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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und aberhundert Räderwerke sind in Betrieb gesetzt, Räder von allen Größen und Arten drehen sich unaufhaltsam im Kreise, greifen ineinander und verursachen einen Lärm, welcher es unmöglich macht, sein eigenes Wort zu hören. Man weiß in der That nicht, wohin man zunächst in diesem Gewirr blicken soll, ob auf die Dampfmaschinen, welche diese Räder treiben, ob auf die Räder selbst. Hier ist eine Cylinder-Bohrmaschine in Thätigkeit, dort wird in dem säulengetragenen, mächtigen Raume durch ganze Gassen gedreht, gehobelt, genuthet, gestoßen. Wie in einem Ameisenhaufen bewegen sich Hunderte von Menschen an diesen Maschinen, oder führen die fertigen Stücke zur weiteren Verarbeitung auf kleinen Wagen mit Windeseile durch die weiten Säle.

Wieder ein wechselnder Eindruck bietet sich in dem folgenden Raume, in dem die fertigen Maschinentheile durch Feuerung weiter verarbeitet werden, und endlich gipfelt sich der Eindruck in dem bis zur äußersten Grenze des Etablissements hinlaufenden Montirschuppen, welcher vierhundert und sechszig Fuß lang und achtundfünfzig Fuß breit ist und dazu dient, die Locomotiven zusammenzustellen. An der nördlichen Seite desselben erblicken wir fünfundzwanzig Krahne, vor jedem derselben eine Locomotive im Entstehen begriffen und in den äußeren Umrissen bereits kenntlich.

Dieser Blick auf diese förmliche Straße von Locomotiven macht einen unbeschreiblich großartigen Eindruck. In der Mitte des Schuppens, welcher ganz und gar von einem Schienengeleise durchzogen ist, sehen wir einen fahrbaren Krahn von mächtigen Dimensionen, welcher einhundert und zwanzig Centner zu heben vermag. Jede der einzelnen Locomotiven steht auf einem hohen Schienenstrange, unter dem sich ein vertiefter Canal befindet, der es ermöglicht, darunter bequem zu arbeiten. Rechtwinklig auf den Montirschuppen stößt der Lackirschuppen, in welchem die Locomotiven angestrichen und lackirt, die Tender zusammengestellt und ebenfalls angestrichen werden. Unmittelbar an diesen Raum grenzt der Saal, welcher zur Beförderung der fertigen Locomotiven dient. Dieser umfaßt eine Hebebühne, die durch einen Wasserthurm von fünfundsechszig Fuß Höhe getrieben wird und welche eine Last von achthundert Centnern auf sechs und einen halben Fuß Höhe zu heben im Stande ist. Von hier werden die fertigen Locomotiven in die Borsigstraße auf einen eigenen Schienenstrang gehoben und durch Pferde nach dem Stettiner Bahnhof gezogen, was jedoch auch durch die eigene Kraft der Maschine geschehen könnte. Durch diesen Strang ist die Borsig’sche Fabrik direct mit allen Eisenbahnen des Continents in Verbindung gesetzt.

Mehr als zweitausend Locomotiven – denn auch das erste Hundert des dritten Tausend ist bereits erfüllt – haben auf diesem Wege die Fabrik verlassen. Der größte Theil davon ist in Norddeutschland geblieben, doch auch auf süddeutschen Bahnen, in Oesterreich z. B., ferner in Dänemark, in Polen, in Rußland, in Holland und Ostindien sind die Borsig’schen Locomotiven zu finden. Mit wahrhafter Ehrfurcht wird man erfüllt, wenn man bedenkt, aus wie kleinen Anfängen und wie nur durch den eigenen Fleiß und die Selbstthätigkeit eines einzigen Menschen diese großartige Fabrik entstanden ist, in deren verschiedenen Sälen und Werkstätten das stattliche Heer von nahe an zweitausend Arbeitern beschäftigt ist.

Zur Beleuchtung des Grundstückes und der Werkstätten ist eine eigene Gasanstalt errichtet, welche über zwölfhundert Flammen speist. In langen Winternächten wird jedoch auch städtisches Gas zu Hülfe genommen. Zum Betriebe der Werke sind acht Dampfmaschinen in Thätigkeit, welche an dreihundertundfünfzig Dreh-, Bohr- und Hobelmaschinen, Fraisen, Scheeren, Niet- und Nuthmaschinen, sowie die Schleifereien betreiben und in vier Ventilatoren den Wind für hundert Schmiedefeuer und zwei Cupolöfen erzeugen. 1841 lieferte die Fabrik ihre erste Locomotive, die einzige in diesem Jahr, 1866 hat sie nicht weniger als einhundertvierundsechszig in die Welt gesandt, und auf allen Weltausstellungen, die bis auf diesen Tag stattfanden, haben die Borsig’schen Locomotiven erste Preise erhalten.

