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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gebell anreizte. Gleich darauf hörte ich, wie der Parkwärter das Fenster aufstieß, um die Ursache des Lärmens zu erforschen, und auf meinen lauten Zuruf erschallte sofort sein: „Wull’ Du ’mal ’rrruht!“ Peter stutzte, und als der gefürchtete Ruf abermals erscholl und er den Alten aus der Hausthür treten hörte, machte er Kehrt und trabte eiligst durch die hohen Kiefern davon. Ich hörte, wie er unten in der Wiese ein starkes Rudel Damwild aufscheuchte, wie der ganze Troß gleich fernem Donnergepolter über die Wiese dahinstürmte und nun mit lautem Geplätscher durch den Bach setzte; dann war Alles still. Ich nahm meine Laterne vom Boden auf, rief dem Alten „gute Nacht“ zu und trat aus der Pforte des Parkes mit dem Vorsatze, künftig hübsch bei Tage heimzukehren.

Daß mit Peter aber auch bei Tage nicht mehr zu spaßen war, zeigte sich am nächsten Morgen. Die Magd des Parkwärters hatte – trotz der Warnung des Alten – sich schon früh aufgemacht, um aus dem nahen Bache Wasser zu holen. Da erscheint plötzlich der Peter am jenseitigen Ufer. Das Mädchen flüchtet eine nahe Anhöhe hinan, um in einer dort befindlichen Wildhütte Schutz zu suchen, allein der Hirsch war in zwei Sätzen durch den Bach und würde sie im nächsten Moment erreicht haben, wenn dem Mädchen in diesem Augenblicke die bis dahin krampfhaft festgehaltenen Wassereimer nicht entfallen wären. Diese kollerten dem Hirsche auf dem schmalen, abschüssigen Wege entgegen und während Peter sich mit den Eimern herumbalgte, gelang es dem Mädchen, die Hütte zu erreichen.

Auf ihr Hülfegeschrei eilte endlich der alte Parkwärter herbei, welcher den Hirsch in einer höchst lächerlichen Situation vor der Hütte erblickte. Er trug nämlich auf der einen Geweihstange einen der schweren Wassereimer und bemühte sich vergebens, dieses lästige Anhängsel los zu werden. Wahrscheinlich hatte dieser Umstand das Mädchen allein gerettet. Der Hirsch wollte den ihm entgegenrollenden Eimer einfach zur Seite schleudern, schlug aber glücklicherweise die Geweihstange gerade zur obern Oeffnung des Eimers hinein und mit Zertrümmerung des Bodens unten wieder heraus, so daß der hohle Cylinder bis auf die Mittelsprosse der Geweihstange getrieben wurde. Der eiserne Reifen aber hatte sich unter dem Augsprossen verfangen und so kam es, daß Peter noch fast acht Tage lang mit seinem Eimer umherstolzirte. Peter’s Einzäunung ward nun dermaßen verbarricadirt, daß an ein abermaliges Entwischen nicht zu denken war. Erst gegen Ende Februar, nachdem er sein Geweih abgeworfen, ward er wieder in den Park gelassen. Kurz zuvor ereignete sich ein drolliger Vorfall, der hier noch in Kürze Erwähnung finden möge.

Die meisten Besucher des Wildparks konnten nicht unterlassen, den eingesperrten Peter im Vorübergehen zu necken. Besonders zeichnete sich in dieser Beziehung ein junger Engländer aus, der bei dem Geistlichen des Ortes in Pension war und jeden Nachmittag zu bestimmter Stunde erschien, um sich mit dem Hirsche zu amüsiren. Sobald der gereizte Hirsch mit dem Geweih gegen die Umzäunung anrannte, ergriff der junge Mann die äußersten Enden der Stangen und versuchte den Kopf des Hirsches herunterzudrücken.

Ich wunderte mich sehr, daß der Parkwärter diese Neckereien völlig ignorirte, allein dieser erwiderte lachend: „Lassen Sie den Engländer nur wirthschaften, – ich wette, er bricht dem Peter heute oder morgen eine Stange ab, sie sind alle beide schon wacklig! Das giebt ’n Hauptspaß; er hat mir ’mal erzählt, in Schottland würden die Hirsche so alt, daß ihnen dickes Moos auf dem Geweih wüchse. Er hat also gar keine Ahnung, daß der Hirsch alle Jahre das Geweih wechselt – na, der wird ’n Schrecken kriegen!“

Was der Alte prophezeit, ereignete sich richtig schon am nächsten Nachmittage. Peter hatte anfänglich gar keine Lust mit dem Engländer zu boxen, gab indeß zuletzt der Herausforderung nach und lehnte vorsichtig mit dem bereits in der Trennung begriffenen Geweih gegen die Einzäunung. Der junge Mann griff herzhaft zu, drückte – knacks! brach die Stange und der Hirsch rannte davon, den Kopf, der durch den plötzlichen Verlust der einen Stange völlig aus dem Gleichgewicht gekommen war, ganz schief tragend, während ihm der rothe Schweiß von der Bruchstelle über die silbergrauen Wangen herabrieselte. Ein schauerlicher Anblick für den jungen Mann, der, sprachlos vor Schrecken, mit offenem Munde da stand und bald die am Boden liegende Stange, bald den in höchster Aufregung umhertrabenden Peter anstarrte.

