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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mit denen die Vorfahren der Papenburger die Eroberung des Moors begannen, zeigte die Schiffsliste der Stadt im Jahre 1860 schon 163 Fahrzeuge, zusammen mit 12,141 Lasten und 1123 Mann Besatzung, während damals die ganze hannoversche Weserflotte nur 37 Schiffe mit 4917 Lasten und 552 Mann Besatzung hatte. Wie viel Geld aber aus dem wüsten Moor Dietrich’s van Veelen herausgewachsen ist unter den rüstigen Händen seiner Colonisten, zeigt der Umstand, daß im Jahre 1853 die Gemeinde Papenburg dem Besitznachfolger van Veelen’s, Freiherrn von Landsberg, seine Gerechtsame an das Fehn für hunderttausend Thaler abkaufen konnte.

Der Moorrauch hat uns Mancherlei erzählt, uns in seinen Nebeln verschiedene Bilder gezeigt, uns einiges Wissenswerthe gelehrt aus Gegenden des Vaterlandes, die Vielen weniger bekannt sind als Hinterindien. Den Hannoveranern aber, die im Süden und Osten der Provinz wohnen, ruft er speciell zwei Lehren zu: Unterschätzt mir Muffrika nicht! und: Laßt mir die Moorbrenner ungeschmäht und unbehindert weiter brennen!

M. B.




Das „Donauweibchen“ in Prag.


„In meinem Schlößchen ist’s gar fein,
Komm’, lieber Ritter, nur herein!“
Donauweibchen.



Die Großmutter war es, die uns Kindern dies Lied zuweilen vorsang und in der Dämmerstunde so gern von den schönen Zauberopern Wenzel Müller’s erzählte, und wie man dabei bald hätte lachen müssen, daß die Thränen nur so über die Backen liefen, bald weinen und schluchzen, oder gar sich fürchten, daß die Haut schauderte.

Es hörte sich so köstlich zu, wenn sie so redete und sang, und eben der Regen an die Fenster schlug und der Wind heulte, oder die Schneeflocken draußen umherwirbelten und der Ofen einen lustigen Schein weit hinein in die dunkle Stube warf und wir nicht mehr wußten, was schöner, die Stimme der Erzählerin, die lustigen und traurigen Lieder Wenzel Müller’s, oder das mattbeleuchtete Gesicht der alten Frau, das aus dem weißen Rahmen des Häubchens und der Silbereinfassung des Haares wie ein Heiligenbild aus einer Nische auf uns niederschaute. Man sah und hörte sie Alle vorüberhuschen, schweben und schreiten, jene Nixen und Feen, jene guten und bösen Ritter, jene schönen Burgfrauen und jene Minnesänger mit ihren Harfen. Am liebsten ließen wir uns aber doch von der „Teufelsmühle am Wienerberg“ erzählen und dem grausigen Müller, der sein Weib nur so zum Spaß und Zeitvertreib umgebracht, von den tanzenden Mehlsäcken und dem Casperle, das auf einem Mülleresel zum allgemeinen Gaudium durch die Luft davongeritten.

Damals, als die Großmutter jung war, sang alle Welt die Lieder und Weisen Wenzel Müller’s, und Wolfgang Amadeus Mozart war in den Jahren von 1791–1812 nicht so populär in Deutschland, wie der Componist der „Schwestern von Prag“, des „Sonntagskindes“ und noch zahlloser anderer Singspiele. Die Kinder auf den Straßen Wiens kannten den Leopoldstädter Capellmeister und liefen ihm entgegen, reichten ihm die Hände oder brachten ihm Blumensträuße. Wollten sie ihm doch danken für jene lustigen Stücke, die sie so gern sahen und hörten. Und einzelne seiner Melodien kennt die ganze Welt noch heute und sie werden sich forterben von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Mund zu Mund, so weit die deutsche Zunge klingt, denn sie sind eben in’s deutsche Fleisch und Blut übergegangen – Volkslieder geworden, aber den Namen Dessen, der sie erfand oder festzuhalten verstand, wo sie ihm halblaut entgegenklangen und schwebten, den hat man längst vergessen.


