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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Entfernung, aber unmittelbar auf seinem Geleise gewahr werden lassen. Ohne noch heute zu wissen wie, hatte er sich in seiner Angst auf’s Pferd, das nun auch noch den anderen Strang zerrissen gehabt, geschwungen und dann entschlossen mit seinem Handbeile die Widerhalte, die einzige Befestigung, die das tobende Pferd noch an die Deichsel gefesselt, durchhauen. Wie toll war darauf das Thier dahin gerast, daß seinem Reiter schier Sehen und Hören vergangen war. Noch einmal hinter sich blickend, hatte er nur noch so viel gesehen, wie die heulende Rotte, einem Knäuel gleich, auf das todte Wildpret im Schlitten gestürzt war und es mit rasender Gier zu zerfleischen anfing; jedenfalls der glückliche Umstand, der ihm das Leben gerettet, denn unbelästigt war er auf dem schweißbedeckten, keuchenden Gaule bis vor meinen Hof gekommen, ohne auch nur von einer Bestie verfolgt worden zu sein. Natürlich, denn diesen erbärmlichen Schnapphähnen ist ein so bequem servirter Hirsch lieber, als ein flüchtiges Pferd mit seinem Reiter.

Am andern Morgen mit Tagesgrauen brachen wir, ich, meine Jäger und ein Häuflein Holzmacher, nach dem Schauplatze des Ueberfalles auf, zuvörderst die Verheerung, welche die fraßgierige Bande dort angerichtet hatte, mit eigenen Augen zu schauen, dann aber womöglich sofort Jagd auf das Raubgesindel zu machen. Himmel, wie sah es da aus! Der ganze Plan war zerwühlt und zerkratzt, der schmutzig gewordene Schnee mit Schweiß und Haaren der Beute und allerhand Unrath vermischt, und die Knochen lagen herum, wie ausgesä’t; ja selbst die nichtsnutzigen Gebeine eines Wolfes befanden sich darunter, welchem die schonungslose Rotte wahrscheinlich im Streite um die letzten Bissen den Garaus gegeben und den sie dann – wie das die gefräßigen Thiere thun – gleich mit aufgefressen haben mochten. Nachdem wir das verschleppte Geweih des Hirsches noch gefunden und in den dastehenden leeren Schlitten geworfen, diesen aber an den unserigen angehängt hatten, ließ ich den Knecht nach Hause fahren, und wir Jäger machten nun noch auf gut Glück ein paar verlorene und auch wirklich erfolglose Treiben auf die Wölfe, denn noch während wir auf dem Wahlplatze standen, fing es plötzlich an so stark zu schneien, daß in kürzester Zeit jede etwaige Fährte unsichtbar werden mußte, also von Abspüren, geschweige vom Bestätigen der struppigen Ueberläufer keine Rede mehr sein konnte. Und den ganzen Tag wie auch die darauf folgende halbe Nacht wirbelten die Schneeflocken fort, so daß am andern Morgen eine stattliche, freilich etwas tiefe Neue war. Nun ging’s wieder hinaus, und diesmal hatten wir denn vorerst wirklich die Freude, einen Theil der ungeladenen Strolche noch innerhalb unserer Grenze zu spüren. Bald waren sie auch eingekreist und jetzt gab’s eine lustige Jagd, wobei Einem doch wieder einmal das alte Herz im Leibe ein Bissel warm wurde, wenn man im Treiben den zottigen Gesellen so auf sich antraben sah. Fünf Stück davon wurden an diesem Tage unsere Beute, wovon zwei auf mich kamen, denen ich ihre zottigen Pelze gehörig mit Posten durchlöchert hatte. Andere sechs der räuberischen Sippschaft waren desselben Tages auf dem Nachbarwalde geschossen worden, der Rest aber davon, denn es waren nach glaubwürdigen Berichten im Ganzen noch weit mehr beisammen gewesen, mochte wahrscheinlich wieder über die Grenze marschirt sein, da es die nächste Zeit bei uns wieder vollkommen ruhig blieb.“

So lautet die Geschichte meines alten seligen Freundes, die ich aus seinem Munde nicht nur ein Mal, nein, wohl zehn Mal angehört habe, da er es in seiner Vergeßlichkeit mit dem Repetiren nicht eben genau nahm.




Der Panther des Südens.
Von G. v. Gößnitz.
(Schluß.)


Hinter der sehr schmutzigen und buntgescheckten Barfüßler-Leibgarde Seiner Excellenz, die mit aufgenommenem Gewehre vor der Eingangsthür aufmarschirt stand, sah ich die dunklen, ausdrucksvollen Augen Antonio’s mit gespanntem Blicke auf mich gerichtet. Ein leichtes, kaum merkliches Zucken seiner langen seidenen Augenwimpern war ein eben so verständliches Signal für mich, als ob er mir meinen vollen Namen durch ein Sprachrohr zugebrüllt hätte. Ich ging langsam und wie zufällig auf einem weiten Umwege auf ihn zu und fand bald Ursache genug, über das, was er mir zu sagen hatte, nachzudenken.

