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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

noch eine viel größere Schand‘ … Darauf hat er erzählt, daß seine eigene Schwester, die Susi, ihm einbestanden hat, daß ein fremder Herr drinnen in der Stadt sie verführt hat, daß sie die Mutter ist von dem Kind und weil sie das Herz nit gehabt hat, sich dazu zu bekennen, und hat doch nit leben können ohne das Kind, hat sich die Franzi um sie angenommen, hat es heimlich aus der Stadt geholt und auf den Oedhof ’tragen. …“

„Also hat sich die Mutter das eigene Kind als ein fremdes vor die Thür legen lassen!“ rief der Finkenzeller verwundert. „Was man nit Alles erlebt auf der Welt, wenn man alt wird! Und die Susi ist die Mutter davon. … Schau, schau, wie sich das Alles zusammenreimt … darum hat sie immer ausgeschaut wie das böse Gewissen und wie die theure Zeit miteinander! Aber die Franzi, das ist auch ein richtiges und ein kreuzbraves Leut … wie ihr das nur so eingefallen ist! Und was sie Alles hat ausstehen müssen deswegen! Und sie hat’s ausgestanden und hätt’ nur den Mund aufmachen und nur einzigs Wörtl’ sagen dürfen! Ich könnt’ gleich noch einmal juchezen vor Vergnügen, daß es doch noch ein solches Leut giebt auf der Welt, – aber eine solche Perl’, die lass’ ich nit aus; gleich morgen in aller Fruh spann’ ich mein Schweizerwagl an und hol mir die Franzi und bring’s meiner Bäuerin heim, und wenn ich das ganze Landl auf und ab fahren müßt’ um sie …“

„Ja, wenn man wüßt’, wo sie wär’,“ entgegnete der Grubhofer bedenklich, „da wär’ Einer, der wär’ Dir schon zuvor ’kommen, denn der Aicher-Sixt hat keinen andern Gedanken, als wie er sie finden kann und kann das gut machen, was sie wegen seiner Schwester unschuldiger Weis’ ausgestanden hat! Aber das ist eben das Kreuz, daß sie nirgends zu finden ist, und wenn sie nit bald gefunden wird, weiß ich nit, was aus der Geschicht’ noch werden soll, – mir kommt’s vor, als thät er sich’s zu Gemüth ziehen und thät völlig vom Fleisch fallen. …“

„Wir wollen suchen helfen Alle miteinander! Aber wie ist’s mit dem gestrengen Herrn gewesen, mit dem Herrn Amtmann? Was hat der gesagt zu der Geschicht’?“

„Das kannst Dir denken!“ rief der Grubhofer lachend. „Der hat alle Farben gespielt vor Aerger, doch was hat er machen wollen! Er hat gezahnt wie der Holzfuchs, dem die Trauben zu hoch gehängt sind … aber er ist auf den Aichbauern zu’gangen und hat ihn auf die Achseln geklopft und hat gesagt: ‚Das ist schön von Ihnen, Herr Aicher, daß Sie Alles so frei und offen selbst erzählen … da sieht man, daß die alte Treue und Biederkeit doch in den Bergen wenigstens nicht ausgestorben ist‘ …“

„Und daß es nachher mit der Wahl kein Zureden mehr gebraucht hat, das kann ich mir einbilden!“

„Versteht sich; der Gemeindevorsteher ist fertig gewesen, eh’ man eine Hand umgedreht hat, und wenn noch fünfzig Stimmzettel da gewesen wären, es wär’ auf keinem was Anderes gestanden, als der Aicher von Aich!“

„Darum ist Alles schon so früh auseinander! Aber der Herr Amtmann, ist der auch so geschwind fort?“

„Noch bälder als die Bauern, die sich doch erst haben ein Bissel ausschwatzen müssen! Er hat nicht einmal das End’ abgewartet und hat dem Schreiber gesagt, er soll nur das Protokoll fertig machen und damit nachkommen, und dazu hat er eine gute Ausred’ gehabt – ein Expresser ist gekommen vom Amt, der hat ihm wichtige Neuigkeiten gebracht. … Der Nußbichler Alisi, der Haderlumper, den sie alleweil noch eingesperrt haben, weil er ihnen hätt’ verrathen sollen, wie’s beim letzten Haberfeld zugegangen ist und wer Habermeister ist, der hat das Gitter von seiner Keuchen ausgebrochen und ist davon …“

„Ist ihm auch nit zu gut, dem armen Kerl! Sie sollten ihn einmal in Ruh’ lassen … er soll ja ganz übergeschnappt sein, seit er in Arrest sitzt …“

