Seite:Die Gartenlaube (1867) 798.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

waren auch nicht lässig mit Schlagen und Pfeifen und Trompeten, wie es geziemender Brauch ist bei einem rechten Fest, und am Aichhof trafen die Schwalben ein und rüsteten sich zum Bau, wo sie noch jedes Jahr genistet. Sie kündeten dem Herrn des Hofes, daß er sich jetzt aufmache die Braut zu holen, hätt’ er dazu eines andern Mahners bedurft, als den Weckruf in seinem Herzen.

Schön und stattlich lag der Aichhof da, schier wie ein Herrenschlößlein mitten in einem breiten kurz bewachsenen Rasenstück, durch welches ein paar Wege sich zogen, so blank und fest wie der kunstreichste Parkgärtner sie nicht schöner zu schaffen vermag. In weitem Viereck, wie eine natürliche Grenze, waren Lindenbäume umher gereiht, wohl ihrer zwölf, deren einer mit dem andern in der Mächtigkeit des Stamms, in der Kraft des Astwerks und dem Reichthume der Laubkrone wetteiferte, deren jeder für sich allein als der schönste erschien. Hinter ihnen stieg seitwärts ein sanfter Hügel empor, reich bewachsen mit Hasel und Schlehe, Weinschärl und Pfaffenhut, behangen mit den Ranken und Schlingen der Ackerwinde und der Zaunwurz, gekrönt von drei mächtigen Eichbäumen, von denen schwer zu sagen war, ob sie mehr ihres Alters wegen Verehrung heischten oder Bewunderung ob ihrer Schönheit. Sie waren es, die, seit Jahrhunderten es überragend, dem Gehöfte am Fuße ihres Hügels den Namen gegeben. Ein kleines offenes Capellchen, aus Feldsteinen schlecht und recht aufgebaut, mit einem hölzernen Schutzdach davor und einem Betschemel, der zugleich als Ruhebank diente, war unter ihnen angebracht; von dort öffnete sich nach allen Seiten hin der Ausblick in’s Land, daß man den tüchtigen Sinn begreifen und verehren mußte, der schon vor grauen Jahren Capellchen und Bäume wie Merkzeichen gepflanzt und aufgestellt hatte, damit in alle Zeiten hinaus Niemand des Weges gehe, ohne stillstehend die vor ihm ausgebreitete Herrlichkeit zu genießen und einen erhebenden Gedanken mit sich fortzunehmen. In dreifacher Richtung, in einem riesigen Rundbogen lag das ganze Innere der nahen und ferneren Bergwelt aufgeschlossen und hingebreitet, mit Rücken und Stöcken, Wänden, Schrofen, Höhen und Zacken, mit Schneefeldern, Gletschern, Wald und Fels, ein im Sturme zu Stein gewordenes Urmeer. Davor zog sich der reizende Gürtel des hügelig anstrebenden Vorlandes in sanfter Umschlingung hin, aus Wiesengrün gewoben, schattirt mit Fruchtland und Waldesdunkel, mit weiß schimmernden Thürmen, Dörfern und Schloßgiebeln wie mit Juwelen gestickt. Nach der vierten Seite drang das Auge in das offene ebene Gefild, über Ortschaft und Landschaft, zwischen schimmernd hingeworfenen Flußbändern, fruchtbarem Gelände und darein gleich Spiegeln eingelassenen Seebecken bis an den fernen, im westlichen Sonnengolde verschwimmenden Horizont.

Es war ein Abend zu Ende des Mai.

An den Laubengängen des Aichhofs waren junge Birkenstämmchen aufgestellt, vor der Thür prangten ein paar größere, die Gräd’ vor demselben, die Stufen herunter und die Wege waren mit frisch gemähtem, duftigem Grase bestreut, damit die neue Aichbäuerin darüber ihren Einzug halte, denn heute war Sixt ausgezogen, die Erwählte vom Oedhofe abzuholen, zur Kirche zu geleiten und dann sie einzuführen in den mit so viel Leid verlassenen lieben Aichhof, in den sie nun wiederkehren sollte unter noch zehn Mal größerer Freude. Die Knechte und Mägde in ihrem besten Gewand, mit ihren weißesten Hemdärmeln und Schürzen angethan, standen und schlenderten erwartend umher, der Hütbube aber mit dem Baumeister war beschäftigt, droben unter den Eichen ein paar Böller zu laden und zu richten, damit ja nichts fehle an den landesüblich ländlichen Feierlichkeiten des Einzugs.

Es war auch lange her, daß in den Bergen keine so glänzende Hochzeit gefeiert worden war, als die des Aichers von Aich mit der Franzi von der Kreuzstraße; Beide waren bekannt und beliebt, von Beiden hatte es so viel und vielerlei zu reden gegeben; es hatte zuerst kein Mensch daran gedacht, daß diese Zwei ein Paar werden würden, und nun hatten sie sich doch gefunden, und kein Bauer und Gütler in der Umgegend, der es irgend vermochte, unterließ es, bei der Hochzeit und Trauung zu erscheinen, nur um so recht von Grund aus zu erfahren, wie sich denn Alles eigentlich zugetragen. Es war ein stattlicher Zug der schönsten ländlichen Gespanne, der von der Kirche hinweg zum Wirthshause an der Kreuzstraße fuhr, denn dort wurde das Hochzeitsmahl gehalten; der Wirth hatte nicht nachgelassen, die Brautleute zu bestürmen, hatte de- und wehmüthigst gebeten, ihm doch zu verzeihen, was er in seiner puren Dummheit begangen, und Franzi war seinem Bitten nicht abgeneigt gewesen. Sie hatte keine Falte mehr in ihrem Gemüthe, in welcher irgend ein Groll sich zu verbergen vermocht hätte; überdies bedäucht’ es ihr wohl schicklich und bedeutsam, das Fest ihrer schönsten Freude und vollsten Reinigung gerade da zu feiern, wo ihr die tiefste Demüthigung zu Theil geworden und die grimmigste Schmach.

