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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 49.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Die Nachricht von dem Verschwinden Susi’s hatte das lang gehegte, über neuen Ereignissen stets verschobene Vorhaben des Bruders rasch zum Entschlusse geführt und ihn auf den Weg zur Stadt gebracht. Er konnte nicht anders vermuthen, als daß die Schwester sich geraden Weges in das Waisenhaus begeben habe; in die Hauptstadt führten und wiesen auch immer mehr und bestimmtere Spuren jener Andern, die er mit blutendem Herzen suchte und vor deren Wiederfinden ihm doch zugleich bangte, wie dem Schuldbewußten vor der Ahnung richtender Vergeltung. Daß Franzi sich dahin begeben, war nach allen vom Lehrer geradezu und mittelbar eingeholten Erkundigungen außer Zweifel gestellt; keinerlei Anzeichen deutete darauf hin, daß sie München wieder verlassen hatte; wo sie sich aber befand, war schlechterdings nicht zu erkunden. In der ersten Zeit war sie noch von dem Einen oder Andern der Ortsbewohner und Nachbarn bei flüchtiger Begegnung erblickt worden, seit dem Allerseelentage wußte Niemand mehr von Franzi, und hier war es der Metzger, Meister Staudinger, welcher ein paar Miesbachern in die Hand gerathen war und ihnen, obschon sie Mühe gehabt, ihn wieder zu erkennen, mit dem alten Groll und der frühern Verbissenheit erzählte, er habe die nichtsnutzige Person auf dem Friedhofe gesehen, wo sie in zerrissenen Kleidern die Leute um ein Almosen angesprochen und Alles in einem schlechten Bündel mit sich getragen habe, ihr ganzes Vermögen und ihre ganze Schande. Als sie ihm dann zu erzählen versucht, wie er dem Mädel Unrecht thue und wie es nun ganz klar herausgekommen sei, daß sie unschuldig sei und welche Bewandtniß es habe mit dem gelegten Kinde und seiner Mutter: da hatte er sie kaum angehört und war mit widerlichem Gelächter und dem steten Rufen, das seien lauter Faseleien, denen er nicht glaube, so schnell hinweggeeilt, wie er es vermochte mit seinen schmerzenden Beinen und seinem Krückenstock …

„Seit Allerseelen ist eine schöne Zeit,“ sagte Sixt auf einmal halb vor sich hin, ohne Anlaß, als wäre er mitten in voller Unterredung gewesen und nicht stumm durch den abenddämmernden Wald gefahren; es war, wie wenn er sich selber laute Antwort gäbe in dem leisen Zwiegespräch seiner Seele … „Seitdem kann sie lang’ wieder fort und über alle Berge sein! …“

Der Lehrer war wohl verwundert, seinen schweigsamen Fuhrmann und Nachbar so auf einmal wie im Schlafe aufreden zu hören, er ließ es aber nicht merken, sondern begnügte sich, ihm einen leichten Seitenblick zu streifen und mit gutmüthigem Lächeln zu erwidern. „Das ist wohl möglich,“ sagte er, „aber nicht wahrscheinlich; die Franzi ist noch so gewiß in München, wie der alte Staudinger das gelogen hat, was er über das Betteln erzählt hat und über das zerrissene Gewand! Aber er soll uns schon beichten, der alte Fuchs … er soll schwer krank beim Schwanenwirth an der Isarbrück’ liegen, wo er von seiner Handelschaft her lang bekannt ist, und soll sehr schlecht daran sein … Das wird ihn wohl ein bischen mürber gemacht haben, und so denk’ ich wohl, daß wir ihn zum Reden bringen. Ich meine auch, in neuster Zeit auf eine Vermuthung gekommen zu sein, die ihm wohl die Zunge lösen wird …“

„Welch’ eine Vermuthung sollt’ das sein?“

„Wenn es Zeit ist, reden wir davon … jetzt wären wir ja schon an unserm Ziel, da sind bereits die ersten Häuser von der Au; wir könnten auch gleich beim Schwanenwirth zukehren, aber es ist besser, wenn uns Niemand zuvor sieht, damit dem Alten kein Gered’ vorher zukommen kann. Drum stellen wir beim Damenwirth ein; ist ja seiner Zeit das Quartier von den Edelfräulein und Hofdamen gewesen, wenn die kurfürstlichen Jagden in den Isar-Auen gehalten worden sind; da wird’s also wohl für uns Beide auch jetzt noch geben, was wir brauchen, und bis da Alles untergebracht ist, geh’ ich voraus zum Schwanenwirth und mach’ Alles in Ordnung …“

Der Vorschlag ward ohne Widerrede angenommen und ausgeführt.

Bald schritt Sixt dem Hause zu, an dessen Sattelgiebel der weiße Schwan, von grünem Kranze umgeben, als Schenkzeichen einladend über den Laternen hing; drüber hinan waren die Fensterreihen und das Walmdach dunkel, nur ein Fenster in der Ecke war verhangen und beleuchtet; es mochte die Stube sein, wo der Gesuchte lag.

Der Lehrer empfing Sixt bereits unter der Thür. „Wir sind schon an der rechten Schmiede,“ flüsterte er ihm zu, „ich habe mit der Wirthin schon geredet; sie nimmt keinen Anstand, daß sie uns als ein paar gute Bekannte aus dem Oberland zu dem Alten hinaufführt … übrigens soll er sehr elend sein und die meiste Zeit nichts von sich wissen; es ist eine Schwester von den Barmherzigen bei ihm, die ihn auswartet, denn den Dienstboten vom Haus ist es bei ihrer andern Arbeit zu viel geworden und zu schwer – wir wollen keinen Augenblick zögern, hinauf zu gehen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_769.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)