„Das ist’s nit allein gewesen; die zweite Neuigkeit, die war noch viel wichtiger. … Weißt ja, Finkenzeller, es hat alleweil schon geheißen, die Regierung drinnen in der Stadt wär’ nicht zufrieden mit dem gestreng’ Herrn wegen dem Bericht über den Waldproceß und wegen dem Haberfeld und wegen allerhand, und es sollt ein Commissari geschickt werden, der Alles an Ort und Stell’ untersuchen sollt’ und verhören …“

„Hab’ auch schon davon ’was läuten hören!“

„Na also … der Nußbichler ist aus’kommen und der Commissari ist an’kommen, das ist die zweite Neuigkeit gewesen …“

„Und die ’langt just mit auf den Weg,“ sagte der Finkenzeller und leerte seinen Krug, „drum wollen wir machen, daß wir auch weiter kommen … Ich will mich auf die Füß’ machen, damit ich die Westerbrunner noch beieinander treff’ und meine Neuigkeiten gleich auspacken kann … es ist schon völlig finster draußen und wenn der Schnee nit leuchten thät’, müßt man den Weg mit den Händen greifen …“

„Es ist so gefährlich nit,“ sagte der Grubhofer, indem er sich ebenfalls erhob und die angelaufene Fensterscheibe abwischte, um in die Nacht hinaus sehen zu können, „es wird bald licht werden, wenn der Mond herauf kommt …“

„Der Mond?“ lachte der Finkenzeller. „Wenn wir auf den warten wollten, könnt’s ein Bissel spat werden … der kommt nit vor Mitternacht …“

„Warum nit gar!“ rief der Grubhofer wieder. „Da drüben zwischen den Häusern über’n Waldspitz hin kommt es schon ganz licht herauf …“

„Wahrhaftig,“ sagte der Andere, hinzutretend, „aber das ist kein Mondschein, Grubhofer … dafür ist’s viel zu breit auseinander und zu unruhig …“

„Hast Recht, Finkenzeller,“ rief der Grubhofer hastig, „das ist Feuer … da brennt’s! Aber wo kann das sein? Ich mein’, das wär’ in der Richtung gegen Miesbach hin …“

„Und ich mein’, wir machen, daß wir fortkommen,“ sagte der Finkenzeller, „wir geh’n dem Schein nach, da werden wir schon seh’n, wo das Feuer ist, und können ein Bissel löschen helfen … Meinst nit auch, alter Rebeller?“

Sie gingen eilig; draußen im Dorfe wurde es laut, man vernahm Stimmen und das Anschlagen an den Glocken, das zum üblichen Feuerzeichen dient. Schauerlich tönten die hallenden Schläge durch die Nacht; die nickende Wirthin fuhr wieder aus ihrem Schlummer empor, rannte zum Fenster und beschaute den immer heller und breiter über dem schwarzen Tannenwalde auflodernden und die Schneeflächen weithin beleuchtenden Feuerschein. „Ein hartes Unglück,“ murmelte sie, sich Stirn und Brust bekreuzend, „bei der Kälten doppelt hart, wer’s auch ist, den es trifft!“ Dann trat sie zu dem Wandschränkchen, in welchem die Krüge und Gläser aufbewahrt waren, und holte einen zierlich gewundenen rothen Wachsstock hervor; sie zündete ihn an und stellte ihn auf den kleinen Hausaltar vor das geschnitzte Bild eines Heiligen, der in römischer Kriegertracht, eine rothe Fahne in der einen Hand, mit der andern einen Kübel Wasser über ein zu seinen Füßen stehendes Haus ausgoß, aus dessen Fenstern die geschnitzten und bemalten Flammen schauerlich emporschlugen. Dann nahm sie gegenüber ruhig Platz und betete zu Sanct Florianus, daß er ihr Haus und Gehöfte vor gleicher Heimsuchung bewahren möge.

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 25. Eine Wolfs-Geschichte.
Von Guido Hammer.


„Ein schneeiger Decembertag,“ erzählte mir ein nun längst heimgegangener alter Förster, den ich auf meinen Jagdausflügen in Oberschlesien an der galizischen Grenze kennen gelernt hatte, nachdem wir zusammen von einer Pürschfahrt heimgekehrt waren und nun in seinem hirschgeweihgeschmückten, traulich warmen Stübchen hinter einer Schüssel mit dampfenden Kartoffeln, unserem frugalen Abendbrode, behaglich saßen und es uns schmecken ließen, „ein schneeiger Decembertag hatte mich mit meinem Burschen hinausgeführt, um ein paar Stücken Rothwild abzuschießen, welche unsere gütige Herrschaft zum Schmause einer Bauernfestlichkeit, die im Dorfe bevorstand, verwilligt hatte. Auf dem hintersten Revier angekommen, trennten wir uns an einem Kreuzwege, mit der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_740.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)