Lichterglanz und ein Gewirr von reichgeschmückten Gestalten füllte die Säle im Palais des kunstliebenden Fürsten L. zu Prag, an einem Sommerabend zu Anfang dieses Jahrhunderts. Die Flügelthüren zu den prachtvollen, weit und breit berühmten Gärten waren geöffnet, alle Wege erleuchtet und in den Gebüschen hatte man einzelne Gruppen von Musikanten aufgestellt, die sanfte Melodieen spielten. Ein Duft von Rosen und Lindenblüthen strömte berauschend daher, Flüstern, Lachen und Plaudern, Suchen und Finden überall. Die Blüthe der Aristokratie der schönen Stadt an der Moldau war versammelt, die Träger der vornehmsten Namen, die elegantesten und bezauberndsten Frauen. Dazwischen tauchten auch einzelne Künstler und Musiker auf, gerngesehene und gewohnte Erscheinungen auf dem Parquet dieses Schlosses; unter ihnen bemerkte man den Componisten Reicha, die gefeierten Cellospieler Wenzel und Franz Styasny und einen jungen Clavierspieler, Componisten und angehenden Musikdirector, Carl Maria von Weber. In keinem Hause in ganz Prag hörte man so häufig gute Musik jeden Genres und in so vollkommener Ausführung, wie eben hier; der Fürst selber leistete als Violinspieler Bedeutendes, und seine Gemahlin, eine geborene Wienerin, an der Harfe zu sehen und heitere Lieder singen zu hören, war ein Genuß für Augen und Ohren zugleich. Heute gab man aber keine jener so beliebten und brillanten Soiréen, zu der sich die Freunde des L.’schen Hauses zu versammeln pflegten; dieser außergewöhnlich zahlreichen Gesellschaft harrte diesmal ein weit selteneres Vergnügen: man wollte Theater spielen, und zwar unter Mitwirkung der Fürstin selber, und hatte das „Donauweibchen“ Wenzel Müller’s in Scene gesetzt.

Mit eben dieser Aufführung hatte es eine eigenthümliche Bewandtniß. Seit einigen Monaten erst war es nämlich den unablässigen Bemühungen der schönsten Frau von Prag, der Fürstin L., gelungen, die Berufung ihres Landsmannes, des berühmten Leopoldstädter Capellmeisters Wenzel Müller, nicht nur zu veranlassen, sondern auch mit einer Energie ohne Gleichen durchzusetzen. Vergebens hatte der Fürst gewarnt vor den Folgen so gewaltsamer Umpflanzung eines alten Baumes, der auf Wiener Boden gewachsen, vergebens die Gebieterin seines Herzens an das brennende Heimweh jedes Wiener Kindes erinnert, ein Heimweh, das die schöne Frau selber durchgekämpft und das sich nur niederhalten ließ durch einen regelmäßigen Winterbesuch der Kaiserstadt – sie wollte nun einmal um jeden Preis den Componisten des bezaubernden Donauweibchens in ihre Nähe fesseln. Wie ein Kind nach dem Weihnachtsbaum, so sehnte sie sich nach jenen vielgerühmten Singspielen, bei denen man doch endlich einmal nach Herzenslust lachen und – weinen durfte.

Wenzel Müller zog also mit seiner kaum fünfzehnjährigen Tochter in Prag ein, mit diesem Abgott seines Herzens, dem Abbild seines todten Weibes, das schon längst auf dem Kirchhofe schlief, allwo man auch den Wolfgang Amadeus begraben. Das reizende Mädchen war von frühester Kindheit an der Liebling Wiens. Sie sang wie eine Lerche, spielte zum Entzücken und tanzte wie eine Sylphide. Geboren in dem Todesjahr Mozart’s, hatte Therese schon mit fünf Jahren die Kinderrollen in den Singspielen ihres Vaters gesungen, und als sie zum Abschied in der Leopoldstadt in Kranitzky’s „Oberon“ auftrat, begrub man sie fast unter Blumen und rief ihr die zärtlichsten Namen zu. Es war eben das Scheiden eines geliebten Kindes aus dem Kreise einer großen Familie. Wie schwer wurde der Abschied dem Vater und der Tochter! Ja, ohne einen Zwischenfall hätte jener die Stelle in Prag, trotz der glänzenden Verbesserung seiner Lage, vielleicht gar nicht angenommen. Das schöne Nannerl, die gefeierte Repräsentantin all’ seiner Heldinnen, sein verzogener, übermüthiger Liebling, war nämlich eben irgend einer Laune und irgend einem Verehrer gefolgt und ohne Urlaub aus Wien verschwunden. Ohne Nannerl Schikaneder aber war ihm die Kaiserstadt plötzlich gründlich verleidet, und so trat er denn, heimlich grollend, seinen neuen Posten an.

Wie anders erschien dem Vater und der Tochter Alles in Prag, wie kühl und fremd wurden Beide von jener Atmosphäre angeweht, in der sie fortan leben sollten! Dennoch hütete sich Eines, dem Anderen diese seine Empfindungen einzugestehen. Die reizende Therese vermißte die Gespielinnen und den großen Freundeskreis schmerzlich. Die vornehmen Damen, die das junge Mädchen Anfangs zu sich kommen ließen, behandelten sie ja nur wie ein neues, anmuthiges Modespielzeug, welches man eine Weile mit Interesse betrachtet, um es dann schnell über einem neuen zu vergessen. Nur eine machte hiervon eine Ausnahme, die schöne Landsmännin der kleinen Sängerin, die Fürstin L. Die bezaubernde Frau mühte sich um so mehr, das junge Mädchen zu sich heranzuziehen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_776.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)