Seite:Die Gartenlaube (1867) 779.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

besucht, denn das vergab er dem Beethoven nicht, allein die Sehnsucht, die geliebte Tochter einige Stunden früher zu sehen und zu hören, war schließlich dennoch stärker als jeder andere Wille.

So saß er denn, ehe er’s sich versah, wirklich im Theater, überwältigt von den verschiedensten Empfindungen, starr und fast regungslos, und ließ das grandiose Werk Beethoven’s an sich vorüberziehen, zuweilen schüttelte er kaum merklich mit dem Kopfe und dann und wann hob ein tiefer Seufzer seine Brust. Kein Auge verwandte er von der Bühne. Nur einmal zuckte es wie Sonnenschein über sein Gesicht, als nämlich Therese-Marcelline in ihrer Lieblichkeit erschien und die süße Stimme wie Nachtigallenschlag durch das Haus zog:

„Mir ist so wunderbar –“

„Brav, mein Mädchen!“ flüsterte er glückselig vor sich hin. „Du singst sie doch noch Alle in den Grund!“ Keinen Ton verlor er indeß auch von den Lippen der Milder, jener Frau, von deren Stimme Joseph Haydn einst staunend gesagt hatte, als sie als junges Mädchen vor ihm gesungen, sie sei wie ein „Haus“! – Sagenhaft tönt der Bericht von der übermächtigen Klangfülle dieses wunderbaren Organs in unsere Tage herüber, und als der alte Leopoldstädter Capellmeister jenen silbernen Schrei aus dem dreigestrichenen b jetzt von ihr hörte:

„Tödt’ erst sein Weib!“

den keine Sängerin nach ihr gewaltiger ausströmte, da schluchzte er wie ein Kind. – Wie damals in Prag nach der Vorstellung des Donauweibchens eilte er hinter die Coulissen, als der letzte Ton verhallt, doch seine Arme schlangen sich diesmal um die Tochter, – für die Darstellerin des Fidelio hatte er nur den Ausruf: „Milder! Sie sind eine furchtbare Creatur!“ – Und an jenem Abend gestand er seinem Kinde ganz heimlich, aber nur eben Theresen, daß er Alles, was er sein Lebelang geschrieben, dahin gäbe, wenn er das „eine Ding“, den Fidelio gemacht.

Seit jenem Abend ist er nicht wieder recht froh geworden, der Componist des Donauweibchens, und wenige Monate später ging er nach Baden bei Wien, um, wie er sagte, die unverdaulichen melancholischen Gedanken wegzuspülen. Dort war es, wo ihn seine Todeskrankheit, ein hitziges Fieber, befiel. Die treue Tochter, begleitet von ihrem rosigen Kinde, ihrem lieblichen Ebenbilde, eilte bei der Nachricht seines Erkrankens nach Baden, um ihn zu pflegen. Die Krankheit schien auch bald überwunden, nur die Schwäche wich nicht. Er ließ sich während dieser Zeit viel aus dem Fidelio vorsingen; dazwischen verlangte er auch wohl Weber’s „Schöner, grüner Jungfernkranz“ zu hören und wiederholte allezeit lächelnd: „Das hat der Satansgesell mir aus dem Herzen gestohlen.“ – Und am letzten Tage seines Lebens, so erzählte man sich, in der späten Nachmittagsstunde, als die Fenster nach dem Garten hin offen standen und Lindenblüthenduft die kleine Stube füllte und die reizende kleine Enkelin die ersten Rosen pflückte für den kranken Großpapa, da zogen auf der Straße fröhliche Sänger vorüber mit dem lustigen Liede:

„Wer niemals einen Rausch gehabt,
Der ist kein braver Mann!“

Plötzlich stand es wieder auf in Wenzel Müller’s Antlitz, jenes alte Schelmenlächeln, das man so lange nicht dort gesehen, die Augen leuchteten, und die matte Hand auf die Hand seiner Tochter legend, sagte er leise: „Hörst Du, was sie singen? Der Wenzel Müller läßt sich genügen an diesem Ruhm! – So lange es noch lustige Burschen giebt, wird man auch seine Lieder lieben und singen. Und ein ‚braver Mann‘ war er selber auch, – hat sie’s doch gesagt und Du kannst es bezeugen. Aber einen schönern ‚Rausch‘, als an jenem Abend – Du weißt’s, Reserl – hat der Leopoldstädter Capellmeister sein Lebtag nicht gehabt. Das Prager Donauweibchen war doch gar zu hübsch!“ –

Damit legte er den Kopf zurück, drückte eine Rose an seine Lippen – und schlief ein, um nicht wieder zu erwachen.

