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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Daneben sind Ankleidezimmer und geheizte Buffets. Ein Orchester mit rauschender Musik spielt zum Eistanz auf.

Indeß sollte nicht blos mehr geschehen, um das Schlittschuhlaufen möglich zu machen und zu begünstigen, sondern es können Vereine auch wesentlich mitwirken, um die vorhanden Gelegenheiten besser auszunutzen; denn ich habe vielfach die Erfahrung gemacht, daß in den meisten Wintern wirklich vorhandene prachtvolle Eisbahnen aus Flüssen und Seen nicht benützt werden, weil man sie nicht kennt, weil es immer nur Einzelne sind, welche den nöthigen Eifer und Spürsinn haben und sich die Mühe geben, eine Gelegenheit auszuforschen. Ich will dafür nur zwei Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung vom Bodensee, von Main und Rhein mittheilen.

So oft ich in den Ferien meiner Universitätsjahre nach Constanz kam, in dessen Nähe meine Eltern damals wohnten, hörte ich klagen über mangelnde Eisbahn, weil der Rhein nie zugefriert und der Obersee, an den die Stadt unmittelbar stößt, seit dem Jahr 1829/30 außer kleinen Stellen am Ufer nicht mehr zugefroren war. Als ich nach vollendeten Studien den ersten Winter zu Hause zubrachte, machte ich gleich beim ersten Frost eine Entdeckungsreise nach dem eine halbe Stunde entfernten Untersee und fand die prachtvollste Eisbahn, die ich in meinem Leben gesehen, nur von den Bewohnern der in Mitte des See’s liegenden Insel Reichenau benützt. Der See wird durch die Insel so zu sagen in zwei Theile getheilt, in eine nördliche und eine südliche Hälfte. Durch die letztere zieht sich das Bett des Rheines und sie gefriert daher nur selten, die nördliche dagegen fast jedes Jahr. Auf der östlichen Seite der nördlichen Hälfte ist der See auf eine Uferlänge von einer halben Stunde und zehn Minuten Breite nur einen halben bis einen Fuß tief, so daß diese Strecke gleich beim ersten Frost (oft Anfangs December) fest zuzugefrieren pflegt, während die eigentliche Wassermasse des See’s erst noch abdampft und meist erst im Januar gefriert, aber dann in der Regel so rasch, daß zweinächtiges, oft sogar einnächtiges Eis schon betreten werden kann. Dieses schnelle Gefrieren bewirkt es, daß auf dem See in der Gefrierzeit sehr wenig Gefahr vorhanden ist und fast nie ein Unglück sich ereignet; desto mehr jedoch nach eingetretenem Thauwetter, nachdem die Jugend übermüthig, unvorsichtig und dreist geworden ist. Dazu kommt, daß der Föhn (Südwestwind) schuhdickes Eis in einer Nacht ungangbar machen kann, wogegen ich in Jahren, in denen der Föhn lange ausblieb, während die Straßen überall bereits kothig und das Eis nahe am Ufer aufgethaut war, so daß man nur mittels eines Brettes die Bahn erreichen konnte, noch am 2. März über den See fuhr, weil dieser von einer anderthalb Fuß dicken Eiskruste bedeckt war, die noch von unten auf Kälte bezog, denn der See erwärmt sich ebenso langsam, wie er sich abkühlt.

Das ist die Eisfläche, auf der auch der jetzige Kaiser Louis Napoleon häufig Schlittschuh fuhr, als er noch den gegenüber am schweizerischen Ufer liegenden Arenenberg bewohnte. Die Reichenauer, welche tüchtige Schlittschuhläufer sind und längst nach Art der Holländer und Friesen glatte Schlittschuhe führen, während die Bewohner der umliegenden Städte und Flecken noch gerinnte hatten, benutzen die Eisbahn im Winter, um aus dem auf dem nördlichen badischem Ufer liegenden Walde sich das Holz auf Schlitten zu holen. Sie stehen hinten auf den Kufen und stoßen sich mit Stangen ziemlich rasch auf dem Eise vorwärts. Jeder führt seinen Compaß bei sich, denn im Nebel kann man dort einen Tag in der Irre umherfahren, ohne von der Stelle zu kommen, da der See vier Stunden lang und eine halbe bis anderthalb Stunde breit ist. Dauert die Eisdecke lange, so wird auch gefischt durch in’s Eis geschlagene Löcher mittels Angelhaken und einer Strohwand zum Schutze des Fischers gegen den Wind. Am reizendsten ist der Fischfang auf kleine Hechte von einem Viertel- bis einem halben Pfund, welche sich in den seichten Stellen des Sees unter dem Eise aufhalten, bevor noch die große Wasserfläche gefroren ist. Diese Fische streichen so weit gegen das Land hin, daß der Wasserstand zwischen dem Grund und der Eisdecke nur wenig Spielraum bietet. Die Hechte stehen da, bis der Schlittschuhläufer über ihnen herfährt. Dann suchen sie nach dem tieferen Wasser zu entweichen. Zieht man nun solche Kreise, daß man ihnen scheinbar den Weg nach dem See versperrt, so wenden sie sich wieder nach der andern Seite. Ein Schlag mit der Axt auf das Eis genau über den Fisch betäubt ihn, so daß man Zeit hat das Eis aufzuhacken und ihn lebendig mit der Hand herauszuholen. Einst gelang es mir sogar, mit einem spitzigen Steine ein ganzes Taschentuch voll kleine Hechte zu fangen. Das Herrlichste, was sich denken läßt, ist aber, an einem schönen Abend über die glitzernde Eisfläche zu fliegen im Angesicht der in die Gluth der Sonne getauchten Berge des Höhgaus, deren historische Erinnerung Victor Scheffel in seinem „Ekkehard“ so anmuthig aufgefrischt hat, daß man bedauert, daß er nicht auch die Reize dieser Eisbahn erforscht.

