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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

als sie sich nicht verhehlen konnte, daß der Leopoldstädter Capellmeister allem Anschein nach weniger rasch Wurzel in der fremden Erde zu fassen geschickt sei, als sie erwartet. So entzückt sie von der Tochter war, so sehr sah sie sich in dem Vater getäuscht. Sie hatte einen weltgewandten, fröhlichen, leichtherzigen Cavalier zu finden erwartet und sah einen ziemlich mürrischen Mann vor sich, der sogar ihrem Zauber widerstand und über dessen sehr ungezwungene Manieren man in Prag die Köpfe schüttelte. Das reizte denn die schöne Weltdame nach Frauenart; sie wollte mit ihrem Landsmanne durchaus in jeder Weise Ehre einlegen, und die kleine Therese sollte ihr dabei helfen, bewußt und unbewußt. Das junge Mädchenherz wendete sich auch voll und ganz der vornehmen, gütigen Schützerin zu, wie die Blumenknospe sich dem Licht zuneigt. In der Nähe der Fürstin vergaß Therese ihr Heimweh, sie lachte, plauderte und scherzte fast wie daheim, und hätte die finstere Stirn des Vaters nicht einen Schatten auf ihr Leben geworfen, so würde sie ihr fröhliches Wien im Palais L. kaum vermißt haben. Die Jugend findet sich ja so leicht und schnell in eine andere Umgebung, in eine andere Atmosphäre, wenn sie nur hell und warm ist, während das Alter seinen Himmel, seine Sonne, seine Bäume, sein Stückchen Erde, sein Dach haben will und nicht mehr ausdauern kann bei Fremden. Wenzel Müller stand in seiner mächtigen, sorgfältig gepuderten Perrücke und dem gestickten Hofkleide über alle Maßen ernsthaft an seinem Dirigentenpult, so daß Therese, sein Kind, ihn fast nicht erkannte.

In der Leopoldstadt in Wien hatte er sich nie so zu schmücken nöthig gehabt. Da rümpfte Keiner die Nase über den braunen Rock, der schon stark in’s Röthliche schimmerte, über die zerdrückten Manschetten und das keinesweges tadellose Jabot, man war sogar gewöhnt an die regellose Halsschleife und die rauhe Perrücke, die der Capellmeister in der Hitze des Gefechts unbekümmert bald auf diese, bald auf jene Seite zu schieben pflegte. Das schelmische Lachen und Augenzwinkern hatte er auch schon verlernt. Im Anfang bestürmte man ihn, einige seiner Singspiele aufzuführen, da studirte er denn „die Schwestern von Prag“, das „Sonntagskind“ und die „Teufelsmühle“ ein, allein die Sänger behaupteten, daß ihr neuer Capellmeister unerträglich grob in den Proben gewesen sei; sie sangen mit Unlust, und den vielgepriesenen Singspielen konnte man denn auch keinen besonderen Erfolg nachrühmen. Man hatte mehr oder Anderes erwartet und fühlte sich nun enttäuscht. Sein berühmtes „Donauweibchen“ einzustudiren weigerte Wenzel Müller sich aber hartnäckig; in der Hauptfrauenrolle dieser seiner Lieblingsoper wollte er nun einmal keine Andere sehen, als das böse unvergeßliche Nannerl. Selbst den Bitten der Fürstin L. widerstand der neue Operndirector, und das war eine Heldenthat, die mindestens jenem Widerstand bei den bekannten Versuchungen des heiligen Antonius an die Seite gesetzt zu werden verdiente. Schönere Augen hatten nie zu ihm aufgeschaut, halb bittend, halb befehlend; eine weißere Hand nie seinen Arm berührt, wie damals, als er, sein Töchterchen neben sich, vor der holden Gönnerin seines Kindes stand.

„Ich will aber eben das ‚Donauweibchen‘ sehen und hören, das mich in Wien so entzückt hat, und will, daß ganz Prag entzückt ist, wie ich selber,“ hatte sie halb schmollend, halb schelmisch gesagt.

„Dann warten Ihro Durchlaucht, bis das Nannerl, das mir just vor der Hauptprobe der letzten Aufführung in Wien davonlief, wieder da ist. Das Frauenzimmer wird wohl nicht allzulange wegbleiben – denn es weiß so gut wie wir Alle: es giebt nur a Kaiserstadt – ’s giebt nur a Wien!“

„Aber warum soll keine Prager Sängerin die Hulda spielen, eigensinnigster Capellmeister?“ fragte die schöne Frau ungeduldig. „Wir haben ja deren genug am Theater! Und gar Manche, die eben so hübsch wie das passirte Nannerl.“

„Das ‚Donauweibchen‘ kann aber nur ein Wiener Kind so singen, wie ich’s haben will, das weiß die Frau Fürstin selber am besten. In unserm Wien singen, spielen und tanzen wir zum Spaß, hier aber thun sie das Alles im Ernst, das ist der Unterschied. Und das Nannerl? Ihro Durchlaucht meinen doch nicht von Herzen, daß Eine von denen, die hier sind, auch nur halb so hübsch sei, und wenn das Mädel auch schon in die Dreißig! Was mich betrifft, so kenne ich in ganz Prag nur eine Sängerin, bei der ich das Nannerl vergessen könnte, und diese Eine eben – thut’s halt nimmer!“

„Und wer ist dies wunderbare Geschöpf, die noch eigensinniger zu sein scheint als Wenzel Müller?“

„Ihro Durchlaucht sind’s selber!“ lautete die Antwort. –

Seit jenem Zwiegespräch bemerkte man, daß die Fürstin häufiger als je ihre Singübungen hielt und daß die kleine Therese allezeit dabei war und fast täglich im Palais erschien. Auch der junge Carl Maria von Weber wurde häufig dahin beschieden und brachte manche Stunde in der Nähe der beiden Zauberinnen zu. Endlich fanden sich auch einige Sänger vom Theater ein, man hielt Proben über Proben, und so verbreitete sich denn allmählich das Gerücht, man werde beim Fürsten L. eine Oper aufführen.