Im Garten aber sang eine süße Mädchenstimme:

„In meinem Schlößchen ist’s gar fein,
Komm, lieber Ritter, nur herein!“




Deutschlands große Industriewerkstätten.
Nr. 4. Bei dem Locomotivenkönig.[1]
II.


Dicht vor dem Oranienburger Thor in Berlin, und zwar zur Rechten von der Stadt aus, liegt die große Borsig’sche Eisengießerei und Maschinenbauanstalt. Dieselbe hat ihre Thätigkeit in einer kleinen Eisengießerei im Anfange des Jahres 1837 mit fünfzig Arbeitern begonnen und umfaßt jetzt einen Flächenraum von 368,000 Quadratfuß, auf welchem sich ein ganzes weitverzweigtes und von sechs oder sieben Thürmen gekröntes System von Gebäuden, in Rohbau ausgeführt, erhebt. Erst im Jahre 1862 haben diese Baulichkeiten durch den Flügel für die Bureauräume, zur Linken des Eingangs, und eine die ganze Front begrenzende Veranda (ein Meisterwerk des Professor Strack) ihren Abschluß erhalten. Durch jene Veranda treten wir in den Vorhof, welcher von einem Bassin und einer daranstehenden Thurmuhr begrenzt zu sein scheint. Die beiden Säulen des Einganges zieren zwei Gruppen, zur Rechten des Eintretenden einen Maschinenbauer darstellend, welcher eine Locomotive hält und von zwei Gehülfen umgeben ist, zur Linken, dem entsprechend, drei Arbeiter, von welchen der mittelste eine Dampfmaschine trägt. Dem Eintretenden zur Linken liegt das erwähnte stattliche Gebäude, welches im Erdgeschoß kaufmännische und technische Bureaux, die Empfangszimmer des Chefs und im ersten Stock den Conferenzsaal enthält, dessen sinnige Zierde die Darstellung der Anstalt in ihren verschiedenen Entwickelungsstadien bildet. In dem Flügel, welcher diesem Gebäude gegenüberliegt, befindet sich zunächst der große, geräumige Speisesaal, welcher zweitausend Menschen umfaßt und dazu dient, die Arbeiter zum Frühstücke und zur Mittagsmahlzeit zu vereinigen. Dicht neben dem Eingange dieses Saales liegt die Restauration, ihr gegenüber erblickt man die Kolossalbüste Borsig’s und davor eine Rednertribüne. Zwischen den Pfeilern der Fenster und der ganzen gegenüberliegenden Wand erblicken wir Fahnen und Banner mit den wichtigsten Daten der Chronik dieser Anstalt, so den 22. Juli 1837, an welchem der erste Guß, den 24. Juni 1841, an welchem die erste Locomotive, und zwar für die Berlin-Anhaltische Eisenbahn, gefertigt wurde, den 29. August 1846, an welchem die hundertste, den 23. März 1854, an welchem die fünfhundertste, den 21. August 1858, an welchem die tausendste Locomotive vollendet wurde, den 22. Juli 1862, an welchem das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Fabrik gefeiert wurde, und den 2. März 1867, den Jahrestag der zweitausendsten Locomotive, welche neuerdings mit der großen goldenen Medaille auf der Pariser Weltausstellung gekrönt worden ist. Ueber der Restauration erblicken wir den Spruch:

„Zum guten Werk ein guter Trunk,
Hält Meister und Gesellen jung!“

An diesen Speisesaal, welcher, beiläufig gesagt, zu Zeiten der Landtagswahlen für Versammlungen aller Art benutzt zu werden pflegt, schließen sich die Tischlerei, die Modellkammern und ein Bretterschuppen.

Das Borsig’sche Etablissement ist schon so vielfach geschildert worden, daß eine eingehendere Beschreibung der verschiedenen Werkstätten hier nicht in unserer Absicht liegt; es kam uns vielmehr nur auf ein Totalbild an, wie es sich bei einem Gange auch für den Nichttechniker gewinnen läßt. Wir beginnen diesen Gang mit der Eisen- und Metallgießerei und kommen hier zunächst in einen großen Raum zum Betriebe von Sand-, Lehm- und Massenformerei, in welchem sich die Trockenkammern befinden und aus zwei Cupolöfen und einem Flammenofen gegossen wird. Durch einen Nebenhof gelangen wir nun in das System von Werkstätten, in welchen die einzelnen Maschinentheile fabricirt werden.

Still und geruhsam arbeiteten die Former in den Räumen, welche wir bisher durchschritten. Um so bewältigender wirkt der Gegensatz, zu dem wir jetzt in der Dreherei gelangen; hundert


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_779.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)