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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Beschützer beraubt wird, vor dem Verderben gerettet werden mag.

Wer sich das Studium der menschlichen Leiden, besonders in großen Städten, zur Aufgabe macht, wird bald zu der erschreckenden Beobachtung kommen, daß die bei Weitem meisten unserer öffentlichen Anstalten, die des Staates sowohl wie die von Gemeinden und die von Privatpersonen unterhaltenen, stets nur dahin zielen, den Gefallenen zu Hülfe zu kommen und sie wieder in ihrer eigenen Schätzung, wie in den Augen der Gesellschaft aufzurichten. Die, wie mir scheint, viel verdienstlichere Untersuchung, wie das Fallen zu verhüten, wie die Fallgruben zu beseitigen, ist leider auch von unsern edelsten und eifrigsten Menschenfreunden nicht genügend in Angriff genommen. Gerade in dieser Beziehung ist „der Arbeiterinnen Heim“ eine freudig zu begrüßende Erscheinung.

Die Ideen, welche die edlen Menschenfreunde (unter denen, wie immer, die Namen Peter Cooper und Aspinwall voranstehen) nach den bei der Eröffnung gehaltenen Reden bewegten, sind im Wesentlichen folgende: Um wirksam und hülfreich in das uns umgebende Elend und Laster einzugreifen, ist es unerläßlich, daß die beiden Classen der Gesellschaft, welche durch den Mangel an Subsistenzmitteln einerseits und durch deren Ueberfluß andererseits von einander geschieden sind, sich wechselseitig annähern. Dies kann nur dadurch geschehen, daß einestheils die erstere, die zugleich im großen Ganzen die arbeitende ist, gehoben, daß ihre Lebensweise verbessert, ihre geistige und sittliche Ausbildung befördert wird, und anderntheils, daß die begünstigte Classe – die Talentvollen, Wohlerzogenen und Reichen – es sich zur Aufgabe machen, die Mitglieder der anderen Classe in jedem Versuche, sich aus der ungünstigen Lage aufzurichten, in welche sie durch nicht abwendbare Verhältnisse gekommen, kräftig zu unterstützen. Wer einen Blick in das Elend und die Geheimnisse unserer großen Städte geworfen, dem sind die bedeutenden Schwierigkeiten, die dem Bestreben des redlichen Armen, sich aufzuschwingen, entgegentreten, und die fast unüberwindlichen Hindernisse wohl bekannt, welche in seinem Wege zu einer gesicherteren Existenz liegen. Wer aber das Studium des täglichen Lebens der Armen sich zur philanthropischen Lebensaufgabe gemacht, dem wird die betrübende Thatsache sich aufdrängen, daß in der Hast, dem Lärm, der Einseitigkeit des Geschäftslebens unserer großen Städte wenig Zeit und Mittel darauf verwendet werden, gerade da wohl zu thun, wo das dringendste Bedürfniß für Hülfe und Aufmunterung besteht. Die Arbeit der Armen ist nicht erleichtert, ihre Ruhestunden sind nicht vermehrt, ihr Hauswesen ist nicht bequemer und anmuthiger gemacht worden. Ganz besonders gilt dies von den Arbeiterinnen, von denen viele, fremd in den Städten und an die wenn auch geringen Bequemlichkeiten des Landes oder die verschiedene Lebensweise fremder Länder gewöhnt, keine Ahnung von den Gefahren haben, denen sie ausgesetzt sind.

Wir brüsten uns, daß wir mehr, als andere Nationen, Zeit auf humanitäre Studien verwenden; daß wir den unschätzbaren Werth menschlicher Geisteskräfte besser zu würdigen wissen; daß wir zu Schulzwecken mehr verwenden, als irgend eine andere Nation; daß wir in Staat und Gesellschaft unausgesetzt mit der Fortentwickelung demokratischer Ideen beschäftigt sind. Wir nehmen den theilweisen Sieg der Reformidee in England, das kräftige Auftreten unterdrückter und zersplitterter Nationen auf dem europäischen Continente theilweise als Reflexe unseres großen nationalen Sieges über die Zwietrachtselemente des Nordens und die Sclavenhalter-Aristokratie des Südens in Anspruch, und wir sollten Wahrheiten übersehen, die uns jede Straße, jedes Haus eines Armen, jede Unterhaltung mit einem solchen vor Augen führt? Wahrheiten wie diese: daß dem Arbeiter, damit er ein guter Bürger werde, die möglichst beste Erziehung geboten werden muß; daß Reinlichkeit eines der unentbehrlichsten Lebenselemente, ebenso sehr wie Kleidung und Speise ist, und vor Allem, daß die Arbeiterinnen, die künftigen Mütter von Tausenden von Bürgern, ein angenehmes Hauswesen besitzen und von Verhältnissen umgeben sein sollten, danach eingerichtet, sie außerhalb des Bereiches unlauterer Einwirkungen zu stellen. Die Verworfenheit, das Elend, die absolute Herabwürdigung, die so lange sich vereinigte, die Arbeiterinnen des Lebens und der Ehre zu berauben, sie müssen besseren Zuständen Raum geben. Die Bewegung, ihre Lage zu verbessern, ihnen Aufmunterung zu gewähren, sie über die Leiden zu erheben, welche stets im Gefolge von Sorge, Noth und Mangel sich einstellen, muß eine bestimmte Form annehmen.

