixt strenge, „Du wirst Vernunft annehmen und Dich beruhigen, oder ich, als Dein Bruder, ich werd’ dafür sorgen, daß Du durch Deine überspannte Thorheit nicht wieder verdirbst, was ich gut gemacht habe … Das Kind bleibt, wo es ist, und Du giebst Dich damit zufrieden, wenn ich Dir sage, daß es in den besten Händen ist, und wirst ruhig sein! …“

„Nein, nein, ich werde es nicht sein,“ rief Susi in immer wachsender Erregung, „ich kann es nicht! Ich muß das Kind um mich haben, muß es warten und pflegen … O, es ist so an mich gewöhnt, es wird sich zu Tode weinen, wenn es mich nicht sieht. … Wo ist das Kind, Sixt … ich habe es so unendlich lieb – ich kann nicht leben ohne das Kind …“

„Du wirst es lernen müssen …“

„Niemals, niemals! Glaube nicht, daß das Uebertreibung ist, was ich sage … es ist mir an’s Herz gewachsen … reiß es nicht hinweg, wenn ich nicht verbluten soll! Sag’ mir, wo das Mariele ist! Gieb es mir wieder! Wenn Du wirklich mein Bruder bist, so zeig’s und habe Barmherzigkeit mit mir … Gieb mir das Mariele wieder, ich muß sterben ohne das Kind …“

Sie hatte des Bauern Hand gefaßt und wollte vor ihm in die Kniee sinken; er riß sich zürnend los und rief: „Thorheit – man stirbt nit so leicht … auf das hin will ich’s wagen …“

„Also ist keine Gnade?“ rief sie wild. „Nun, wenn Bitten nichts hilft, dann will ich anfangen zu fordern … Wo ist das Kind, Sixt? Sag’ es mir – gieb es mir zurück! Du darfst es mir nicht verweigern … es ist – mein Kind, ich bin seine Mutter!“

„Dein Kind …“ schrie der Bauer auf und stand wie versteint.

„… Susi,“ stammelte die Base; sie stand hoch aufrecht vor ihrem Stuhle, wie emporgeschnellt von unsichtbarer Gewalt.

Susi lag auf den Knieen; mit dem entscheidenden Worte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_737.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)