Wie ungeheuer der Bedarf an Material in diesen Fabriken ist, kann man sich leicht denken; wurden doch im verflossenen Jahre an Schmiedeeisen allein über hundertdreißigtausend Centner verarbeitet und, außer den Coaks, eine Quantität von mehr als fünfzigtausend Tonnen Steinkohlen verbrannt.

Das Roheisen wird in dem Borsig’schen Hüttenwerke in Oberschlesien gewonnen; sämmtliches Schmiedeeisen, sowie alle geschmiedeten und gewalzten Eisensorten werden in dem Walz- und Eisenwerk zu Moabit ausgeführt. Während bis zum Jahre 1841 der Bau von Maschinen aller Art für das In- und Ausland betrieben wurde, für welche unter Anderm die großen Wasserwerke von Sanssouci, die Pumpen und Dampfkessel zu den Berliner Wasserwerken, die Dachconstruction der Bahnhalle in Krakau und des Hamburger Bahnhofes in Berlin, die großen Eisenbahnbrücken über Spree, Havel, Elbe etc., die Kuppel der Berliner Schloßcapelle und der Nicolaikirche in Potsdam gefertigt wurden, befaßt sich das Etablissement in Berlin jetzt ausschließlich mit dem Locomotivenbau; die Aufträge auf andere Maschinen werden in der Maschinenbauanstalt in Moabit, welche vierhundert Arbeiter beschäftigt, ausgeführt.

Die Leitung dieser ganzen, großartigen Etablissements führt der einzige Sohn Borsig’s, der im Jahre 1829 in Berlin geborene Commercienrath Albert Borsig, ganz im Sinne und Geiste seines Vaters, dessen Anlagen er nach jeder Richtung hin vergrößert und erweitert hat.

Eine Anzahl von Civilingenieuren ist gewissermaßen die erste ausführende Behörde. Von ihrem sogenannten Constructionsbureau gelangen die Arbeiten an die Oberwerkführer, welche den einzelnen Abtheilungen vorstehen. Die Arbeit wird in Accord geliefert, und die Löhnung erfolgt an jedem Sonnabend in den einzelnen Werkstätten. Daß die Arbeiter unter sich Spar- und Krankencassen und ähnliche Hülfsinstitute haben, bedarf keiner Versicherung. Die Chronik der Anstalt sieht nach dem alten Worte:

„Tages Arbeit, Abends Gäste,
Saure Wochen, frohe Feste“,

neben ihren rühmlichen Resultaten aber auch auf manches frohe Fest zurück, an welchem sich die ganze Stadt Berlin, wie z. B. bei der Feier aus Anlaß der Vollendung der tausendsten Locomotive, des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums etc., betheiligte.

In den Gedenkbüchern der Industrie Berlins, Deutschlands, ja Europas werden die Borsig’schen Fabriken nicht minder durch ihren ganzen Entwickelungsgang, als durch ihre großartigen Leistungen sich unstreitig für alle Zeit einen bleibenden Ruhm bewahren.




Pariser Bilder und Geschichten.
Die Ritter vom Kronleuchter.
Von Ludwig Kalisch.


Man hat schon sehr viel über die Claque in den Pariser Theatern gesprochen, man hat aber dabei so viel Dichtung unter die Wahrheit gemischt, daß das größere Publicum bis auf den heutigen Tag nur höchst verworrene Begriffe von diesem sonderbaren Institut hat. Ich will es daher versuchen, das Pariser Claquenwesen in einigen scharfen Umrissen zu schildern.

Die Pariser Theaterclaque datirt ungefähr vom Anfange dieses Jahrhunderts, wo einer der darstellenden Künstler auf den Gedanken kam, sich den Erfolg zu kaufen. Er vertheilte nämlich bei seinem jedesmaligen Auftreten eine große Anzahl Freibillete und war dann sicher, applaudirt zu werden. Seine Collegen, die sich anfangs diesen Erfolg nicht erklären konnten, ahmten, als sie die Ursache desselben erfuhren, das Beispiel nach, und so hatte bald jedes Theater seine Claqueurs.

Von einer Schaar zusammengeraffter Claqueurs bis zur organisirten Claque, die unter dem Befehl eines Oberhauptes, eines „Chef de Claque“, steht, ist aber noch ein sehr weiter Weg. Diese Organisation entstand erst zur Zeit, als Scribe auftrat. Scribe war bekanntlich mit seinen ersten dramatischen Hervorbringungen nichts weniger als glücklich. Er war darüber doppelt bestürzt, denn er fühlte sich als Autor verletzt und sah auch seine Hoffnung vereitelt, sich durch seine Muse eine Erwerbsquelle zu eröffnen. In seiner Verzweiflung hätte er auch vielleicht dem ferneren Umgang mit Thalien entsagt, wenn er nicht einen tröstenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_782.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)