Eines der prachtvollsten Schauspiele hatte ich, als ich eines Abends schon nach eingetretener Dunkelheit allein den ganzen See entlang von Radolfszell bis gegenüber nach Gottlieben bei Constanz fuhr. Wenn nach einem sonnenhellen Tage, wo das Eis durch die höhere Temperatur sich ausgedehnt hat, mit der Nacht strengere Kälte eintritt, so zieht das Eis sich so rasch zusammen, daß große Sprünge und Spalten, in dortiger Gegend „Wonen“ genannt, hineinreißen, die sich über den ganzen See hinziehen, oft fünf, sechs bis zehn und zwanzig Schuh weit klaffen und das dunkelgrüne Wasser des Sees offen legen. Im Moment, wo eine solche Spalte sich reißt, dröhnt ein Schlag, wie ein langhinhallender Donner, durch die Nacht.

Als ich auf der weiten Eisfläche dahinglitt, auf welcher das Licht der Sterne und ein Achtel des Mondes einen weißen Schimmer hinwarfen, so daß ich gerade meinen Weg zu sehen vermochte, dröhnte von Zeit zu Zeit der fernhinrollende Donner springender Wonen zu meiner Rechten herüber. Ich hielt mich so nahe als möglich am nördlichen Ufer und war in der größten erreichbaren Schnelligkeit (in welcher man eine Stunde in etwa zehn Minuten zurücklegt), da plötzlich schimmert ein Streifen Wasser vor mir. Es ist eine fünf bis sechs Schuh breite Spalte. Zu sehr im Schuß, konnte ich mit glatten Schlittschuhen nicht mehr zeitig genug anhalten. Da half nichts. Ich mußte in’s Wasser hinein – oder hinüber. Ein Satz – und fröhlich flog ich auf der andern Seite weiter. Ich hatte mich längst auf das Hoch- und Weitspringen auf dem Eise eingeübt, so daß ich noch jetzt auf acht Fuß Weite und drei Fuß Höhe wetten kann, während ich früher in der besten Uebung vier Fuß Höhe und zwölf Fuß Weite nahm. Bei Hoch- oder Weitsprung wird gleich gesprungen. Der Kunstgriff besteht darin, daß man einen so starken Anlauf nimmt wie möglich und dann mit gleichen Füßen so hoch springt wie man kann. Beim Weitsprung bewirkt die im Lauf vorher erhaltene Schnelligkeit den Nutzeffect, denn einen Abstoß zum Sprunge kann man nur in die Höhe nehmen.

Ebenso freudige, vielleicht noch anregendere, weil abenteuerlichere Fahrten habe ich mit meinem Bruder und mit Freunden auf dem Main und dem Rhein gemacht. Diese und andere Flüsse gefrieren, mit Ausnahme seltener ganz gelinder Winter, fast in jedem Jahre ganz oder theilweise zu. Dennoch wird die Eisbahn nur wenig benutzt, weil die Meisten sie im Ganzen für unbrauchbar halten. Als mein Bruder und ich uns in niederließen, ging zwar die Sage, es seien einst junge Männer bis nach Mainz Schlittschuh gelaufen, allein bezeichnen konnte sie Niemand. Man war allgemein der Ansicht, daß eine solche lange Eisbahn nur durch eine so außerordentliche Gunst des Wetters möglich gemacht werde, daß in einem Menschenalter kaum einmal die Rede davon sein könne. Durch unsere Erfahrung am Bodensee gewitzigt, ließen wir uns nicht mit dem allgemeinen Glauben beruhigen, sondern stellten Untersuchungen an, und es ergab sich, daß in allen Wintern, in welchen der Fluß zuging, gute Eisbahnen zum Schlittschuhlaufen auf mindestens Stunden weit, oft aber Tagereisen weit bis nach Mainz und mehrere Stunden rheinabwärts vorhanden waren, von denen Niemand etwas wußte. Einzelne Stellen vor jeder Stadt und jedem Dorfe wurden benutzt, doch nicht erforscht, ob eine zusammenhängende lange Bahn vorhanden sei. Auch nachdem wir einen Schlittschuhclub in Frankfurt gegründet und unsere Ausflüge zu Dutzenden oft aufwärts bis gegen Aschaffenburg und abwärts bis nach Mainz ausgedehnt hatten, fiel es in diesen Städten doch Niemandem ein, sich bis nach Frankfurt zu wagen.

Eine wesentliche Ursache dieser Erscheinung will ich hervorheben, weil sie wahrscheinlich auch bei den meisten andern Flüssen Nordeuropas vorkommt und weil ich durch meinen Wink den Genossen in manch anderer Gegend einen Gefallen erweisen kann.

Die Flüsse gefrieren in der Regel zuerst dadurch, daß das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_826.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)