„Donnerwetter – das ist aber ’ne schöne Geschichte,“ fing jetzt der Wildmeister an zu fluchen, „Himmel Sackerment, was wird der Graf sagen, daß Sie ihm den ganzen Hirsch verschändet haben! Nun laufen Sie nur gleich zum Tiemann,“ (so hieß der Thierarzt des Ortes) „vielleicht kann der noch helfen. Aber rasch, nehmen Sie die Stange mit!“

Der Engländer raffte die abgeworfene Stange auf und trabte davon. Der Zufall wollte, daß der Besitzer des Parkes gerade in der Nähe war, und als derselbe den ihm unbekannten jungen Mann mit der Geweihstange aus dem Parke eilen sah, erschien ihm die Sache verdächtig und er schickte den ihn begleitenden Jäger ab, den vermeintlichen Dieb anzuhalten. Dieser kam bald zurück, den Engländer am Arme führend, der dem Grafen schon von Weitem fortwährend zurief: „Indeed, Sir – I did not mean to do it, I just touched it!“ („Wirklich, Herr, ich habe es nicht mit Absicht gethan, ich griff gerade daran!“)

Der Graf wußte natürlich anfangs nicht, was das Alles zu bedeuten habe, bis endlich der Parkwärter hinzutrat und unter allgemeinem Gelächter den Hergang erzählte. Der Engländer aber verschwand und ward seit jenem Tage nicht wieder im Parke gesehen.

Im nächsten Herbst fand der schwarze Peter – der nun bereits zum stattlichen Zwölfer herangewachsen war – ein unerwartetes tragisches Ende. Um seinen Harem zu vergrößern, hatte man noch einige Stück Wild aus dem Mecklenburgischen kommen lassen. Außer diesen weiblichen Thieren war nun aus Mißverständniß vom Absender auch ein Hirsch geschickt, welcher am nächsten Tage zurückgehen sollte und bis dahin in einem kleinen Zwinger, der unmittelbar an Peter’s Einzäunung grenzte, untergebracht wurde. Der neue Ankömmling war bei Weitem jünger und geringer als Peter – ein „Schneider von Geburt“, wie sich der Parkwärter ausdrückte – und bezeigte eine entsetzliche Furcht vor seinem Nachbar, der bereits in voller Brunft war, unaufhörlich schrie und sich vergebens abmühte, zu dem fremden Hirsche zu gelangen. Die Scheidewand zwischen den beiden Einzäunungen ward daher noch Abends spät durch eingeschobene Stangen und Balken verstärkt.

Am nächsten Morgen fand man den schwarzen Peter steif und starr, mit zwei tiefen Wunden hinter dem linken Blatte mitten unter der Scheidewand liegen, so daß die vordere Körperhälfte in der Einzäunung des fremden Hirsches und das Hintertheil noch in seinem eigenen Zwinger lag. Er hatte die unterste Stange der Scheidewand zertrümmert und dann versucht, sich an einer moorigen Stelle des Bodens unter der Verlattung durchzuarbeiten, um zu dem fremden Hirsche zu gelangen. Dieser aber, die ihm drohende Gefahr erkennend, hatte in der Angst der Verzweiflung den ihm an Stärke weit überlegenen Peter sofort angegriffen und ihm die beiden Augsprossen der ganzen Länge nach in die Brusthöhle gejagt.

Der jugendliche Sieger hatte sich mit dieser kühnen That die Rückreise in’s Land der Obotriten erspart; er trat an Peter’s Stelle als „Platzhirsch“ im Parke ein und residirt dort im Kreise einer zahlreichen Nachkommenschaft noch heute.




Blätter und Blüthen.


Skizzen aus Nordamerika. I. Eine Schülerin in einem fashionablen Damenpensionate. Im Herbste des Jahres 186* kam ich als Musiklehrer an das „Ladies-Seminar“ zu N., einem nahe den Quellen des Hudson romantisch gelegenen Dorfe. Das Seminar bildete, wie alle derartigen amerikanischen Institute, zwar auch junge Mädchen zu Lehrerinnen aus, die Mehrzahl seiner Schülerinnen indessen, meist wohlhabenden Familien angehörig, hielt sich dort nur auf, um ihrer Bildung einen gewissen Grad von Firniß zu geben. Es wurde deshalb auch von jeder Neuankommenden erwartet, daß ihre Kenntnisse eine genügende Grundlage hatten, wie denn überhaupt nur erwachsene junge Damen dort aufgenommen wurden.

Unter meinen Schülerinnen war eine Miß P., die ich in den ersten Tagen, nachdem ich sie kennen gelernt, für ziemlich blasirt hielt. Wie ich später erfuhr, war sie die Tochter eines der reichsten Fabrikanten in Connecticut und dessen verwöhnter Liebling. In ihrem Aeußeren hatte sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_814.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)