Wie dies in’s Werk zu setzen, war bereits seit mehreren Jahren ein Gegenstand eingehendster Berathung seitens des Vorstandes des Arbeitshauses der Five-Points. Vor etwa neun Monaten beschlossen sie, den Versuch in der jetzt ausgeführten Weise zu machen. Bei den enormen Preisen des Eigenthums und der Rücksicht, daß die Heimath für Arbeiterinnen möglichst nahe dem unteren (Geschäfts-) Theile der Stadt gewählt werden mußte, war es schwierig, eine passende Lage und Localität zu finden. Zuletzt gelang es, zu dem Preise von 100,000 Dollars das gegenwärtige Gebäude zu erwerben, das mit einem weiteren Aufwande von nahezu 50,000 Dollars zu seiner jetzigen Bestimmung eingerichtet wurde.

Der wesentlichste Grundsatz bei der Einrichtung des „Heim“ ist, daß es nicht unentgeltlich, als ein Almosen gewährt wird, was dem Zwecke, welchen die Gründer beabsichtigen, gerade entgegen arbeiten würde. Die Anstalt soll sich selbst erhalten, zu welchem Ende jedes Frauenzimmer (die Matrone nannte sie bei meinem Besuche nie anders als the young ladies), das eintritt, drei Dollars fünfundzwanzig Cents (vier Thaler sechszehn und einen halben Silbergroschen; nach deutschen Verhältnissen etwa ein Thaler zehn bis fünfzehn Silbergroschen) die Woche im Voraus bezahlt; bei der großen Kostspieligkeit des Lebens in New-York äußerst wenig. Für diesen Betrag erhält sie Kost, Wohnung mit Bett und Wäsche. Findet sich am Ende vom Jahre ein Ueberschuß, so soll dieser auf den Namen derjenigen, welche am längsten im Heim gewohnt haben, bei einer Sparbank niedergelegt werden. Auf diese Weise hat jede Bewohnerin das Bewußtsein, daß sie selbst ihren Antheil zur Erhaltung der Anstalt zahlt, in welcher sie völlig so unabhängig ist wie in ihrem eigenen Hause.

„Ich weiß,“ sagte der ehrwürdige Vorstand, der Herr Halliday, „aus einer fünfunddreißigjährigen Erfahrung als Missionär etwas von den Versuchungen, denen junge, arbeitende Mädchen ausgesetzt sind, und wie schwierig es für sie ist, anständige und bequeme Wohnungen sich zu verschaffen. Privatfamilien sind stets abgeneigt, Kostgängerinnen aufzunehmen, die großen Kosthäuser sind ihnen thatsächlich verschlossen, und sie sind gezwungen, höchst unbequem, ja elend zu leben, weil sie außer Stande sind, die hohen Preise anständiger Logirhäuser zu zahlen. Ein hübsches, reinliches Mädchen kam gestern hierher, um sich anzumelden. Sie war überrascht und entzückt von dem Comfort der Anstalt. ‚Ach‘, sagte sie, ‚der Mangel eines Heim, wie dies, bringt die armen, braven Mädchen um.‘“

Und nun wird es Zeit, das Heim selbst zu beschreiben. Das Gebäude steht in der Elisabethstraße, nahe bei der Canalstraße. Wie der Holzschnitt zeigt, ist es sechsstöckig und hat außerdem ein Erdgeschoß. In letzterem befinden sich:

Der Waschraum, zweiundzwanzig und sechsunddreißig Fuß, mit zwei Nonpareil-Waschmaschinen und Patent-Ausringern, durch Dampf bewegt, der auch dazu verwendet wird, dem Wasser die gewünschte Temperatur zu geben, sowohl in den Waschmaschinen, wie in den fünf gegenüber befindlichen großen Waschkufen. Ueberall sind Krahnen für heißes und kaltes Wasser. Zweihundert Stücke können in der Stunde gewaschen werden.

Der Maschinen- und Kesselraum, zwanzig und vierundzwanzig Fuß. Er enthält zwei horizontale Kessel, sechsunddreißig und einhundertundacht Zoll, mit Wasser- und Dampfmesser, selbst arbeitendem Dämpfer u. s. w. In drei getrennten Röhrenleitungen geht der Dampf aus diesen Kesseln nach der sechspferdestarken Dampfmaschine, dem Dampftische in dem Speisesaale, nach den großen Kesseln in der Küche, nach den getrennten immensen Thee- und Kaffeekesseln, nach den Heißwasserbehältern auf den Gängen und nach den zur Erwärmung aller Räume und Hausfluren angebrachten Röhrenleitungen. Da das Wasser aus dem städtischen Reservoir in der Regel nur bis zum zweiten Stockwerke aufsteigt, so pumpt die Dampfmaschine große gußeiserne Wasserbehälter auf der obersten Hausflur voll, deren Inhalt zur Reinlichkeit, Bequemlichkeit und Sicherheit gegen Feuersgefahr ausreicht.

Der Trockenraum, über dem Maschinenraum und von gleicher Größe und durch eine Hebemaschine mit dem Waschraume in Verbindung. Er enthält sechszehn leichtrollende Staffeln, mit dreihundertsechszig Fuß Leine über flachen Dampfröhren und mit einem starken Zug, und eine durch Dampf getriebene Mangel,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_792.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)