Die Wagenreihe wollte nicht enden; ein kleiner Zwischenfall machte sie einen Augenblick anhalten, denn von der andern Seite der Kreuzung her kam ein höchst eleganter hochbepackter Reisewagen mit Postpferden herangesaust, und es währte eine gute Weile, bis er an all’ den geschmückten Wagen voll geputzter, fröhlicher Menschen ausweichend vorübergekommen war. Es gab völligen Stillstand an dem Wagen, in welchem die Braut mit ein paar Kranzeljungfern und mit der Ehrenmutter saß; das war Niemand Anderes, als die greise, halberblindete Base vom Oedhofe. So schwach sie war, sie hatte sich’s nicht wehren lassen, an dem Tage noch einmal in die Welt zu gehen und sich den Leuten zu zeigen, an welchem von dem Oedhof und Allen, die ihm nah und fern angehörten, der letzte Makel genommen war. An dem Wagen hielt hoch zu Rosse der Bräutigam, um ihn die ebenfalls berittene Schaar befreundeter, lediger Bursche, welche dem scheidenden Jugendgenossen das Ehrengeleite gab.

Die Wagen und Reiter mußten hart aneinander vorbei; in der Reisekalesche lehnte der Amtmann mit seiner Gemahlin. Die Regierung war mit seinem Auftreten und Verfahren in den Angelegenheiten wegen des Haberfeldtreibens, wegen des Waldstreites und in manch’ anderen Dingen nicht völlig einverstanden gewesen; man hatte gefunden, daß er in solcher Umgebung und unter solchen Leuten nicht ganz in seinem rechten Wirkungskreise sich befinde, und hatte ihn mit auszeichnender Beförderung abgerufen, um seine Talente – wie es hieß – bei einer Gesandtschaft besser verwerthen zu können.

„Ah, sieh da, Herr Aicher von Aich!“ rief er mit seinem süßesten Lächeln und machte eine Bewegung, als ob er im Sinne habe, die Reisemütze zu lüften. „Es ist mir eine angenehme Genugthuung, Ihnen so zu begegnen; es ist nun doch gekommen, wie ich es vorher gesagt!“

„Ja, Herr Baron von Lanzfelt,“ erwiderte Sixt, nahm den Hut ab und schloß die Hände über der Brust, „unser lieber Herrgott hat’s recht gemacht und besser, als wir’s verdient haben! Es ist am besten, wenn man gleich an’s Herz klopft und das eingesteht; es weiß Jeder, was ihn druckt, und hat Jedes sein Bündel zu tragen…“

Der Weg war frei geworden; der Amtmann that, als habe er die Rede nicht vernommen, und deutete, während die Pferde wieder zum scharfen Trabe anzogen, auf den Zug und das stattliche Brautgeleite. „Sehen Sie nur,“ sagte er zu seiner Frau, „welche Originalität, welche Fülle von Volksthum in diesem Aufzug! In diesen Gestalten und Trachten! Wahrhaftig, sie wären des Pinsels eines Teniers und Ostade würdig! Was sagen Sie dazu, ma mie?“

Fort flog die Kalesche; die Gäste zogen in das festlich geschmückte Wirthshaus, und über den Genüssen des Mahls und den Freuden des hochzeitlichen Tanzes war bald die ganze Begegnung vergessen. Der lauteste Frohsinn kreiste lachend um den Tisch und manch’ Einer stieß seinen Nachbar mit dem Ellbogen an und raunte ihm zu, eine so lustige Hochzeit sei noch nicht gefeiert worden, seit Menschengedenken. Der Finkenzeller hatte den Grubhofer, den alten Rebeller, zum Gegenüber, und Beide kamen fast nicht zum Essen und Trinken, so viel gab es zu erzählen und zu hören, zu lachen und zu verarbeiten. Die Fröhlichsten von Allen aber waren unstreitig der alte Staudinger und der wackere Lehrer von Osterbrunn. Den alten Mann hatte die unverhoffte Aenderung seiner Verhältnisse, der unerwartete Durchbruch in seinem Sinn und Gemüth auch körperlich umgestaltet; gegen Erwarten war ihm neue Kraft und Gesundheit schnell wiedergekehrt; es war, als würde ihm eine neue Jugend zu Theil, ein Spätherbst, der schöner zu werden verhieß, als es Frühling und Sommer seines Lebens gewesen. Er war überglücklich, zu sehen und zu fühlen, wie er allseits in der öffentlichen Meinung wieder hergestellt war, er ward nicht müde, zu erzählen, wie er Franzi gefunden, und sich selbst anzuklagen, nur um immer wieder sagen zu können, wie

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_798.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)