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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ich bin da,“ fuhr Susi fort, „weil ich in der höchsten Noth endlich gethan hab’, was ich längst, was ich gleich von Anfang hätt’ thun sollen … weil ich Alles einbestanden hab’ …“

„Susi …“ rief Franzi wie erschrocken und fuhr mit beiden Händen an Stirn und Augen, um sich zu vergewissern, daß sie recht gehört. „Du hättest … aber das ist ja nit möglich! Das kann ja nit sein … dann wär’ ich ja wieder rein von aller bösen Nachred’ und Schand’ …! Dann müßten ja die Leut’ wieder wissen, daß ich unschuldig bin…“

„Gewiß, alle Welt weiß es schon!“

„Alle Welt? Also ich bin nimmer an das Wort gebunden, das ich Dir gegeben hab’? Meine Zung’ ist wieder frei? Alle Welt weiß, daß ich unschuldig bin … also auch er?“

„Er? Wen meinst Du?“ fragte Susi verwundert.

„Sixt,“ entgegnete Franzi rasch, besann sich aber ebenso geschwind und setzte zögernd und niedergeschlagenen Blickes hinzu: „den Aichbauer mein’ ich … Deinen Bruder…“

„Gewiß weiß es auch er … er ist es ja gewesen, dem ich meine ganze Schuld einbekannt habe, nur um wieder zu meinem Kinde zu gelangen…“

Hastigen Athems erzählte sie das Geschehene; gierig lauschte Franzi und immer tiefer und röther begann es auf ihren Wangen zu brennen.

„So ist es gegangen,“ schloß Susi ihre Erzählung, „nun freue Dich, Franzi, freu’ Dich, so stark ein Mensch sich freuen kann, Du hast wohl Ursache dazu und Du kannst es, denn Du hast ein reines Herz und ein gutes Gewissen! … Ich will thun, was meine Schuldigkeit ist … ich will in dem Haus da, bei meinem armen Kindel bleiben, so lang es das Leben hat. Es ist schwer krank, sie trösten mich wohl und wollen mir guten Muth machen, aber ich weiß es besser, als der Doctor und alle die guten Schwestern miteinander … mein Kind muß sterben, denn ich bin’s nit würdig, eine Mutter zu sein; ich hab’s nit verdient, daß mir ein solches Glück zu Theil werden sollt’… Wenn’s die Engel abgeholt und zu sich genommen haben, das arme Würmchen, dann will ich Dich ablösen, Franzi, und statt Deiner den Schleier anlegen und das schwarze Gewand…“

Eine abwehrende Geberde Franzi’s zurückweisend, fuhr sie ruhig, aber entschieden fort: „Es ist schon so – Du aber, Du mußt in die Welt zurück, in unsere Heimath! Du mußt Dich zeigen vor den Menschen, die Dich schlecht gemacht haben, damit sie sich schämen müssen und den Hut abziehen vor Dir, vor dem bravsten Madel und vor der standhaftesten Freundin! Du mußt wieder auf den Aichhof …“

„Niemals … niemals!“ rief Franzi und entzog der Freundin die Hand, als hätte sie dieselbe bereits erfaßt, um sie auf den verhängnißvollen Hof zu geleiten. Verwundert faßte Susi wieder darnach und zog sie begütigend an sich. „Was ist Dir denn?“ sagte sie besorgt und zärtlich. „Du erschrickst ja und hast auf einmal die Augen voll Wasser? Du, die starke herzhafte Franzi … So hab’ ich Dich ja all’ mein Lebtag nit geseh’n!“

Beide waren heftig erregt; in ihrer Umarmung gewahrten sie nicht, daß die Thür aufging und Sixt mit dem Lehrer eintrat.

„Warum wolltest Du nit auf den Aichhof zurück?“ begann Susi wieder. „Du wirst wohl müssen … der Bruder sucht Dich ja schon Wochen lang überall – er wird nit ruhen, bis Du mit ihm gehst!“

„Müssen?“ entgegnete Franzi, sich etwas aus ihrer Erschütterung erhebend. „Ich mein’, die Franzi hätt’s bewiesen, daß sie nit muß, wenn sie nit will. … Dein Bruder weiß es auch, daß ich nit mit ihm gehen kann; ich hab’ es ihm selber gesagt – früher schon, noch bevor die ganze Verwirrung gekommen ist … wie er mir erzählt hat, daß er auf seinem großen Hof eine tüchtige Hauserin braucht und eine richtige Magd, und hat mich wollen dingen dazu …“

„Aber warum denn? … So sag’ mir doch wenigstens die Ursach’ …“

„So hat er mich auch gefragt – ich kann’s Dir so wenig sagen, wie ihm …“

„Das ist aber völlig unbegreiflich! Er möcht’ ja so gern gut machen, was er Dir Leids gethan hat. … Kannst ihm denn gar nit verzeih’n? Ist er Dir denn gar so verhaßt?“

„Verhaßt? Mir?“ rief Franzi unwillkürlich ausbrechend. „O, ich wollt’, Du hättest Recht – mir wär’ leichter um’s Herz …“