Schon in verflossener Nacht war durch einen Expreßboten eine wichtige Nachricht in’s Hauptquartier gelangt, von der wahrscheinlich ich allein noch nichts wußte. Drei französische Kriegsschiffe, sämmtlich mit Truppen an Bord, befanden sich bereits seit vorgestern vor Anker im Hafen von A..…. „Wenn wir nur wenigstens schon dort wären,“ fügte Antonio emphatisch hinzu, „so wäre noch Alles gut, aber hier ist es so gut wie gewiß, daß man uns –“ Er sagte nichts weiter, doch die Art und Weise, wie er mit dem Zeigefinger der rechten Hand über die Stelle fuhr, wo – seiner Meinung nach – die Halsarterie ihren Sitz hatte, war bezeichnend genug. Es fehlte ihm weder an Verschlagenheit noch an Muth; er hatte mich schon oft bei mancher früheren Expedition begleitet, und seine Anhänglichkeit an meine Person war nicht geringer, als die meinige für ihn; allein der Gedanke, den ‚Panther des Südens‘ in seiner eigenen Höhle zu besuchen, war niemals recht nach seinem Sinne.

Die Ankunft der Franzosen im obenerwähnten Hafen stand nicht gänzlich außer Beziehung zu meiner eigenen Sendung. Meiner Instruction gemäß hatte ich mich persönlich mit zwei höheren Officieren der Pantera del Sur in Einvernehmen zu setzen, welche Beide im Geheimen eine für hinlänglich erachtete Garantie ihrer Ergebenheit in die neue Ordnung der Dinge freiwillig dargeboten hatten. Durch sie sollte ich einige unentbehrliche Auskunft über die Stimmung verschiedener öffentlicher Beamter in La Costa Rica erhalten, welches letztere Paschalik sich niemals so recht mit dem patriarchalischen Gouvernement des Panthers versöhnt hatte. Die unzweideutigsten Symptome wachsender Unzufriedenheit Seitens der Bewohner dieses Departements mit dem scandalösen Despotismus der Sultanswirthschaft waren der Aufmerksamkeit der Regierung nicht entgangen, und man war in der Hauptstadt ziemlich allgemein der Meinung, daß die Landung einer entsprechenden Truppenmacht in jener Gegend unausbleiblich ein Pronunciamento zu Gunsten der kaiserlichen Regierung hervorrufen und auf diese Weise zu einem raschen und unblutigen Umsturz jener Satrapen-Herrschaft führen werde. Die also erlangte Auskunft hatte ich dem Obercommandanten des erwähnten Hafens persönlich zu überbringen.

Der erstere Theil meiner etwas delicaten Mission war zweifelsohne der gefährlichste. Ich kannte die Verschlagenheit und Treulosigkeit mexicanischer Vermittelung nur zu gut, um mir die mindeste Illusion darüber zu machen, daß in einem gegebenen Falle jene beiden Individuen, auf deren Mitwirkung ich angewiesen war, nicht ruhig, mit der Cigarette im Munde, zugeschaut haben würden, wenn man mir selbst vor ihren Augen den Hals abgeschnitten hätte, wie aufrichtig auch immer ihre vorgebliche Anhänglichkeit an die neue Ordnung der Dinge in Mexico sein mochte. Sie hätten freilich nur zu wohl gewußt, daß die mindeste Einmischung ihrerseits ihnen unfehlbar das nämliche Loos bereitet haben würde.

Die unerwartete Ankunft der alliirten Truppenmacht, von der ich alle Ursache hatte zu vermuthen, daß sie erst nach mehreren Wochen stattfinden würde, weit davon entfernt, der Lösung meiner Aufgabe günstig zu sein, erhöhte vielmehr die Gefahr, der ich mich aussetzte, durch die unvermeidliche Aufregung, welche dieselbe in diesem Theile des Landes hervorrufen mußte. Trotz alledem konnte ich mich des Lachens nicht enthalten, als ich Antonio’s langes Gesicht betrachtete, dem das Weinen offenbar näher stand. Ich versuchte vergeblich ihn aufzuheitern. Selbst die Aussicht auf den Fandango am Abend verfehlte ihre Wirkung. Der Gedanke, seine reinliche und zarte Sammethaut mit den gemalten und gescheckten Schönheiten der Providencia in Berührung zu bringen, erschien ihm nichts weniger als verlockend.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_743.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)