Während dessen dirigirte Wenzel Müller als ‚Operndirector‘ mit manchem heimlichen Seufzer Mozart’sche, Gluck’sche und Salieri’sche Opern, hier und da einmal Martini’s „Lilla“, worin Therese die Titelrolle zum Entzücken von Prag sang, auch wohl Kranitzky’s „Oberon“. Er konnte der ernsthaften feierlichen Musik nun einmal keinen Geschmack abgewinnen. Nur Mozart hatte sich, wider seinen Willen, in sein Herz gestohlen. „Diese Musik trinkt man nun einmal wie Champagner, und sie schmeckt bei Tag und bei Nacht!“ sagte er; „der alte Wein von dem Ritter Gluck aber, von dem sie so viel Wesens machen, mundet mir wie Medicin, und die habe ich mein Lebtag nicht heruntergebracht. In seinen Opern wird Unsereinem nicht warm noch kalt, und seine wilden Heiden sind doch am Ende nur verkleidete gute Christen, das merkt Jeder – und für Liebesleute hat der Gluck vollends gar nichts ausgedacht. Auch kann man das Zeug, weiß der Himmel weshalb, nur in einem ordentlichen guten Rock dirigiren, es ist eben gewaltig vornehme Musik.“

Am schlimmsten war dem Leopoldstädter Capellmeister aber zu Muth, wenn er in die aristokratischen Häuser Prags, als Componist à la mode, Einladungen erhielt zu musikalischen Soiréen und dann von männlichen und weiblichen Dilettanten seine Lieder singen hören und begleiten mußte. Es überlief ihn dabei gar oft abwechselnd siedend heiß und eiskalt. Waren das wirklich seine alten Weisen? „Ich erkenne mein Eigenthum nicht wieder,“ klagte er seiner Tochter, „wie der Bauer sein Kind nicht erkennt, das man in Stadtkleider gesteckt.“ Er machte bei derartigen Gelegenheiten oft ein so wüthendes Gesicht, daß Therese ihn vor Angst wiederholt am Aermel zupfte und ein Wiener Scherzwort in sein Ohr raunte, damit doch nicht alle Welt so deutlich auf seiner Stirn lesen möchte: „es ist zum Davonlaufen!“ Einmal aber, als ein junger Sänger das Lied intonirte:

„Wer niemals einen Rausch gehabt,
Der ist kein braver Mann –“

und ihm, dem Componisten und Begleiter, über die Achsel hochmüthig zurief: „langsamer!“ – da nahm Wenzel Müller das Notenblatt, riß es in zwei Stücke, schleuderte es auf die Erde und sagte: „trinkt erst ein paar Flaschen Wein, mein Herr, und dann kommt und gebt mir, dem Wenzel Müller, das richtige Tempo meines Liedes an!“ Hierauf nahm er sein Kind an die Hand und verließ den Saal, als ob ihm der Kopf brannte, lief er durch die Straßen, ohne ein Wort zu sprechen. Daheim warf er zuerst seine Perrücke in eine Ecke, umarmte dann seine Tochter und rief endlich ein Mal über das andere: „Jetzt ist mir wohl! Du kannst Dir nicht denken, Reserl, wie’s Einem zu Muthe ist, wenn man endlich wieder einmal hat ausschlagen dürfen! Ich könnte jetzt die ganze Welt vor lauter Freud’ umarmen.“ Dies Ereigniß hatte aber die Folge, daß der größte Theil der vornehmen Gesellschaft den Sünder in Bann that; jene quälenden Einladungen hörten allmählich auf, und Niemand war glücklicher darüber, als der Leopoldstädter Capellmeister.

Indessen bereitete die Fürstin ihre „Strafe für den Eigensinnigen“, wie sie es nannte, in möglichster Stille vor. Das kleine Theater im Gartensalon des L.’schen Palais war fertig und mit aller Pracht ausgestattet. Decorationen und Scenerien hatte man mit einer Sorgfalt hergestellt, als gälte es, die herrlichste Oper Mozart’s von Stapel zu lassen, die besten Sänger, von dem jungen Weber ausgewählt, thaten ihr Möglichstes, um das Donauweibchen des „mürrischen Alten“, wie man Wenzel Müller zu nennen pflegte, tadellos aufführen zu helfen. Die Frauenrollen aber waren in den Händen Therese’s und – der Fürstin selber. Der Componist sollte überrascht werden bis zum Schrecken – so wollte sie es, Niemand durfte ihrem Landsmann das Geringste verrathen. Und so kam denn der große Tag der Aufführung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_777.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)