„Wie?“ erwiderte Susi, die Freundin umschlingend, welche das tief erglühende Antlitz an ihrem Herzen verbarg. „Er ist Dir nit verhaßt und doch …“

„Marter’ mich nicht, Susi,“ sagte Franzi, sich ermannend, „laß Dir’s genug sein, wenn ich Dir sag’, daß es nicht sein kann! – Wie’s mit mir geh’n wird, kann ich nit sagen … ich hab’ ja auch meinen Großvater wieder gefunden … das aber weiß ich gewiß, mein Brod wachst überall! Was hätt’ ich auf dem Aichhof zu suchen? Sollt’ ich zuschauen, wie’s dort doch einmal kommen muß … Nein, nein, wohin mich unser Herrgott auch noch führt – auf den Aichhof führt kein Weg mehr für mich …“

„Wenn ich aber doch noch einen Weg wüßte …“ sagte Sixt, der unbeachtet näher getreten und Franzi’s Hand erfaßte.

Sie sprang und schrie auf in Schrecken und Freude; sie wankte, aber sie hatte weder die Kraft zu sprechen, noch ihm ihre Hand zu entziehen.

„Es giebt noch einen Weg auf den Aichhof,“ fuhr er mit herzlich dringendem Tone fort, „nit für das Waisenkind, denn das besteht ja nicht mehr – nit für die Jugendcameradin und Spielgenossin, denn die hat sich von mir abgewendet – nit für die Hauserin und Magd, denn ich kann Dein Herr nit sein, da ich die Herrschaft Niemand Andern zu verdanken hab’, als Dir … aber für die Bäuerin giebt’s einen schönen, breiten, einen offenen Weg … Laß mir Deine Hand, Franzi! Laß mir s’ auf immer und geh’ mit mir auf den Aichhof als – mein Weib!“

„Sixt …“ rief Franzi mit auffunkelndem Entzücken in den Augen, aber im Augenblick besann sie sich und sagte, sich abwendend: „Du vergißt Dich! … Eine Kellnerin kann nit Bäuerin werden auf dem Aichhof!“

„Ja, Du hast Recht,“ rief er innig entgegen, „gieb mir sie nur zu kosten, all’ die Bitterkeit, die ich Dir eingeschenkt hab’ zum Ueberlaufen … ich will den Becher austrinken bis auf die Neig’ … dann aber sag’, daß Du mir verzeihst, – mach’ mir das Herz frei und das Gewissen leicht … sag’ Ja und komm’ mit mir auf den Aichhof!“

Sie schien noch unschlüssig zu schwanken, aber sie widerstrebte nicht, als er sie leise umfaßte und an sich zog, innig, mit unaussprechbarer Glückseligkeit tauchte ihr Aug’ in das seine. „Ist denn das möglich,“ sagte sie zärtlich, „Du bist es, Sixt, der so mit mir redt? Bin ich wirklich keine schlechte ehrvergessene Person mehr vor Deinen Augen? Du schmähst mich nicht mehr, Du schiltst mich nicht?“

„Wie könnt ich!“ rief Sixt beseligt. „Sieh, ich möchte Dir ja die Hand unter die Füße legen, damit kein Stein Dich stoßen sollt’! Was hast Du Alles gethan – Du hast Dich aufgeopfert für die Ehr’ und den guten Namen von uns und unsern Eltern, hast Unglück auf Dich genommen und Schimpf und Schande getragen; hast Dich ungerecht verurtheilen lassen und hast geschwiegen, wo es Dich nur ein einziges Wort gekostet hätte, die ganze Schuld und Schmach von Dir auf uns abzuwälzen! Du hast mir’s nit nachgetragen, was ich Dir angethan hab’ in meiner hochmüthigen Verblendung – Du hast mich sogar noch gerettet und hast mir erhalten, was mehr ist als das Leben und als der ganze Aichhof und Alles … laß mich nit ewig Deinen Schuldner bleiben, Franzi! Laß mich anfangen Dir zu danken und nimm’s an, wenn ich Dir Alles dafür geb’, mich selbst und Alles, was ich hab’ und bin!“

„Ich kann noch immer nit glauben, daß ich nit schlaf’,“ sagte Franzi, „ich sorg’, ich könnt aufwachen und all’ die Glückseligkeit wär’ nur ein Traum! Ist es denn wahr, Sixt – kannst mich wirklich gern haben?“

„Von Herzensgrund,“ erwiderte Sixt, „ich hab’ Dich immer gern gehabt – ich hab’s nur selber nit gewußt! Erst wie ich an Dir irr’ worden, wie ich gemeint hab’, ich muß Dich verloren geben – erst da hab’ ich’s gemerkt, weil ich den Gedanken an Dich nit hab’ los werden können! Und in der furchtbaren Nacht – Du weißt es wohl, welche ich mein’ … da ist es mir auf einmal hell aufgegangen, wie eine Brandfackel, und ich wär’ ein unglücklicher zernicht’ter Mensch gewesen, wenn ich Dich nit wieder gefunden hätt’, wenn Du mir nit verziehen hättest! Und hast Du’s denn auch ganz? Und kannst es vergessen und mich auch lieb haben? Und willst mir folgen in Deine und meine Heimath als mein Weib?“

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_772.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)